«Allahu akbar»-Gruss: Philippe Wenger empfindet die Polizeiverordnung als öffentliches Ärgernis. Ein Kommentar.
Seien Sie vorsichtig, welche Worte Sie wählen, wenn Sie in Schaffhausen jemanden laut begrüssen. Ein junger Mann türkischer Abstammung tat das mit den Worten «Allahu akbar!», was Arabisch ist und so viel bedeutet wie «Gott ist der Grösste». Und es ist ein gängiger Ausdruck.
Er rief es einem Bekannten zu, und das offenbar in einer gut hörbaren Lautstärke. Denn auch eine etwa 40 Meter entfernte Kantonspolizistin hörte es. Sie reagierte, unterzog den Mann einer Personenkontrolle und empfahl der Stadtpolizei, ihn zu büssen – was diese auch tat. Die Grundlage dafür ist Artikel 18 der Schaffhauser Polizeiverordnung (POV), wonach unter anderem jemand gebüsst werden kann, der «öffentliches Ärgernis» erregt.
«Allahu akbar» ist nicht nur eine Grussformel und Teil der islamischen Liturgie. Der Ausspruch ist in Europa vor allem bekannt, weil islamistische Attentäterinnen und Attentäter ihn schreien, bevor sie sich und möglichst viele andere Menschen in den Tod sprengen. Seit den Attentaten in Brüssel, Paris, Nizza, London löst man etwas aus, wenn man «Bombe!» inmitten einer Menschenmasse ruft.
Als ich vor zwei Jahren in Brüssel war, liessen zwei Kinder einen Ballon platzen; mitten auf dem von Touristen gefüllten Grossen Platz vor dem Rathaus. Nicht wenige zuckten zusammen, ein paar Menschen duckten sich, eine Frau schrie kurz auf und mehrere Augenpaare richteten verängstigt-böse Blicke auf die Kinder. Vor der Jahrtausendwende wäre das nur ein zerplatzter Ballon gewesen. Jetzt macht sowas Angst.
Die Kinder wurden ausgeschimpft. Und es war wahrscheinlich auch richtig, den jungen Mann aus Schaffhausen zu ermahnen, «Allahu akbar» zurückhaltender zu verwenden. Aber mit der Busse wurde der Grat überschritten, der einen massvoll repressiven Einsatz für ein friedliches Zusammenleben vom Aufreissen sozialer Gräben trennt.
Dass die Gefahr besteht, solche Gräben aufzureissen, ist auch der Stadtpolizei bewusst. Diese hat angekündigt, ein Gesprächsangebot der Föderation Islamischer Dachorganisationen Schweiz (FIDS) anzunehmen, um «einen zusätzlichen Ansprechpartner» bei kulturellen oder religiösen Fragestellungen zu haben, sagt der Chef der Stadtpolizei, Romeo Bettini.
Ein weiteres Problem ist der besagte Artikel 18 der Polizeiverordnung (POV). Teile davon könnten gegen übergeordnetes Recht verstossen, weil bereits das Strafgesetzbuch diese Übertretungen und Vergehen regelt. Und zum Begriff des «öffentlichen Ärgernisses» sagt der Strafrechtsprofessor Marc Thommen: «Man hat keine Ahnung, ob das Herauswerfen einer Geburtstagstorte aus dem Fenster ein öffentliches Ärgernis darstellt.» Sprich: Der Begriff ist schlicht nicht genügend bestimmt: Niemand weiss, was darunter genau zu verstehen ist, und so wird er in Schaffhausen auch für Dinge angewendet wie das Erklettern von Dächern und Kursschiffen oder das Umstossen von Fahrrädern. Das könnte gemäss Thommen gegen das Legalitätsprinzip verstossen.
Die Geschichte wird als lokales Kuriosum in Erinnerung bleiben – davon zeugt, dass sie es auch in ausländische Medien geschafft hat. Für Schaffhausen sollte die Lehre daraus gezogen werden, generell etwas entspannter zu sein – und Bussen gemäss Artikel 18 POV generell anzufechten.