Der Neuhauser Einwohnerrat Markus Anderegg hat genug vom Freisinn. Er ist aus der Partei ausgetreten – vor allem wegen der Umweltpolitik. Das führt zur Frage: Wie steht es um die FDP?
Die Korken knallen, der Champagner fliesst. Die Schaffhauser FDP ist im totalen Rausch. Die Partei feiert im Hotel Kronenhof einen Wähleranteil von sage und schreibe 40 Prozent.
Im gleichen Jahr schreibt die UBS sechs Milliarden Franken Gewinn. Die Swissair kauft sich bei Airlines in Frankreich, Südafrika und Polen ein. Und Servette Genf wird Schweizer Fussballmeister.
Das war im Jahr 1999.
20 Jahre später sind sie alle auf irgendeine Art abgestürzt: Die UBS musste zwischenzeitlich vom Staat gerettet werden, die Swissair ging in Konkurs und die Schaffhauser FDP brach phasenweise auf einen Wähleranteil von 12 Prozent ein.
Die detaillierte Bilanz des Schaffhauser Freisinns liest sich, um beim Fussball zu bleiben, wie der Niedergang eines einstigen Spitzenteams, das mittlerweile in der 2. Liga kickt – quasi FC Servette der Schaffhauser Politik.
2007 verliert die Partei den Nationalratssitz an die SVP, 2008 geht das Stadtpräsidium an die ÖBS, 2011 schnappt sich der parteilose Thomas Minder den Ständeratssitz und 2016 müssen die Freisinnigen ihren zweiten Stadtratssitz an die Grünliberalen abgeben.
Und nun, per Anfang 2019, hat die Partei in Neuhausen einen weiteren Sitz verloren, ohne dass überhaupt eine Wahl stattgefunden hat. Einwohnerrat Markus Anderegg hat die FDP verlassen und politisiert nun als Partei- und Fraktionsloser in der Neuhauser Legislative. Die FDP-Fraktion im 20-köpfigen Neuhauser Einwohnerrat umfasst jetzt gerade noch zwei Personen.
«Führungsschwacher Laden»
Es ist ein kalter, aber sonniger Morgen im Februar. Zweistöckige Einfamilienhäuser mit eingezäunten Vorgärten und Garagen fürs Auto zieren den Osthang des Galgenbucks. Irgendwo weht eine Schweizer Flagge an einer Fahnenstange. Der Blick schweift nach Osten, über den Rhein nach Flurlingen, wo die Rotorblätter eines einzelnen kleinen Windrades ihre Kreise drehen.
Markus Anderegg öffnet die Tür zu seinem engen Büro im Haus, das er einst selber geplant hat. Der Architekt betrieb einmal ein KMU mit zehn Angestellten, inzwischen ist es noch ein Ein-Mann-Büro. In einem Jahr erreicht Anderegg das Pensionsalter. Er sagt auch, er habe eigentlich schon jetzt kürzertreten wollen. Aber «es lauft wie blöd».
Der FDP-Aussteiger hat sich viele Gedanken gemacht, vor ihm liegen A4-Blätter mit seinen Notizen. Und bereits auf die erste Frage, warum er aus der FDP ausgetreten sei, holt er zum Monolog aus: Elisabeth Kopp, UBS-Debakel, die Gratisflüge des Zürcher FDP-Regierungsrates und späteren Swissair-Verwaltungsrates Eric Honegger, das Bankgeheimnis, die Kasachstan-Reisen der Berner FDP-Nationalrätin Christa Markwalder. Alles habe einen Teil zum Imagezerfall der FDP beigetragen.
«Ich möchte der FDP nicht schaden», sagt er zwischendurch.
Doch dann, als er schliesslich auf Pierre Maudet, den «Superclown vom Genfersee», zu sprechen kommt, bricht es aus ihm heraus: Ausdrücke wie «führungsschwacher Laden» und «Partei ohne Abzockeranstand» kommen ihm über die Lippen.
Und dann ist da noch dieses eine Thema, das ihn besonders stört: die Umweltpolitik.
Ein AKW-Gegner der ersten Stunde sei er gewesen, sagt Markus Anderegg. «Ich ha no Tränegas verwütscht in Gösge.»
Schliesslich kommt der Dezember 2018, die FDP verwässert in Bundesbern zusammen mit der SVP das nationale CO2-Gesetz, mit dem die Schweiz ihre Klimaziele erreichen will, und Markus Anderegg wird wütend. «Mich gehts jetzt nichts mehr an, aber ich habe eine Enkeltochter. Und ich bin nicht der, der sagt, für die nachkommenden Generationen müssen wir nicht mehr schauen», meint der 64-Jährige.
Anderegg hat endgültig genug vom Freisinn. Per Ende 2018 tritt er nach 25-jähriger Mitgliedschaft aus der Partei aus. «Fertig, Ende, es reicht.»
FDP – Fuck de Planet
Er hat es quasi vorhergesehen, was danach kommen sollte: Der Witz «FDP – Fuck de Planet» des Satirikers Michael Elsener wird zum Running Gag an den Klimastreiks.
Das schlechte Image der FDP in Sachen Umweltpolitik scheint auch die Präsidentin der FDP Schweiz, Petra Gössi, zu einer spontanen umweltpolitischen Kehrtwende animiert zu haben.
Beim CO2-Gesetz wolle die FDP nun doch Hand bieten für ein Inlandziel, also der Senkung des CO2-Ausstosses im Inland, sowie einer Flugticketabgabe, mit der das Fliegen verteuert würde. Das sagte sie im Interview mit dem Tages-Anzeiger. Im Dezember hatte die FDP diese beiden Aspekte des CO2-Gesetzes noch abgelehnt.
Ausgerechnet der Vizepräsident der FDP Schweiz, Christian Wasserfallen, reagierte prompt: Er lehne eine Flugticketabgabe weiterhin ab. Bereits zuvor hatte sich der Zürcher FDP-Ständerat Ruedi Noser als Unterstützer der Gletscherinitiative geoutet. Die Volksinitiative «für den Ausstieg aus fossilen Energien» hat das Ziel, den CO2-Ausstoss auf null zu reduzieren.
Wiederum gab es Kritik aus den eigenen Reihen: Die Gletscherinitiative sei eine reine Verbotsinitiative und «nicht im Sinn der FDP», sagte Wasserfallen.
Annäherungsversuche ans Umweltthema von einzelnen Freisinnigen sind indes nicht neu. Bereits 2013 hatte der damalige Parteipräsident Philipp Müller gefordert, die FDP müsse ein «ökologisches Profil» entwickeln.
Dem neusten Bekenntnis von Petra Gössi kann Markus Anderegg indes nicht viel abgewinnen. Er sagt: «Das ist lachhaft. Das sind alles nur Lippenbekenntnisse. Jetzt ist es viel zu spät.» 25 Jahre lang habe er sich darum bemüht, der FDP die Bedeutung des Umweltthemas klarzumachen. Vergeblich.
«Bisch eigentli en Grüene, en Sozi? Das haben sie mich gefragt.»
Anderegg ist überzeugt: Hätte die FDP vor 15 Jahren auf das Umweltthema gesetzt, hätte man neue Wählerinnen und Wähler im grünliberalen und vielleicht sogar im grünen Lager holen können.
Ein kleiner grüner Daumen
Aber – wenn ihm die Umwelt schon immer so wichtig war – war er nicht von Anfang an in der falschen Partei?
Nein, sagt Anderegg: «Umweltpolitik ist Wirtschaftspolitik. Die Bauwirtschaft, die Bekämpfung der Zersiedelung, energetische Sanierungen, erneuerbare Energien, der Strommarkt – das sind alles Wirtschaftsthemen. Leider hat die Partei das bis heute nicht begriffen.»
Ausserdem sei er durch und durch liberal. Eine Steuererhöhung, wie sie soeben in Neuhausen geplant war, hat er bekämpft. «Das wäre ein falsches Signal gewesen. Neuhausen muss für Neuzuzügerinnen und Neuzuzüger attraktiv bleiben», sagt Anderegg.
Aber: Ist es nicht ein Widerspruch, einen schlanken Staat mit wenigen finanziellen Mitteln zu fordern und gleichzeitig Investitionen in erneuerbare Energien tätigen zu wollen?
Nein, sagt Anderegg. Und wieder bringt er seine Wohngemeinde als Beispiel: «Neuhausen hat mit dem Schaffhauser Elektrizitätswerk ein neues Wärmeverbundprojekt aufgegleist. Wir nutzen jetzt die Abwärme der Kläranlage Röti, die vorher einfach in den Rhein geflossen ist. Wärmepumpen versorgen das SIG-Areal und vielleicht bald auch die Rhytech-Hochhäuser mit Energie. Und es hat uns keinen Rappen gekostet.»
Generell betont Anderegg immer wieder: Mit den Neuhauser Parteikollegen habe er nie ein Problem gehabt. Ausserdem sei er nicht der Einzige. Der Neuhauser Gemeindepräsident Stephan Rawyler sei ebenfalls ein AKW-Gegner. Und auch die Bemühungen des früheren Regierungsrates Reto Dubach, der dem Kanton Schaffhausen eine Strategie zum Ausstieg aus der Atomenergie verschaffen wollte, lobt Anderegg.
Doch Reto Dubach scheiterte bereits an der eigenen Partei. Seine kantonale Energiestrategie wurde von der FDP-Basis abgelehnt. Schliesslich scheiterte das Projekt auch beim Stimmvolk. Das war 2015.
Es sollte nicht das einzige Indiz dafür bleiben, dass der grüne Daumen des Schaffhauser Freisinns noch kleiner ist als derjenige der nationalen Partei. Beispielsweise lehnte die Schaffhauser FDP die Energiestrategie 2050 ab, die im Mai 2017 auch vom Schaffhauser Stimmvolk angenommen wurde. Die FDP Schweiz hatte damals noch mit knapper Mehrheit die Ja-Parole beschlossen.
Schliesslich wollten die meisten FDP-Kantonsrätinnen und -Kantonsräte im November 2017 auch beim neuen kantonalen Energieförderprogramm an der Sparschraube drehen. FDP-Mann Christian Heydecker sagte seinerzeit, es sei ökonomisch gesehen «Unsinn», in der Schweiz Geld zu investieren, um den CO2-Ausstoss im eigenen Land zu reduzieren: «Mit dem Geld, das wir in der Schweiz ausgeben, können wir in anderen Ländern, den Drittweltländern, das Vier- oder Fünffache an CO2 einsparen.»
Kritik des Präsidenten
Szenenwechsel. Am Hang hinter dem Schaffhauser Güterbahnhof, etwas oberhalb der vielbefahrenen Fulachstrasse, wohnt und arbeitet Marcel Sonderegger, seit vier Jahren Präsident der kantonalen FDP.
Der Ingenieur hat selbstredend keine Freude am Parteiaustritt des Neuhauser Einwohnerrates. Den Fall Anderegg will er nicht kommentieren, das sei Sache der Neuhauser FDP. «Grundsätzlich aber», sagt Sonderegger, «bin ich persönlich der Meinung, aus Loyalitätsgründen wäre es vernünftig, wenn man die Partei unterstützt, für die man gewählt wurde. Jede Partei steckt unglaublich viel Energie, ehrenamtliche Arbeit und finanzielle Mittel in die Kandidatinnen und Kandidaten. Wenn eine Person einen Höhenflug hat und findet, sie sei besser als die Partei, dabei aber vergisst, dass sie dank der Partei gewählt wurde, finde ich das lamentabel.»
Die Gründe für Andereggs Parteiaustritt kann Sonderegger nicht nachvollziehen: «Das sind vorgeschobene Gründe. Er hätte schon vor drei Jahren austreten können, bevor er sich auf der FDP-Liste wählen liess.» Zum Fall Maudet habe sich Petra Gössi klar geäussert und dem Genfer Staatsrat den Rücktritt empfohlen. Weiter möchte sich Sonderegger dazu nicht äussern. Er sagt zwar, manchmal habe die Partei «Mikroskandäli». Das betreffe aber nur Einzelfälle.
Beim Thema Umweltpolitik gibt sich der Parteipräsident diplomatisch. Sonderegger, der sich selber «zum grünen Flügel der FDP zählt», sagt: «Die Umweltpolitik war für die FDP ein schwieriges Thema. An Parteiversammlungen gab es häufig 50/50-Resultate. Als Parteipräsident vertrete ich dann die Parteimeinung, auch wenn mein Herz vielleicht ganz anders schlägt. Zum Glück gibt jetzt Petra Gössi eine neue Richtung vor. Dies wird der Partei guttun, aber intern viel zu diskutieren geben.»
«Marktwirtschaftliche Lösungen»
Auch Christian Heydecker ist der Ansicht, «dass in der Umweltpolitik das Meinungsspektrum in der FDP grösser ist als beispielsweise in der Steuer- und Finanzpolitik». Letztlich hänge es immer auch von einzelnen Exponentinnen und Exponenten ab, wie eine Partei wahrgenommen werde. «Wir sind eine pluralistische Volkspartei, in der verschiedene Meinungen Platz haben, auch dank unserer offenen Diskussions- und Streitkultur.»
Am Ende gelte es, mehrheitsfähige Lösungen zu suchen. Dabei zeige sich immer wieder, dass Umweltthemen einen schweren Stand haben, sobald es konkret wird und es ums Geld geht. Heydecker verweist darauf, dass kürzlich im Kanton Bern die Umsetzung der Energiestrategie 2050 vom Stimmvolk abgelehnt wurde, wie 2018 schon in Solothurn.
Statt auf Verbote solle die Politik beim Umweltthema auf marktwirtschaftliche Lösungen setzen. «Dann kann auch ich dahinterstehen», sagt Heydecker.