Digitalisierung Sunrise und Swisscom erstellen mit Hochdruck das neueste Mobilfunknetz. Im kleinen Gächlingen sind nicht alle glücklich darüber.
Jede gesendete Botschaft ist auf einen Turm angewiesen, der sie mit genügend Kraft in die Bevölkerung zu verbreiten vermag. In Gächlingen tun zwei Türme genau das. Da wäre der ältere, der Glockenturm der reformierten Kirche: Gelegen an der zentralen Kirchstrasse, mit Geranien und einer efeubewachsenen Fassade geschmückt, verbreitet er seine Emissionen in Form von Glockengeläut, Angabe der Uhrzeit und spiritueller Richtungsweisung.
Geht man 400 Meter weiter und biegt in die Gewerbestrasse ein, bewegt man sich erst an schmucklosen Werkshallen vorbei. Der Weg ist gesäumt von gleichmässig zersägten und unverarbeiteten Baumstämmen, Firmenschildern – dies alles ist umrahmt von Weizen- und Rapsfeldern. Dort steht ein jüngerer Turm, der viel mehr Botschaften versendet. Aber unhörbar. Fake News genauso wie persönliche E-Mails, Videos oder seriöse Nachrichten – vielleicht auch mal die Website der AZ (shaz.ch). Seit Kurzem ist er der «Erste im Klettgau», der die schnellste Verbreitungsgeschwindigkeit im Mobilfunk anbietet, den es auf dieser Erde zurzeit gibt. Die Rede ist vom Sendemasten auf dem GVS-Gebäude. Hier sendet eine von schweizweit bald 200 Mobilfunkantennen der fünften Generation 5G.
Land der unbegrenzten Daten
Im Februar versteigerte das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) die 5G-Frequenzen an Sunrise und Swisscom. Seither werden wir auf Plakatwerbung eingedeckt mit Versprechungen von bisher ungekannten Übertragungsleistungen: bis zu zehnmal schnellere Downloadraten als auf Glasfaser, ein Bruchteil der Reaktionszeit des heutigen 4G-Standards, effizientere Energienutzung, gleichzeitige Datenübertragung
Wer braucht sowas? Der Chef der eidgenössischen Kommunikationskommission ComCom, Stephan Netzle, vergleicht den Start von 5G mit jenem von 3G: «Niemand wusste bei der Einführung von 3G, dass es ein iPhone geben wird. Zuvor dümpelte die Technologie nur so vor sich hin», sagte er gegenüber Radio SRF. 5G sei ein technischer Standard, auf dem die Wissenschaft und Industrie Anwendungen entwickeln könne. Das könnten selbstfahrende Automobile sein, autonome Drohnen oder in Echtzeit koordinierte Fertigungsabläufe über grosse Distanzen. Alle Echtzeit-Vorgänge, die über eine Daten-Cloud denkbar sind.
Latentes Unbehagen
In Gächlingen zeigt man sich von diesen Aussichten eher unberührt. Eine alles andere als repräsentative Spontanumfrage vor dem Dorfladen führt ausschliesslich zu Schulterzucken. «Die werden schon wissen, was sie machen», so eine Laden-Kundin. Auch Gemeindepräsident André Bachmann gibt den wenig Bewegten: «Wir sind es uns gewöhnt, mit der Antenne zu leben.» Immerhin stecken auf der Antenne auch die älteren Technologien 2G, 3G und 4G, die allesamt weiterlaufen.
Ganz so cool scheint 5G aber doch nicht aufgenommen zu werden. Gemeindepräsident Bachmann selber berichtet von mehreren Einwohnerinnen und Einwohnern, die sich auf der Gemeindeverwaltung gemeldet hätten, so dass er es offenbar für notwendig ansieht, in der kommenden Ausgabe der Gemeindezeitung Gmaandhus-Post das Thema aufzugreifen: «Weshalb hat der Gemeinderat Gächlingen nichts unternommen wegen der 5G-Antenne?», greift Bachmann eine mehrfach gestellte Frage auf.
5G macht nämlich nervös: Am Samstag demonstrierten über 1000 Personen in Bern für einen Ausbaustopp und gegen die Erhöhung der Strahlenschutzwerte, wie es die Mobilfunkbetreiber fordern. Auf Facebook sind Tausende in «Stop 5G»-Gruppen organisiert. Auch eine geschlossene «Stop 5G Schaffhausen»-Gruppe mit 160 Mitgliedern existiert. Die Befürchtungen: Die zusätzlichen Strahlungen schädigen den Körper, führen zu psychischen Erkrankungen und gefährden Tiere und Natur.
Kantons-Moratorien sind nutzlos
Diese Bedenken haben mehrere Kantonsparlamente dazu bewegt, 5G-Moratorien zu verhängen. Angefangen in Genf fordern vor allem linke und grüne Politikerinnen und Politiker, man müsse mit dem Ausbau der Antennen zuwarten, bis genauere Erkenntnisse über die Auswirkungen der Strahlung auf den Menschen vorliegen. Auch in Schaffhausen hat mit Urs Tanner ein SP-Parlamentarier ein Moratorium in Form eines Postulates vorgelegt (siehe AZ vom 18. April)
Das Problem: Diese Moratorien können wahrscheinlich gar nicht umgesetzt werden, da das einzige Instrument der Kantone und Gemeinden gegen neue Antennen die Bau- und Zonenordnung ist. Und da bleiben ausser dem «Landschaftsbild» nicht viele Argumente übrig, die man ins Feld führen kann. Der Gesundheitsschutz ist nämlich Teil des Bundesrechts und in der Verordnung über nicht-ionisierende Strahlung (NISV) geregelt. Ein lokales Vorgehen gegen das Baugesuch neuer Antennen müsste also über das «Verschlampen» der Gesuche geschehen.
Bei den Mobilfunkbetreibern, die insgesamt 380 Millionen Franken für die neuen Frequenzen auf den Tisch gelegt hatten, kommt das ganz schlecht an. Sunrise kündigte an, man werde jene Kantone vor Gericht bringen, die Baugesuche im Sinne einer Dienstverweigerung verzögerten. Dies meldete der Wirtschaftsinformationsdienst awp
Dem Gächlinger Gemeindepräsidenten Bachmann sind also die Hände gebunden, denn das 5G-Modul wurde auf eine bestehende Antenne montiert. So wie alle der insgesamt vier Standorte im Kanton (siehe Fotos).
Mehr Leistung oder mehr Antennen
Hier zeigt sich ein Dilemma der Mobilfunkanbieter: 5G arbeitet mit wesentlich kürzeren Funkwellen, was zwar die Leistungsfähigkeit erhöht, aber auch die Reichweite verkürzt. Es bräuchte also mehr Antennen. Die Erfahrung zeigt allerdings, dass diese nur gegen riesige Widerstände der lokalen Behörden und der Bevölkerung zu haben ist. Es kostet also auch viel Geld.
Günstiger wäre es für die Mobilfunkbetreiber, einfach die Sendeleistung der Masten zu erhöhen, wofür aber die NISV geändert und die geltenden Grenzwerte erhöht werden müssen. Ein Ansinnen, gegen das sich der Ständerat bereits zweimal ausgesprochen hat und gegen das sich auch die Demo von letztem Samstag richtete.
Was die allgegenwärtige Funkstrahlung genau mit dem Körper macht, ist alles andere als abschliessend geklärt. Sicher ist: Strahlung kann ab einem gewissen Wert schädlich sein. Nur, wo diese Schwelle ist, weiss niemand. Eine aktuelle Studie hat zum Beispiel herausgefunden, dass eine Strahlungsbelastung, wie sie beim Telefonieren mit dem Handy direkt am Ohr auftritt, bei männlichen Ratten über eine gesamte Lebenszeit verteilt zu einem erhöhten Risiko eines beim Menschen praktisch inexistenten Herztumors führt. Weibliche Ratten und Mäuse waren nicht davon betroffen (bekannt als NTP-Studie).
Auf solche Studien stützen sich 5G-Befürworter und die Kritiker von 5G. Letztere kritisieren in den «Stop 5G Gruppen» auf Facebook: Trotz mangelndem Wissensstand werden neue Technologien mit grösstmöglicher Geschwindigkeit eingeführt. Es finde keine Güterabwägung statt zwischen den Bedürfnissen der Wirtschaft, den gesundheitlichen Vorbehalten und demokratierelevanten Überlegungen: «Die Wirtschaft brauchts» werde so zum Totschlagargument und 5G zu einem «Feldversuch» an der Bevölkerung.
Das eine tun, das andere erdulden
5G sei physikalisch nicht anders als 4G, sagt der ComCom-Chef Netzle, und es gebe Tausende Studien, die keinen gesundheitlichen Einfluss der aktuellen Strahlenbelastung belegten. «Es darf auch zukünftig nicht mehr Energie über 5G-Antennen versendet werden. Die Energie wird aber besser genutzt, weil 4G generell strahlt, 5G aber nur auf den anfragenden Empfänger», sagt Netzle gegenüber Radio SRF. In Zukunft werde man nicht stärker, aber aufgrund der wahrscheinlich grösseren Verbreitung an Antennen, häufiger der Strahlung ausgesetzt. Denn schlussendlich braucht ein sinnvolles 5G-Netz genau das: mehr und kleinere Antennen.
In Gächlingen fasst eine Bewohnerin das Dilemma während eines Telefongesprächs zusammen: «Es ist ein zwiespältiges Verhältnis. Einerseits höre ich zuhause immer Musik und nutze dafür das WLAN, das ja auch strahlt. Ich besitze ein Handy und telefoniere damit direkt am Ohr, was sicher am schädlichsten ist. Trotzdem bin ich erschrocken, als ich von der Existenz der neuen Antenne hörte.» Ein ganz anderer Turm, der ebenfalls sendet, beunruhige sie allerdings mehr: das AKW in Leibstadt und die bis nach Gächlingen sichtbare Dampfwolke, die aus dem Kühlturm steigt.