Kampf der Steuersenker

5. März 2019, Philippe Wenger
Michael Mundt (im weissen Hemd links) und Daniel Preisig werden für die Konfrontation verkabelt. Foto: Peter Pfister
Michael Mundt (im weissen Hemd links) und Daniel Preisig werden für die Konfrontation verkabelt. Foto: Peter Pfister

Soll Schaffhausens Steuerfuss 96 Prozent betragen? Die SVP ist dagegen. Einer aus der SVP ist dafür.

Wer in den einschlägigen Medienarchiven nach «Stadtrat Daniel Preisig» und «Steuern senken» sucht, stösst auf reiche Adern. 2010 sagte SVP-Grossstadtrat Preisig zu einer radikalen Steuersenkungsinitiative: «Ich bin ein extremer Befürworter.» Oder im Parlament wurde sein Spruch protokolliert: «Der Stadtrat hat oft genug gezeigt, dass er nicht gewillt ist, Sparaufträge umzusetzen.»

Preisig war damals 34 Jahre jung und schärfte im Parlament sein Profil als kompromissloser Steuersenker. Heute ist er 42, Vertreter des Kollegialgremiums namens Stadtrat und muss die Gesamtmeinung des Stadtrats auch öffentlich vertreten. Und diese Meinung besagt: Steuern rauf. So kam es am vergangenen Dienstagabend, dass der altgediente Steuersenker Preisig einem aufstrebenden Steuersenker gegenübersass und diesem erklären musste, warum die Steuern steigen müssen. Beim Gegenüber handelte es sich um dem 33-jährigen Präsidenten der Jungen SVP Schaffhausen, Michael Mundt, der – wie damals Preisig – sein Profil als Steuersenker zu schärfen sucht.

Privatperson ist nicht gleich Amt
Am 24. März stimmen die Städter über die Frage ab, ob sie einen Steuerfuss von 96 Prozent möchten – was einer Erhöhung um 3 Prozentpunkte gegenüber 2018 gleichkommt. In der Budgetdebatte im November, in welcher der Steuerfuss vom Grossen Stadtrat jeweils für das nächste Jahr festgesetzt wird, war die Uneinigkeit gross. Die 96 Prozent wurden mit gerade einmal 20 zu 16 Stimmen beschlossen, und kurz vor Weihnachten reichte die SVP das Referendum gegen das Budget ein – und somit gegen den Steuerfuss.

Vergangenen Dienstagabend debattierten deshalb Preisig und Mundt im Rahmen von «Politik im Saal» der Schaffhauser Nachrichten über das Für und Wider von 96 oder 93 Prozent Gemeindesteuerfuss. Die Debatte auf dem Podium verlief gesittet, fast langweilig: Man kennt und mag sich, und Stadtrat Preisig musste indirekt zugeben, dass seine Position als Stadtrat nicht unbedingt mit jener als Privatperson übereinstimmt. Erst als die Fernsehkameras abgestellt wurden, kam etwas Leben in die Bude – ein geschätztes Drittel des Grossen Stadtrates war angereist und gab sich gegenseitig auf den Deckel. Offenbar hatten die Grossstadträtinnen und -räte noch nicht genug von der Budgetdebatte von letztem November.

Vonseiten der Befürworter der beschlossenen 96 Prozent wurden die anstehenden Investitionen erwähnt: Die KSS müsse dringend saniert werden, ebenso das Stadthausgeviert, und es brauche neue Schulhäuser und Altersheime. Diese Projekte wolle man selber finanzieren können, ohne sich weiter verschulden zu müssen. «Die Schulden von heute sind die Steuern von morgen», sagte Preisig dazu. Ein Steuerfuss von 96 Prozent erlaube dies gerade noch so knapp. Dementsprechend sei auch ein gewisser Spardruck bereits vorhanden. Ebendiesen Druck wollen jene, die das Budget-Referendum ergriffen hatten, weiter erhöhen.

Die Prognose
Die SVP scheint keine klare Vorstellung zu haben, wie die Zukunft auszusehen hat. Sie sieht bloss steigende Kosten. «Diesen Trend sollte man nicht unnötig mit mehr Steuereinnahmen unterstützen», so Mundt. Man könne hier und dort ein wenig abzwacken: Das Personal langsamer aufstocken, die Bürokratie effizienter machen, im Baureferat etwas weniger ins Detail planen. Einziger konkreter Vorschlag am Dienstag: Die Erweiterung der Kammgarn hätte die Stadt nicht selber machen, sondern sie im Baurecht abgeben sollen.

Das stärkste Argument für die Steuersenker lieferte ironischerweise Stadtrat Preisig vor einer Woche selbst: In einer Medienmitteilung hiess es aus dem Finanzreferat, dass sich die Prognosen für die Steuereinnahmen 2019 geändert haben. Plötzlich wurde aus der erwarteten roten Null für das Budgetjahr 2019 ein Überschuss von 5.6 Millionen Franken – bei einem Steuerfuss von 96 Prozent. Mundt dazu: «Wir haben schon ein wenig gefeiert.»

Was folgt bei einer Ablehnung?
Ob der Steuerfuss jetzt 93 oder 96 Prozent beträgt, macht für Einzelpersonen nicht viel aus. Bei einem Brutto-Einkommen von 50 000 Franken beträgt die Differenz gerade mal 62 Franken. Mundt gab offen zu, dass man vor allem Gut­verdienende anlocken wolle. Über die ganze Steuer­rechnung fällt aber auch eine Erhöhung von drei Prozent bei der Endabrechnung nicht mit drei Prozent ins Gewicht. So hat etwa der ­Kanton seinen Steuerfuss auf das Jahr 2019 um einen Prozentpunkt gesenkt. Und auch 2017 war er höher als 2018. Fakt ist: Die Steuern ­sinken beständig (siehe AZ vom 10. Januar 2019 und Grafik) – selbst wenn die Stadt­bevölkerung am 24. März Ja zur Erhöhung sagt.

Grafik: AZ

Grafik: AZ

Für die Stadt bedeuten die drei Prozentpunkte gemäss eigenen Berechnungen etwas mehr als vier Millionen Franken Einbussen pro Jahr. Die SVP möchte die Schwankungsreserve anzapfen, um das dabei entstehende Defizit aus­zu­gleichen. Die Reserve wurde von der Stadt in den Jahren 2016 und 2017 geschaffen, als ausserordentliche Erträge bei den Unternehmenssteuern ein überraschendes Plus in der Rechnung bescherten (siehe Artikel auf Seite 11), und ist dafür gedacht, zukünftige Schwankungen nach unten auszugleichen.

Zu guter Letzt ist es nicht klar, ob auf ein Nein zum Steuerfuss von 96 Prozent ein Steuerfuss von 93 Prozent folgt. Auch wenn die Abstimmungsfrage diesen Wert in Klammern erwähnt. Das Parlament bleibt die festsetzende Instanz für den Steuerfuss und könnte auch einen Wert zwischen 93 und 96 Prozent festsetzen. Oder darüber. Theoretisch.