Corrupción an der Bachstrasse

25. Februar 2019, Kevin Brühlmann
Die Firma SBI «beschenkte» zahlreiche Politiker mit Weihnachtskörben. (Foto: Peter Pfister)

Die SBI International Holdings AG mit Sitz in Schaffhausen hat nachweislich Guatemalas
Präsidenten bestochen. Die Firma schweigt. Eine Spurensuche führt tief in den Korruptionssumpf.

Am Anfang stehen ein Anwalt mit Schnauz, eine Frage und ein potenzieller Leberschaden des Präsidenten Guatemalas.

Der Anwalt heisst Andreas Oberle, er besitzt eine kleine Kanzlei in Zürich, die sich unterhalb des Sonnenbergs befindet; sein Fokus liegt auf Wirtschaftsrecht, darunter Unternehmenssteuern. Auf seiner Website springt ein Schriftzug ins Auge. «Liberty is the right to do what the law permits» heisst es dort, darunter der Name Charles de Montesquieu, ein Philosoph aus dem Zeitalter der Aufklärung. Freiheit bedeutet das Recht, alles tun zu dürfen, was das Gesetz erlaubt.

Die Frage schliesst daran an, sie lautet: Meint der Anwalt das wirklich ernst?

Andreas Oberle ist Verwaltungsratspräsident der SBI International Holdings AG. Die Firma stammt ursprünglich aus Israel, zog jedoch im Jahr 2004 – nach einem Abstecher ins ehemalige Steuerparadies der Niederländischen Antillen in der Karibik – in die Schweiz, nach Schaffhausen. Damals brachte man 41,9 Millionen Franken an Aktienkapital mit.

Die SBI ist einerseits spezialisiert auf den Bau öffentlicher Infrastruktur, von Strassen über Häfen bis zu Kraftwerken. Andererseits, und das dürfte Montesquieu wenig freuen, ist sie auch Expertin in Sachen Korruption, von Bestechung über Geldwäsche bis zu illegaler Wahlfinanzierung.

Alkohol und noch mehr Alkohol
Am 13. Januar 2019 enthüllte die guatemaltekische Zeitung El Periódico, dass das Unternehmen zwischen 2007 und 2017 jeweils im Dezember sogenannte «canastas navideñas», also Geschenkkörbe zu Weihnachten, an zahlreiche wichtige Politiker verschickt hatte.
Neben vielen Ministern und anderen Funktionären hatte die SBI sämtliche Präsidenten Guatemalas der letzten zwölf Jahre beschenkt, darunter auch Jimmy Morales, der seit 2016 im Amt ist. Morales erhielt ein Fass Rum der Edelmarke Zacapa Centenario. Andere bekamen Uhren, Schmuck oder, wie es El Periódico trocken formulierte, «botellas de finos vinos, whiskys, licores, y más licor».

Der Wert der Präsente betrug zwischen 380 und 910 US-Dollar. In Guatemala sind Geschenke an Beamte ab 50 Dollar, zum Teil auch schon ab 20 Dollar verboten.

Das Besondere an diesen «canastas navideñas» ist, dass sie alle quittiert wurden. So sieht man, wie zum Beispiel am 21. Dezember 2016 der Erhalt eines Geschenks an Jimmy Morales mit Stempel («RECIBIDO» – erhalten) und Unterschrift im Präsidialhaus bestätigt wurde.

Einige dieser Dokumente liegen auch der AZ vor. Im Briefkopf der Empfangsbestätigungen taucht die Schaffhauser Firma SBI International Holdings AG auf. Die Listen konnten im Rahmen einer Büro-Razzia in der Hauptstadt Guatemala City sichergestellt werden.

Die Staatsanwaltschaft hatte die Durchsuchung in Zusammenarbeit mit einer Anti-Korruptionskommission der UNO durchgeführt. Wobei an dieser Stelle präzisiert werden muss: Die Dokumente wurden zwar von der SBI ausgestellt. Doch die Razzia fand in den Räumlichkeiten von Solel Boneh statt, einer Tochterfirma der SBI. Und wenn man in Guatemala den Namen Solel Boneh erwähnt, wissen alle Bescheid.

Oye, geht ein geflügeltes Wort, quieres un Solel? Was so viel heisst wie: Hör mal, können wir das nicht wie Solel lösen?

Azayira Levy, der seit 1999 «General Manager» von SBI International Holdings für Lateinamerika ist, wurde zur Fahndung ausgeschrieben. Die Staatsanwaltschaft Guatemalas wirft ihm Geldwäsche, aktive Bestechung und illegale Wahlfinanzierung vor. Nach einer monatelangen Flucht wurde Levy im Januar 2019 in Bulgarien von Interpol verhaftet.

Im Vergleich zu diesen Anschuldigungen erinnern die «canastas navideñas» an einen charmant ausgeführten Bubenstreich.

 

 

«RECIBIDO»: Die Empfangsbestätigungen der Weihnachtsgeschenke für Präsident Morales (oben, Mitte) und andere Politiker (zVg / El Periódico).

 

Profiteure von Massakern
Wie viele andere israelische Unternehmen auch ist die SBI, beziehungsweise Solel Boneh, seit Jahrzehnten mit dem Staat Guatemala verflochten. Zwischen 1960 und 1996, als sich – als sei eine Staatsführung nur ein blutiges Schachspiel – gallige Generäle reihenweise wegputschten und gegen Guerilleros kämpften, forderte ein Bürgerkrieg um die 200 000 Tote. Hinzu kamen eine Million Flüchtlinge.

Am härtesten traf es Gemeinschaften der «Indigenas», Maya­-Völker in den Hochebenen des Landes; einer der verantwortlichen Generäle wurde vor wenigen Jahren wegen Völkermords verurteilt. Während der Bürgerkriegszeit war Israel der wichtigste Waffenlieferant der diktatorischen Regimes. Das lockte israelische Geschäftsleute an, denn es galt die Regel: Wer dem Regime hilft, erhält einen Teil des Kuchens.

Solel Boneh profitierte vom Krieg, lange hatte es praktisch eine Monopolstellung im Bereich des staatlichen Infrastrukturbaus. So erzählt es zumindest Claudia Samayoa via Skype. «Quién ama la vida no se queda callado ante la injusticia» steht bei ihrem Profil, wer das Leben liebt, bleibt nicht stumm vor Ungerechtigkeit.

Samayoa, eine strenge Frau Mitte fünfzig, ist die Gründerin der Menschenrechtsorganisation Unidad de Protección de Defensoras y Defensores de Derechos Humanos Guatemala. Sie sagt, dass Solel Boneh nie gegen Menschenrechte verstossen habe. Dann fügt Samayoa ein grosses Aber an: «Wenn in den 1980er-Jahren Massaker an Maya-Gemeinschaften verübt wurden, dann baute Solel Boneh die Strassen für den Transport der Soldaten. Und wenn das Regime Indigenas in die Polos de Desarrollo steckte, wie man die Umerziehungslager nannte, war es Solel Boneh, das die Gebäude und Mauern errichtete.»

Mittlerweile ist der Bürgerkrieg zu Ende, in Guatemala wird demokratisch gewählt. Doch das alte Kuchenverteilspiel zwischen Politikern, Militärs und grossen Unternehmen ist geblieben.

6 Millionen an Politiker
Guatemala mit seinen gut 17 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern ist die grösste Volkswirtschaft in Zentralamerika, hauptsächlich dank dem Export von Kaffee, Textilien, Früchten. Allerdings kommt das Geld nicht unten an; die «trickle down»-Theorie bleibt Theorie. Mit einem Gini-Index von 52,4 zählt Guatemala weltweit zu den Ländern mit der grössten sozialen Ungleichheit überhaupt.

Solel Boneh (beziehungsweise die SBI) hat sich darin gut zurechtgefunden. Der guatemaltekische Journalist Martín Rodríguez Pellecer, Gründer der Investigativplattform Nómada, spricht von einem «neuen goldenen Zeitalter» unter dem amtierenden Präsidenten Jimmy Morales. Allein zwischen Januar und August 2018 habe die Baufirma staatliche Aufträge in der Höhe von einer Milliarde Quetzal (ca. 130 Millionen Franken) erhalten.

Einer der grössten Projekte, die Guatemala in den letzten Jahren in Auftrag gab, ist der sogenannte «Transversal del Norte», der Bau eines Strassennetzes im Norden des Landes. Solel Boneh erhielt den Zuschlag und 280 Millionen Dollar, ohne dass das Projekt ausgeschrieben wurde.

Zu diesem Auftrag kam die SBI folgendermassen: Über Scheinfirmen in Panama, die Beratungsdiensleistungen simulierten, zahlte Solel Boneh insgesamt 6,12 Millionen US-Dollar an den früheren Infrastrukturminister Alejandro Sinibaldi. Zudem finanzierte Solel Boneh einen Teil von Sinibaldis Wahlkampf, indem sie Geld an einige seiner Firmen überwies.

All diese Geldflüsse konnte die guatemaltekische Staatsanwaltschaft, abermals in Zusammenarbeit mit der Anti-Korruptionskommission der UNO, nachweisen. Deshalb wurde der langjährige General Manager der SBI International Holdings, der erwähnte Azayira Levy, kürzlich in Bulgarien verhaftet.

Der ehemalige Infrastrukturminister Sinibaldi ist ebenfalls international zur Fahndung ausgeschrieben; seit Juni 2016 ist er jedoch untergetaucht.

Zweck: Steueroptimierung?
Welche Rolle nimmt die SBI International Holdings AG in Schaffhausen in diesem grossen Kuchenverteilspiel ein? Wurde das Verschicken der weihnachtlichen Geschenkkörbe an Präsident Jimmy Morales und seine Vorgänger tatsächlich von der Schweiz aus organisiert, wie das die Dokumente mit den Empfangsbestätigungen vermuten lassen? Was hat das Unternehmen mit den Millionen an Bestechungsgeldern an guatemaltekische Politiker zu tun?

Die SBI in Schaffhausen, beziehungsweise ihre Tochterfirma Solel Boneh in Guatemala, ist Teil des grössten Baukonzerns Israels – er nennt sich Shikun & Binui. Der Gesamtumsatz im Jahr 2015 soll laut eigenen Angaben 1,4 Milliarden Franken betragen haben. Angesichts der Zerstückelungen des Konzerns in mehrere Dutzend Subgesellschaften rund um den Globus eine lächerlich tiefe Zahl.

Allein in Schaffhausen gibt es neben der SBI vier weitere Niederlassungen mit minim variierendem Zweck, auch die Verwaltungs­räte sind dieselben Männer, israelische Staatsangehörige sowie Zürcher und Genfer Anwälte mit schönen Anzügen. Alle Gesellschaften haben die gleiche Adresse an der Bachstrasse 56.

 

An der Bachstrasse 56 in Schaffhausen dürften bis zu 20 Angestellte von SBI arbeiten.

 

Das stattliche Haus, dreistöckig und mit kleinem Turm zur Strasse hin, beherbergt fast 20 Unternehmen; die meisten bestehen jedoch nur aus einem Briefkasten, wie zum Beispiel eine Holding des Warenhausgiganten Walmart.

Anders die SBI. Sie hat sich im Erdgeschoss und im zweiten Stock eingemietet. Ein paar Leute sitzen vor ihren Computern, es sieht ernst aus, trotz riesigen Kaffeebechern. Insgesamt dürften hier gegen zwanzig Personen arbeiten. Draussen, unter dem Vordach, steht ein junger Typ, Rauchpause. Die SBI, erzählt er, mache «Einkäufe für afrikanische und südamerikanische Staaten». Man arbeite eng mit den lokalen Behörden zusammen. Er drückt die Zigarette aus und meint, mehr könne er nicht sagen.

Ungesicherten Quellen zufolge wurde die SBI International Holdings AG vor allem aus Gründen der Steueroptimierung nach Schaffhausen verlegt. Konkret soll es darum gehen, grosszügige Abzüge auf die Gehälter von Expats, die in Afrika oder Lateinamerika arbeiten, machen zu können. Als Kapitalgesellschaft, und das ist gesichert, profitiert die SBI zudem von einem extrem niedrigen Kapitalsteuersatz.

Per E-Mail bittet die AZ um ein Gespräch mit der Firmenleitung, um mehr über die Geschäftstätigkeit der SBI in Schaffhausen zu erfahren – und über eine allfällige Verstrickung in das guatemaltekische Kuchenverteilspiel.

Die Wochen verstreichen, eine Antwort bleibt aus. Schliesslich der Griff zum Telefonhörer, eine junge Frau nimmt ab.

Ob man mit der Direktorin oder dem Direktor der SBI reden könne, fragen wir.

Die Frau überlegt, die Frage scheint ihr unangenehm zu sein. Sie sagt: «Das ist schwierig, niemand unserer Chefs spricht Deutsch.»

Man führe das Gespräch gerne auf Englisch, erwidern wir.

«Ich kann Sie nicht durchstellen», meint die Frau weiter. «Die Chefs wollen nicht, dass man sie mit irgendwem verbindet. Schönen Tag noch.»

Schweigender Schnauz
«Liberty is the right to do what the law permits» – noch immer prangt der Satz auf der Kanzlei-Website von Andreas Oberle. Daneben ein Bild von ihm samt Schnauz. Und eine Telefonnummer.

Oberles Stimme klingt sehr gemütlich, fast schon belustigt, als wir fragen: Was macht die SBI International Holdings AG in Schaffhausen?

Oberle erwidert: «Ich gebe Ihnen keine Auskunft. Ich bin einfach Berater der Firma, bin ja schon lange dabei.» Tatsächlich sitzt er seit dem Umzug nach Schaffhausen im Jahr 2004 im Verwaltungsrat, ab 2016 als Präsident.

Frage: Wissen Sie über die Korruptionsvorwürfe Bescheid? «Als Verwaltungsratspräsident weiss man noch so manches über seine Firma», sagt er. Er wiederholt, dass er keine Auskunft geben könne, verspricht aber, mit der SBI-Direktion über eine schriftliche Stellungnahme zu reden.

Zehn Minuten später meldet sich eine Frau der SBI per E-Mail. Die Antwort ist kurz: «Es werden unsererseits keinerlei Medienanfragen beantwortet.»