Der einzige Hund lanciert seine Rap-Karriere. Ein Gespräch über 101 Dalmatiner, Business-Ratgeber und die Normalität seiner bipolaren Störung.
Er ist der verrückteste Hund, der derzeit durch Schaffhausens Gassen streunt: Johann alias Der einzige Hund. Der 28-Jährige, fast 1,90 lang, dünn, ist vor ein paar Jahren aus dem St. Galler Rheintal hierhergezogen. Hat die Ausbildung zum Primarlehrer gemacht, in Punkbands gespielt. Und jetzt, als einziger Hund, will er eine Rap-Karriere starten – schliesslich ist er «dä erscht Schwiizer Rapper sit em DJ Bobo», wie er singt. Zwei Alben hat er kürzlich veröffentlicht, Twilight Bark und #NoHomo (zu hören auf der Plattform Soundcloud).
Die Songs sind kurz, sie haben eingängige Beats, verträumte Melodien und eine leicht lallende Stimme, die mittels Autotune bis unters Hüttendach hochgezogen wird. Kurz: Der einzige Hund macht Trap, man könnte es Cloud Rap nennen, mit einem grossen Schuss psychedelischem, tranceartigem Selbstgebrannten.
Zum Interview empfängt er die AZ in seinem WG-Zimmer in der Schaffhauser Altstadt; es ist Montag, kurz nach 16 Uhr, und Der einzige Hund schenkt Kaffee ein. Seine Haut ist ordentlich tätowiert. Auf dem rechten Unterarm prangt ein Schriftzug: «no regrets», keine Reue.
Einziger Hund, bist du nüchtern?
Der einzige Hund Nein, gar nicht. Den hier habe ich angeraucht (zeigt auf einen Joint), und ein zweiter liegt schon parat.
Vor Kurzem hast du auf deinem Instagram-Profil empfohlen: «Nehmt viele Drogen und seht euch jeden Tag 101 Dalmatiner an, das ist der beste Film, den es gibt.»
Viele Drogen zu nehmen, ist nicht meine Lebensphilosophie; in diesem Kontext hat das einfach gepasst. Wichtiger ist sowieso 101 Dalmatiner. Der Film ist super, er tut mir gut. Ich kann ihn zum Meditieren nutzen.
Warum fasziniert dich genau dieser Film?
Der einzige Hund entstand in einem Moment, in dem mich der Film mega geflashed hat. Die Story, die Figuren, die Darstellung von Fernsehen im Film – alles, was bei mir damals emotional im Leben relevant war, wurde gut erklärt, auf einer moralischen Ebene. Das ist, wie wenn dich ein Symbol flashed. Zum Beispiel das Yin-Yang-Symbol. Hast du nicht auch so ein Zeichen, das Kompliziertes echt gut erklärt?
Nein, ich bin nicht besonders spirituell.
Bist du Fan von Diagrammen?
Weniger.
Ich bin halt der Fantyp. Ich sage oft: «Das ist mein Lieblingslied.» Und jetzt bin ich gerade im 101-Dalmatiner-Modus. Mal schauen, wie lange das noch andauert. Hey, wir sollten uns den Film jetzt gemeinsam ansehen.
Ich kenne ihn aus meiner Kindheit.
So ein wunderbarer Film! Wunderbare moralische Werte.
Eine böse Frau will Dalmatiner zu einem Pelzmantel verarbeiten, scheitert aber.
Das ist nicht das Drama! Sie ist eine schreckliche, egoistische Figur, aber böse meint sie es nicht. Es geht ihr ums Kaufen, und sie versteht einfach nicht, warum jemand so an diesen Scheisshunden hängt.
Sprich: Liebe versus Geld.
Voll.
Wie entstand Der einzige Hund aus diesem Hundefilm?
Beim Schauen merkte ich, dass sich alles zum Schönen drehen wird, wenn ich mit allen connecte, allen Beziehungen Sorge trage, die mir wichtig sind. Nach 101 Dalmatiner fühlte sich das sehr einfach an. Ich habe versucht, mich mehr um meine Umwelt zu kümmern. Und das führte dazu … wow, jetzt wird es schon echt intim. Das führte zum Beispiel dazu, dass ich an jenem Tag beschloss, eine engere Beziehung mit meinem Vater zu führen.
Nehmen wir an, Der einzige Hund besässe einen eigenen Eintrag im Bio-Fachbuch, Stichwort «canis lupus unicus». Was stünde in der Beschreibung?
Poah. Das ist huere unkonkret.
Besondere Merkmale, Charakter, Verbreitungsgebiet, Paarungszeit – solche Dinge.
Okay. Pass auf: Der einzige Hund steht zu einhunderttausend Prozent dafür, dass du okay bist. Weil wir zwei jetzt miteinander reden, nur darum geht es. Und das kann man auf jeden einzelnen Menschen anwenden.
Der einzige Hund lebt also nur im Moment?
Mega im Moment, im Jetzt.
In einem Song rappst du, du seist «ä abgfuckts Tier». Warum?
Wenn ich schreibe, geht es immer um Gefühle, nicht um ein Detail. Meine Handschrift verändert sich auch, je nach Emotion. Darum will ich gar nicht über einzelne Zeilen reden.
Hat der Hund eigentlich ein Herrchen? Oder ein Frauchen?
Meine Idole sind: Lil Peep, Money Boy und Helge Schneider.
Und ausserhalb der Musik?
Disney finde ich gut. Und von Dale Carnegie bin ich mega Fan.
Wer ist das?
Der hat ein Buch geschrieben: How to Win Friends and Influence People. Ein Business-Ratgeber.
Eine Sammlung von Phrasen zur Selbstoptimierung?
Das fühle ich (holt das Buch aus einem Schrank). Seit 70 Jahren wird es neu aufgelegt.
«Das einzige Buch, das dich zum Erfolg führt» steht im Untertitel.
Es ist Zufall, dass es ein Business-Buch ist. Eigentlich geht es um menschlichen Umgang, darum, dass du in jedem Gespräch Verträge abschliesst.
Das heisst, du willst immer deinen Profit herausziehen?
Voll nicht! Der Titel klingt manipulativ, mega schlimm. Aber das Buch ist verdammt guter Stoff. Es verneint zum Beispiel den Wert von Diskussionen, wenn es ums Bluffen, Vergleichen geht. Solche Diskussionen sind nur dazu da, bestehende Fronten zu stärken. Eigentlich geht es darum, zusammenzukommen. Ich konnte etwas sehr Schönes herausziehen: Ich will eine gute Person für meine Mitmenschen sein. Lächeln, ehrliches Interesse zeigen. Keine Tricks.
Du hast eine Ausbildung zum Primarlehrer abgeschlossen. Wie wurde aus dem Pädagogen Der einzige Hund, der singt, «Ich ha en Schissdreck studiert, jetzt bini top motiviert»?
Ich habe 101 Dalmatiner geschaut (lacht). Nein, als ich das Studium vor eineinhalb Jahren abschloss, behielt ich meine alten Service-Jobs in der Rhybadi und im Cardinal … Tschuldigung, wie lautete die Frage?
Warum interessiert dich das Lehrersein nicht?
Die Praktika haben mir keinen Spass gemacht. Dann hat eines zum anderen geführt. Ich kam meinem Bruder sehr nahe. Er hat Philosophie studiert und macht jetzt eine Lehre im Gartenbau. Früher ging es bei uns um Wettbewerb. Dann hatten wir einen Ich-verzeihe-dir-Moment. Seither ist mir anderes wichtiger.
Im Song «Pongo» rappst du: «Ich ha müesse Lehrer werde, zum glaube, dassi i de Schuel nu Scheiss lern.»
Das klingt dumm, aber so ist es. Die Ausbildung war super. Aber ich kann jetzt nicht in ein Klassenzimmer stehen und den Kindern auftragen, etwas zu lernen, obwohl sie lieber etwas anderes machen würden. Mein Glück finde ich nur, wenn ich ehrlich zu mir bin. Ausserdem erinnerte ich mich daran, woraus ich während der Schulzeit meinen emotionalen Support erhielt: aus der Musik.
Musik ist doch das Einzige, was einem durch die Pubertät bringt.
Voilà. Der einzige Hund hat sich angefühlt wie meine letzte Chance.
Wie meinst du das?
Ich wollte es nochmals probieren mit der Musik. Diesen Traum hatte ich schon immer.
Du hast vorher immer in Punkrock-Gruppen gespielt. Warum nun der Wechsel zum Hip-Hop, zum Trap?
Alleine Musik machen.
Trap ist gerade schwer in Mode.
Zum Glück! Deshalb bekam ich wieder Bock, Musik zu machen.
Hattest du aufgehört mit der Musik?
Ja, ich fand: Das lasse ich jetzt hinter mir. Ich stand mit einem Fuss in einer Ehe und dachte, ich werde Lehrer.
Seither hat sich viel verändert. Woran glaubt denn Der einzige Hund im Leben?
An die Liebe! Fuck, mega fest. Der einzige Hund kann das manchmal besser – und manchmal schlechter.
Ziemlich menschlich, dieser Hund.
Ja eh.
Warum ist er eigentlich der «einzige» Hund?
Weil: Er ist in einem sehr einsamen Spot entstanden. Er gleicht ein wenig der Momo.
Aus dem Jugendbuch von Michael Ende?
Genau.
Momo ist eine Art Seelsorgerin. Sie kann sehr gut zuhören, weshalb die Menschen ihre Geschichten viel schöner erzählen können.
Auch der Hund hat eine solche Spezialfähigkeit – hey, wir haben noch gar nicht über die Hunde-Katze-Metapher geredet.
Hunde-Katze-Metapher?
Die Katze liebt sich selber und geht dorthin, wo es für sie am geilsten ist. Der Hund hingegen gibt alles für andere, bedingungslos. Manchmal fühlt es sich so an, als wäre ich Der einzige Hund, darum der Name. Die hundige Eigenschaft fehlt mega fest im alltäglichen Leben. Das kreide ich auch unserem Schulsystem an … aber ich schweife schon wieder ab.
Schweife weiter.
Es geht um das Geben, nicht um das Nehmen. Das ist meine Philosophie. Das bedeutet nicht, dass ich sie crazy gut umsetze, überhaupt nicht. Es geht um den Anspruch an sich selber. Auf Instagram spiele ich damit.
Du gehst dort enorm offen mit deiner Person um. Du dokumentierst deine Depression sehr ausführlich – etwa die Antidepressiva, die du nimmst, oder deinen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik.
Voll.
Magst du überhaupt darüber reden?
Sicher, kein Problem.
Das ist mutig.
Fuck, wir schliessen den Kreis sehr gut. Wir kommen auf die Frage zurück, warum ich vom Punk zum Rap gewechselt bin. Bei mir hat man eine bipolare Störung diagnostiziert. Nun gibt es eine Plattform auf der Welt, wo du dich für so etwas nicht schämen musst, sondern damit sogar angeben kannst. Und das ist der Rap. Hier singt man über Drogen, Tabletten, Benzos – wie meine Antidepressiva oder das Valium, das ich noch habe, obwohl ich es nicht mehr bräuchte. Das zeige ich manchmal gerne.
Ist das auch eine Form der Verarbeitung?
Schon. In der Klinik bin ich gelandet, weil ich vor allen geradegestanden bin; es sind ein paar ganz intime Dinge passiert, mit der Familie, mit Freunden. Man kann sagen, dass ich meine inneren Dämonen bekämpft habe. Es geht auch darum, anderen zu zeigen, dass man sich dafür nicht zu schämen braucht. Noch mancher wäre mit mir zwei Wochen in der Klinik gelandet, wenn er sich seinem Siech gestellt hätte, so, wie ich das getan habe.
Du bist sehr direkt zu dir. Im Lied «Sick» singst du: «Bin jetzt offiziell behindert, zu sick. Gibmer Drugs, ich wött nüm fühle.»
Ach, dieses Wort, behindert. Ich fände es geil, wenn man damit wieder öfter um sich werfen könnte. Ich meine, bipolare Störung ist auch nur ein medizinischer Ausdruck für etwas ganz Normales. Das fühlt sich nicht wie eine Behinderung an.
Dann lass uns zum Schluss eine behinderte Frage klären: Wird Der einzige Hund jemals eine Hundemarke tragen?
Geht es jetzt wieder um Love?
Oder um Sesshaftigkeit.
Keine Ahnung. Ich bin offen für Kollaborationen mit Leuten, die auf einem ähnlichen Film sind wie ich. Aber Der einzige Hund ist jetzt recht solo unterwegs. Er macht sich nicht abhängig, wenn nicht genug zurückkommt.