Greta Thunbergs Botschaft hat Schaffhausen erreicht

14. Februar 2019, Mattias Greuter
Streiken fürs Klima: Elena Lai (links), Gianluca Looser und Anna-Lena Schudel. Foto: Peter Pfister

Nach Klimastreiks in zahlreichen Schweizer Städten gehen morgen auch Schaffhauser Jugendliche auf die Strasse. Die AZ hat drei von ihnen getroffen.

Mit einem entspannten Lächeln reagieren Elena Lai, 16, Gianluca Looser, bald 16, und Anna-Lena Schudel, 17, als sie von der AZ mit dem Satz des Solothurner SVP-Nationalrats Christian Imark konfrontiert werden: «Die Schüler sollen in die Schule gehen und lernen, was die Schweiz schon alles tut für den Klimaschutz.» Die Jugenlichen kennen diese Aussage, die Antwort liegt locker auf der Zunge: «Die Schweiz macht nicht besonders viel für den Klimaschutz», sagt Gianluca. «Ich habe gerade gelesen, dass die Schweiz weltweit der sechstgrösste Verursacher von Treibhausgasen ist, wenn der Ausstoss im Zusammenhang mit Finanzflüssen mitgerechnet wird.» Elena fügt hinzu: «In der Schule lernen wir zu diesen Themen nicht besonders viel.»

Die Zweitklässlerinnen Elena und Anna-­Lena und der Erstklässler Gianluca werden morgen Vormittag an der Kanti fehlen. Sie gehören zu einer zwölfköpfigen Gruppe, die den ersten Klimastreik in Schaffhausen organisiert. Anna-Lena war bereits mit einer Freundin im Gespräch darüber, ob man nicht mal an eine der Demos in Zürich oder anderswo gehen sollte, als sie hörte, dass Gianluca ebenfalls etwas plante. «Dann ging es schnell», sagt Elena. Der Whatsapp-Chat wurde immer grösser, während der Entstehung dieses Textes wuchs er auf 62 Mitglieder. Eine polizeiliche Bewilligung wurde organisiert, der Streik mit Umzug und allem, was dazugehört, geplant.

Streik mit Ansage
Inspiriert von der inzwischen weltberühmten schwedischen Schülerin Greta Thunberg wuchsen Klimastreiks rasch zu einer weltweiten Bewegung, die längst auch die Schweiz erreicht hat. Am 18. Januar gingen in Schweizer Städten rund 22 000 Schülerinnen und Schüler auf die Strasse, am 2. Februar demonstrierten rund 50 000 Leute. Die Bewegung hat keine Anführerinnen, ist bewusst dezentral und digital organisiert. Hashtags wie #eusizuekunft bringen zum Ausdruck, dass die Jugend nichts weniger als die Rettung ihrer Lebensgrundlagen fordert. In mehreren Städten und Kantonen wurden Forderungen der Klimastreik-Bewegung schon in parlamentarische Vorstösse übersetzt.

Die Kantonsschulleitung hörte erst vom in Schaffhausen geplanten Streik, als Radio Munot bei Rektor Pasquale Comi anrief, später erhielt er auch ein Mail von einer Schülerin aus dem Organisationskomitee. «Da wir der Meinung sind, dass seitens der Politik, aber auch seitens der Zivilgesellschaft unseres Landes zu wenig zur Linderung des Klimanwandels beigetragen wird, haben wir beschlossen, einen Klimastreik hier in Schaffhausen zu organisieren.» Die Schulleitung wurde einerseits vor Tatsachen gestellt, andererseits auch um die Erlaubnis gebeten, der Schule fernbleiben zu dürfen.

Rektor Pasquale Comi erteilte diese Erlaubnis nicht. Er antwortete, die Schulleitung habe grosse Sympathien für die Anliegen und das Engagement der Kantischülerinnen und -schüler, das Fernbleiben vom Unterricht für den Streik sei aber eine unentschuldigte Absenz. Diese milde Sanktion hat sich an anderen Schulen bei Klimastreiks inzwischen etabliert. Sie hat kaum Konsequenzen: Im Wiederholungsfall kann es zu einem Verweis kommen, doch Pasquale Comi verspricht «Augenmass». Weitere Möglichkeiten für die individuelle Handhabung von wiederholten unentschuldigten Absenzen sind laut dem Rektor beispielsweise Arbeitseinsätze beim Pedell oder kleine Geldstrafen. Wer an den Klimastreik geht und nicht bereits zu viel auf dem Kerbholz hat, muss also nichts befürchten.
Dass er das Fehlen nicht einfach hinnehmen könne, sei «Part of the Game», sagt Comi: Würde er das Fehlen erlauben, wäre es schliesslich kein Streik. «Ich sehe der Sache gelassen entgegen, sagt der Rektor, die Lehrpersonen seien informiert und der Zeitrahmen des Streiks bekannt.

Gelassen sind auch Elena, Gianluca und Anna-Lena. Sie akzeptieren, dass die Schule reagieren muss: «Eine unentschuldigte Absenz ist okay», sagt Anna-Lena, «das ist es mir total wert.» Elena sagt, weitere Demos könnten durchaus auch am Wochenende stattfinden. Wenn es weitere Streiks geben sollte, setzt sie auf die Stärke der Masse: «Wenn viele streiken, kann die Schule nicht alle bestrafen.»

Pasquale Comi aber sagt, wenn es zu mehreren Streiks an Freitagen kommen sollte, wäre das ein Problem. Dennoch macht er keinen Hehl aus seiner Sympathie für die engagierten Jungbewegten, die ihn an die Friedensbewegung der Achtziger erinnern, als er auf die Strasse ging. Er würde sich wünschen, dass das Engagement der Jungen sich auch bei anderen Themen manifestieren würde.

Über 400 Follower auf Instagram
Ob die Kantonsschule morgen Vormittag halb leer sein wird, ist schwer abzuschätzen. Auf Instagram hat der Schaffhauser Klimastreik über 400 Follower, bei denen es sich jedoch nicht nur um Schaffhauser Schülerinnen und Schüler handelt. Das OK ist optimistisch: «Ich denke schon, dass es möglich sein sollte, die Hälfte der Kanti mobilisieren zu können», sagt Elena, und Gianluca findet: «Wenn 100 kommen, ist es zumindest keine Blamage.» Er hofft ausserdem, dass Gleichgesinnte aus Zürich anreisen, wo morgen kein Klimastreik stattfindet. Zudem ist auch das BBZ im OK vertreten, es handelt sich nicht nur um einen Kanti-Streik.

In mehreren Schweizer Städten sind für morgen Klimastreiks ausgerufen worden, in einem Monat wird in elf Städten erneut gestreikt. Die Forderungen in Schaffhausen sind die gleichen wie in der ganzen Schweiz: Erstens soll die Schweiz ihre Treibhausgasemissionen aus fossilen Brennstoffen bis 2030 auf null reduzieren (das Pariser Klima-Abkommen lässt den UNO-Staaten dafür bis 2050 Zeit, die Schweiz hat sich bis 2030 lediglich zu einer Halbierung verpflichtet). Zweitens soll der Klimanotstand ausgerufen werden. Diese Forderung, die es im Jura bereits in einen politischen Vorstoss geschafft hat, lehnt sich an den in Städten wie London, Oakland und Vancouver bereits beschlossenen Klimanotstand an. In der Schweiz würde das bedeuten, dass Politik und Behörden dem Klimaschutz einigermassen radikal höhere Priorität einräumen müssten.

Wenn morgen auch in Schaffhausen die Schülerinnen und Schüler demonstrieren, geht es einerseits um diese zwei grossen Forderungen der Klimastreik-Bewegung, andererseits um ihre weitere Vergrösserung: «Wir wollen die Leute erreichen und ihnen bewusst machen, dass sie etwas verändern können und müssen», sagt Anna-Lena. Dies betreffe auch das individuelle Konsumverhalten. Elena kauft beispielsweise möglichst konsequent lokale und saisonale Lebensmittel, Gianluca isst wenig Fleisch und verzichtet auf Flugreisen.

Der Streik soll erst der Anfang sein
Gianluca, der Jüngste der drei, ist Mitglied bei den jungen Grünen, möchte das aber nicht an die grosse Glocke hängen. Das ist typisch für die Bewegung: Die Jugendlichen verstehen den Klimaschutz nicht als Frage von Links oder Rechts. Dennoch sagt Gianluca: «Wenn es im Kapitalismus nicht möglich ist, die Probleme des Klimawandels zu lösen, braucht es einen Systemwandel.»

Nach dem Streik wird das OK beraten, wie es weitergeht. «Die Bewegung soll auch in Schaffhausen über das ganze Jahr hinhalten», sagt Gianluca. Ein zweiter Streik sei durchaus möglich. Als Nächstes planen Elena, Gianluca und Anna-Lena, am 15. März am Klimastreik in Zürich teilzunehmen – an der Kanti fällt dann die Schule wegen einer Tagung der Lehrpersonen praktischerweise ohnehin aus.

 

Der erste Klimastreik in Schaffhausen beginnt am Freitag, 15. Februar, um 9.30 Uhr, auf dem Fronwagplatz. Nach einem Umzug über den Herrenacker bis zur Schifflände und zurück über Unterstadt und Vordergasse endet er auf dem Fronwagplatz mit ­einer Kundgebung.