Aniello Fontana – vom Einwandererbub zum Immobilienkönig, vom Curling-Amateur zum Besitzer des FC Schaffhausen. Ein Nachruf.
Was von Aniello Fontana bleibt? Natürlich: das neue Stadion, die vielen Bilder von euphorischen Fussballern des FC Schaffhausen, seine Familie, Hunderte Immobilien.
Vor allem aber bleibt seine Stimme, breiter Schaffhauser Dialekt, ruhig, mild, zumindest in seinen letzten Lebensjahren.
An einem grauen Nachmittag, es war vor ziemlich genau vier Jahren, im Februar 2015, sass Aniello Fontana an einem riesigen Sitzungstisch in einem hellen Raum seiner Immobilienfirma, rund um den Tisch standen grauenhafte Holzstühle mit Zebramuster. Er hat stets zu diesen Stühlen gehalten, warum auch immer, Einzelanfertigungen von anno weissichnicht; Fontanas kleiner Körper versank fast darin.
Das Gespräch drehte sich um den Bau des neuen FCS-Stadions im Herblingertal, denn kurz darauf stimmte die Stadt Schaffhausen über einen Beitrag ans Projekt ab (was jedoch recht deutlich abgelehnt wurde).
Bald holte Fontana ein paar dicke Ordner hervor und sagte, schauen Sie, wir haben alles nachgerechnet, hundertmal, wir könnten morgen mit dem Bau beginnen. Er schob die Ordner über den Tisch, und man konnte sich alles anschauen: die budgetierten Einnahmen, die Mieter, den Materialtypus des Kunstrasens und und und.
Ärger darüber, dass man danach, salopp gesagt, schrieb: «Fontanas Stadion taugt nichts!», bevor es überhaupt gebaut war, liess sich der Patron nicht anmerken. Später konnte man kritisieren, dass auch das gebaute Stadion wenig tauge, und der Capo blieb gelassen; tatsächlich, er gab einem seine Direktwahl ins Büro.
Wenn man die Nummer jetzt wählt, fehlt diese milde Stimme, stattdessen ertönt eine fremde, junge.
Am Sonntag, 20. Januar 2019, starb Aniello Fontana, 71-jährig, an einer Tumorerkrankung, deren Diagnose er zweieinhalb Jahre zuvor erhalten hat. Aniello Luca Giulio Orazio Fontana, 1947–2019, steht in der Todesanzeige der Familie.
«Der beste Verkäufer»
Im September 1956, mit neun Jahren, stand Aniello Fontana auf dem Perron des Bahnhofs Schaffhausen, daneben seine Mutter und ein Koffer, worin ihr ganzer Besitz verstaut war. Dieser Moment ist auf einem Foto festgehalten. Später hat es Fontana stolz herumgezeigt, unter Freunden, Geschäftspartnern, Konkurrenten.
Er hat immer gern erzählt, wie er und seine Mutter von der Amalfiküste, 50 Kilometer südlich von Neapel, mit nichts in die Schweiz gekommen sind, wie er sich hochkämpfte zu einem der grössten Immobilienunternehmer Schaffhausens, wie er Präsident des FCS wurde, obwohl er selbst nie Fussball gespielt hat.
Zwischenzeitlich beschäftigte Fontana über 200 Angestellte. In den 28 Jahren als FCS-Präsident hat er um die 20 Millionen Franken in den Klub investiert, exklusive der 16 Millionen, die sein Anteil des Stadions kostete.
Wie gross Fontanas Vermögen zuletzt war, 40, 80, 100 Millionen Franken? Niemand weiss das so genau. Wie überhaupt niemand genau weiss, wie Aniello Fontana so schnell aufsteigen konnte.
In den 1960er-Jahren begann er eine Lehre als Maschinenschlosser beim Industrieunternehmen SIG in Neuhausen. Dass der Asbest, mit dem er damals in Berührung kam, dereinst zu einem unheilbaren Tumor im Brustfell führen sollte, konnte er damals noch nicht wissen. Nach der Lehre wechselte er die Kleider und wurde Verkäufer – zunächst brachte er für die Firma Arbonia Forster Küchen unter die Leute. «Er war der beste Verkäufer, den ich kannte», sagt ein Geschäftskollege von damals. «Das zog sich durch sein ganzes Leben: Er hat im richtigen Moment die richtigen Leute gekannt und überzeugt.»
Fontanas Talent hätte sich auch in der Politik bewähren können. Mit 30 wurde er Präsident der FDP Neunkirch, wo er damals wohnte. Ein paar Jahre später verpasste er jedoch die Wahl in den Einwohnerrat, worauf man politisch nichts mehr zu Ohren bekam. Er habe sich mehr für seine Geschäfte als für Politik interessiert, erzählen Zeitzeugen, dort sei es zügiger vorangegangen.
Husarenstück und Scherereien
In der Tat. Fontana verkaufte nicht nur Küchen wie ein Wilder, sondern auch Oldtimer, und bald, zum Ende der 1970er-Jahre, erwarb er in Neunkirch seine ersten Häuser. Das entscheidende Jahr kam 1985, als er alleiniger Besitzer der Ritter Immobilien wurde, einer damals nicht unbedeutenden Firma. Da war er gerade mal 38 Jahre alt.
Wie konnte er das bezahlen? Der Firmengründer, Walter Ritter, war schwer krank und suchte einen Nachfolger, vermutlich war der Preis nicht allzu schlecht. Gleichwohl spricht man in der Branche von einem «Husarenstück».
Manche streichen die Rolle von Aniello Fontanas Frau Agnes beim Kauf hervor, geborene Hubli, Tochter eines alteingesessenen Handwerkunternehmens. Das Paar hatte 1968 geheiratet und bekam drei Kinder, die heute alle im familieneigenen Betrieb arbeiten; nicht umsonst ist vom Fontana-Clan die Rede.
Drei Jahre nach der Übernahme der Ritter Immobilien, 1988, liess Fontana am Südostrand von Neunkirch eine mächtige Villa bauen, gut doppelt so gross wie ein geräumiges Einfamilienhaus, der Grundriss in Form eines Diamanten, dazu gewaltige Fensterfronten und viel Umschwung.
Aha, ein Neureicher, schnödete man im Städtli.
«Wenn Aniello einen Fünfliber auf dem Trottoir fand», erzählt ein ehemaliger Kollege, «machte er daraus eine Tausendernote.»
Es ist kein Zufall, dass keiner seiner früheren Kollegen und Konkurrenten namentlich erwähnt sein will (sie möchten «das Erbe nicht beschmutzen», sagen sie, manche aufrichtig, manche sarkastisch).
Am Ende von gemeinsamen Geschäften habe es oft «Scherereien» gegeben, hört man, und manchmal musste auch ein Gericht zur Schlichtung herbeigezogen werden.
Keine Ahnung von Fussball
1991 wurde Aniello Fontana Präsident des FC Schaffhausen – der Klub, wenngleich stark verschuldet, stand damals an der Schwelle zur Nationalliga A. Dabei hatte Fontana noch nicht einmal ernsthaft gegen einen Fussball getreten. Seine sportliche Erfahrung beschränkte sich auf ein bisschen Handball in der Jugend und auf sein Curlingteam «CC Kaufleute 1», dessen Captain und Skip er während über zehn Jahren war (Höhepunkt war der zweite Rang an der Schaffhauser Kantonalmeisterschaft 1987).
Arthur Ulmer, Ehrenmitglied des FC Schaffhausen und langjähriger Gönner, spielte damals in derselben Curlingmannschaft. Er erinnert sich: «Als feststand, dass der vormalige FC-Präsident John Keiser zurücktreten wollte, fragte ich Aniello, ob er die Aufgabe übernehmen wolle, doch er lehnte ab: ‹Danke, aber ich verstehe nichts von Fussball.› Zwei Wochen später rief er mich allerdings zurück und meinte, er habe sich das nochmals überlegt, er würde den Klub übernehmen, sofern er schuldenfrei sei. So hat sich das ergeben.»
«Ich bin mir sicher», fährt Arthur Ulmer fort, «dass Aniello gesehen hat, dass er mit dem FCS gute Werbung für seine Geschäfte erhalten würde, und umgekehrt, auch wenn er das nie so gesagt hat. So hat er den Klub gleich geführt wie seine Unternehmen: hartnäckig.»
Aus der schuldenfreien Übernahme wurde aber nichts. Wie sich herausstellte, war der Klub nicht nur, wie offiziell bekannt gegeben, mit 400 000 Franken in den Miesen, insgesamt belief sich das Minus auf 1,3 Millionen, was dazumal einem ganzen Saisonbudget entsprach.
Die Sparkur, die Fontana dem Verein verschrieb, kam insbesondere bei den Spielern nicht gut an. Geschlossen stimmte die erste Mannschaft um ihren Kapitän Jogi Löw 1991 gegen Fontana als neuen Präsidenten. Gleichwohl setzte sich Fontana mit 92 zu 22 Stimmen durch. Als Erstes führte er, mitten in der Saison, eine Lohnkürzung um 20 Prozent ein.
So erzählt man sich die Legende, dass Präsident Fontana kurz darauf, nach einem Auswärtsspiel in La-Chaux-de-Fonds, zusammen mit dem Team im Bus nach Hause fahren wollte. Die Spieler jedoch verweigerten ihm den Zutritt, mit der Begründung, er gehöre nicht dazu, worauf sich Fontana nach einer anderen Fahrgelegenheit umsehen musste (seine Frau habe ihn nach Stunden des Wartens abgeholt, erzählt man sich).
2007, anlässlich der 111-Jahr-Feier des FCS, meinte Jogi Löw gut gelaunt zu Fontana: «Du warst der einzige Präsident, der mich je zu einer Lohnreduktion überreden konnte.»
Die Zukunft ist offen
In den 28 Jahren unter Aniello Fontana als FCS-Präsident blieb es zwar selten ruhig, richtig unangenehm, so, wie das bei fast allen Profiklubs in der Schweiz der Fall war, wurde es jedoch kaum. Auf den Cupfinal 1994 folgte der Absturz in die erste Liga; nach drei Super-League-Saisons nach dem Aufstieg 2004 rutschte der Verein abermals in die erste Liga; zuletzt hat er sich jedoch als Challenge-League-Klub gefestigt.
Gleichzeitig entwickelte sich ein Geflecht von einem Dutzend Firmen, vornehmlich in der Immobilienbranche. Diese Betriebe hat Fontana in den letzten Jahren an seine Kinder überschrieben.
Um die Nachfolge des FC Schaffhausen zu regeln, blieb dem Capo letztlich zu wenig Zeit, die Krankheit war unerbittlich. Jetzt muss der Familienclan in die Hosen steigen; es wird schwierig genug werden.