Die Schaffhauser Politik wollte der AZ Akten vorenthalten. Zu Unrecht, sagt jetzt das Obergericht und stärkt erneut das Öffentlichkeitsprinzip.
Eine ziemliche Blamage musste SVP-Kantonsrat Peter Scheck vor gut einem Jahr einstecken: Er hatte als Präsident der Justizkommission Protokolle stark geschwärzt der AZ zugestellt. Es ging darin um die Vorbereitung der Wahl der neuen Mitglieder der Staatsanwaltschaft Andreas Zuber und Linda Sulzer. Die Schwärzungen liessen sich jedoch mit zwei Mausclicks löschen.
Unsere Artikel (AZ vom 3. Februar, 15. Februar und 1. März 2018) zeigten auf, dass die Kommission schlecht vorbereitet war, über die unrühmliche berufliche Vergangenheit der Kandidierenden kaum Bescheid wusste und sich vom ersten Staatsanwalt Peter Sticher, der ohne Stimmrecht in der Kommission sitzt, stark leiten liess. Für den Artikel «Enthüllt» über das mangelhafte Schwärzen Peter Schecks (Ausgabe vom 31. Mai 2018) gewann Kevin Brühlmann dieses Jahr den Newcomer-Preis des Zürcher Journalistenpreises.
«Schlechte Erfahrungen»
Kurz nach der Wahl von Zuber und Sulzer kam die Kommission erneut zusammen. Es waren Stellen am Kantonsgericht und bei der Staatsanwaltschaft zu besetzen. Der AZ fiel auf, dass drei der vier vorgeschlagenen und gewählten Bewerber Mitglieder der Mittelschulverbindung Scaphusia sind (AZ vom 7. Juni 2018), und ersuchte erneut um Einsicht in die Protokolle. Dieses Mal wurde das Gesuch abgelehnt. Grund: «schlechte Erfahrungen».

Das ist nach dem oben Geschilderten wohl verständlich. Rechtens ist es aber nicht. Das in der Kantonsverfassung verankerte Öffentlichkeitsprinzip garantiert Einsicht in Akten von Kommissionen des Kantonsrates, «soweit keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen». Die AZ hat die Gesetzeslage so verstanden, dass sensible persönliche Informationen der Bewerber geschwärzt werden dürfen, die Protokolle der Kommission aber grundsätzlich herausgegeben werden müssen. Also zogen wir vor Gericht: Der Schreibende, der das Gesuch gestellt hatte, reichte eine Beschwerde beim Obergericht ein.
Transparenz siegt zum zweiten Mal
50 Wochen später hat das Gericht unter dem Vorsitz von Vizepräsidentin Susanne Bollinger einen Entscheid gefällt: «Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen, der Entscheid des Büros des Kantonsrats […] wird aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung im Sinn der Erwägungen ans Ratsbüro zurückgewiesen.» Diese Rückweisung, schreibt das Obergericht, «gilt praxisgemäss als volles Obsiegen des Beschwerdeführers».
Das Obergericht weist das Kantonsbüro im Wesentlichen an, eine Interessenabwägung zwischen privaten Interessen (Persönlichkeitsschutz) und dem öffentlichen Interesse vorzunehmen. Denn: «Es besteht ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit daran, dass solche Wahlen korrekt ablaufen und dies grundsätzlich auch nachvollzogen werden kann. Das erfordert ein möglichst transparentes Wahlverfahren», schreibt das Obergericht. Und weiter: «Jedenfalls wer sich in ein solches Amt wählen lassen will, muss daher damit rechnen und in Kauf nehmen, dass seine Personendaten zumindest insoweit bekannt gegeben werden, als sie im Zusammenhang mit der Qualifikation und Eignung für das öffentliche Amt stehen und für die Nachvollziehbarkeit des Auswahlverfahrens relevant sind.» Darin eingeschlossen ist laut dem Obergericht gerade auch die Frage, ob die Mitgliedschaft in der Scaphusia eine Rolle spielte.
Kurzum: Das Obergericht klopft der Politik auf die Finger, die das Gesuch der AZ ganz einfach vollständig abweisen wollte. Die Protokolle müssen der AZ zur Verfügung gestellt werden, allenfalls mit gewissen Schwärzungen. Das Kantonsratsbüro könnte den Entscheid an das Bundesgericht weiterziehen, Kantonsratspräsident Andreas Frei hat bereits alle Büromitglieder um ihre Meinung dazu gebeten.
Es ist bereits das zweite Mal in kurzer Zeit, dass das Obergericht das Öffentlichkeitsprinzip stärkt. Im Jahr 2016 fällte es nach einer Beschwerde des Schreibenden und Claudio Kusters den wegweisenden Entscheid, wonach ein Geschäft als erledigt gilt (und die Protokolle damit einsehbar sind), wenn es im Kantonsrat beraten ist, und nicht erst nach einer allfälligen Volksabstimmung.