Seit 50 Jahren will uns Erich von Däniken davon überzeugen, dass wir von Aliens abstammen. Mit 83 ist er kurz vor dem Ziel. Sagt er.
Erich von Däniken, was ist eigentlich, wenn sich eines Tages herausstellt, dass Sie komplett falsch liegen? «My dear», sagt er mit der Gutmütigkeit eines Grossvaters und der Verbissenheit eines Boxers. Er bläst Zigarettenrauch in die Luft. «My dear, diese Frage funktioniert nicht, denn ich liege nicht falsch.»
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Mit Erich von Däniken in Kontakt zu treten, ist nicht schwierig. Beim ersten Versuch per Telefon nimmt jemand ab. Seine Frau Elisabeth, verheiratet seit 58 Jahren, ist am Apparat. Ob ihr Mann zu sprechen sei. Ja, sagt sie, kommt sofort; im Hintergrund ist ein lautes «Erich!» zu hören, dann ein Rauschen und Rascheln, Hörerübergabe.
«Von Däniken», ertönt eine feste Stimme. Jede Silbe ist gleichmässig druckvoll betont.
Ob er an einem Treffen interessiert sei, man wolle wissen, was er zurzeit mache.
«Was ich mache!», ruft er etwas beleidigt, der Druck in der Stimme steigt schlagartig. «Ich bin international unterwegs, 200 Tage pro Jahr weg! Heute direkt von Brasilien heimgekommen! Sit 40 Schtunde nümme im Näscht gsi! Aber ja, Treffen, wann? Morgen? Übermorgen? Welchen Tag haben wir heute?»
Es wird schliesslich Überübermorgen, ein Donnerstag, um 15 Uhr.
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Erich von Dänikens Büro liegt im West-Teil Interlakens, in einem mehrstöckigen Gebäude auf einer Insel in der Aare. Dänikens Firma AAS – Archäologie, Astronautik und SETI (Suche nach extraterrestrischer Intelligenz) – befindet sich im 3. Stock. Er teilt sich die Etage mit Anitafit. Der Lift ist eng, das Ganglabyrinth dunkel. Vor einer schmucklosen Türe bleiben wir stehen und klopfen. «Nur immer herein», ruft eine bekannte, druckvolle Stimme von innen.
Von Däniken sitzt an seinem riesigen Schreibtisch, so massiv wie die 80er-Jahre, und arbeitet an einem Dokument. Er brauche noch einen Moment, sagt er, aber schauen Sie sich doch mal um, nur keine falsche Scheu, nur fotografieren, Schubladen aufreissen, er habe keine Geheimnisse hier drin.
Das Büro erstreckt sich über vier Räume. An den Wänden drängen sich Regale, funktionale Metallkonstruktionen wie im Baumarkt, vollgepackt mit Büchern, wie überhaupt alles, was irgendwie als Ablage nutzbar ist. Da und dort liegt ein abgetretener Teppich mit sonderbaren Mustern. Sämtliche Fenster sind mit Vorhängen verdeckt, farblich passt kaum einer zum anderen; sie tanzen leicht in der Luft, praktisch Ausdruckstanz. Zahlreiche Neonröhren an der Decke versuchen, das zurückgehaltene Tageslicht vergessen zu machen. Es riecht nach Zigarettenrauch.
Als das Dokument fertig bearbeitet ist, löst sich der 83-jährige Erich von Däniken mit jugendlichem Schwung von seinem komfortablen Bürostuhl, schüttelt die Hände, führt durchs Büro. Er ist gut einssechzig gross, trägt ein blaues Sakko, einen strengen Seitenscheitel und hat einen Blick, der immer leicht unterhalb des Ziels einzuschlagen scheint, eindringlich, forsch.
«Was möchten Sie trinken?», fragt er. «Ich habe Cola light, Eistee light oder Whisky.»
Er holt eine Flasche Black Label, ein Glas und eine Packung Eiswürfel, stellt sie auf den Tisch und sagt, man solle sich so viel einschenken, wie man wolle, zum Wohl. Er selbst trinke nichts, er habe noch zu tun, seine Regel sei: trinken erst nach 20 Uhr. «Bis vor einem Jahr habe ich täglich eine Flasche Rotwein getrunken. Von der Säure habe ich jedoch Gicht bekommen. Seither saufe ich jeden Abend vier bis fünf Whisky, Johnny Walker Black Label.»
EvD, wie er sich selbst nennt, setzt sich wieder und steckt sich eine Zigarette an. Er rauche jeden Tag ein ganzes Päckchen, sagt er, dann wettert er gegen Gesundheitsfanatiker, eine Übung aus dem Effeff. «Natürlich werden Raucher krank», holt er aus, «speziell, wenn sie daran glauben, Krebs zu bekommen. Das sind alles Psychopathen, alle beeinflussbar. Wenn einer eine starke Persönlichkeit hat, sagt: Mir macht das nichts, dann macht es mir auch nichts.»
Dann erzählt Erich von Däniken, was er allen erzählt. Wie unsere Vorfahren Besuch von Ausserirdischen erhielten. Wie die Ausserirdischen mit ausgewählten Menschen Sex hatten und sie schulten, also unsere Vorfahren evolutionstechnisch ein wenig nach vorne schubsten. Wie antike Bauwerke wie die Pyramiden nur dank des neuen technischen Knowhows errichtet werden konnten. Wie die Menschen die Aliens irrtümlicherweise für Götter hielten. Wie dieser Irrtum in unzählige Kulturen – von Raumanzügen bei Azteken-Bildnissen über Alienköpfe auf der Osterinsel bis zu einer Raumschifflandung im Buch Mose – einging. Wie nun alle an die Wiederkunft der Götter glauben und damit falschliegen, denn es sind ja die Aliens, die zurückkommen werden. Und, schliesslich, wie diejenigen, die ihm nicht glauben, «eine Maske der Dummheit und Verblendung» tragen.
Immer, wenn er einen Punkt verdeutlichen will, wechselt von Däniken ins Hochdeutsche. Wobei er mit der Zeit fast nur noch Hochdeutsch spricht.
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Erich von Dänikens Kampf gegen jene Maske begann vor 50 Jahren. Hollywood hatte das Genre des Alienfilms entdeckt, zwischen den USA und der Sowjetunion war ein regelrechter Raumfahrtwettbewerb in Gange, und die Mondlandung lag in der Luft. 1968 veröffentlichte er sein erstes Buch, «Erinnerungen an die Zukunft», worin er seine Theorie erstmals vorstellte.
Dass EvD ganze Passagen aus einem drei Jahre früher erschienenen Buch eines französischen Schriftstellers abgeschrieben hatte, interessierte seine Fans nicht. Ebenso wenig wie die Tatsache, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Dänikens Werk nach allen Regeln der Kunst zerpflückten und ins Reich der «fantastischen Wissenschaft» verwiesen.
Von Däniken jedenfalls wurde praktisch über Nacht weltberühmt. Man sprach von einer «Dänikitis», die die Gesellschaft befallen habe.
Bis heute verkaufte EvD laut eigener Aussage 75 Millionen Bücher in über 30 Sprachen. Damit wäre er der weltweit erfolgreichste Sachbuchautor nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Wäre es nach Erich von Dänikens Eltern gegangen, hätte wohl alles etwas anders kommen sollen. 1935 geboren, wuchs von Däniken in Schaffhausen auf, an der Steigstrasse 36, zusammen mit drei Schwestern und einem Bruder. Der Vater, ein Schneider, betete jeden Abend einen Rosenkranz. Auch die Mutter eine gläubige Katholikin. Weil der kleine Erich ordentlich Radau machte, Scheiben einschlug, klaute wie ein Rabe und vor den Jugendrichter zitiert wurde, beschloss der Vater, den Bub in ein Jesuiteninternat nach Fribourg zu schicken, ins Collège Saint Michel. Da war er elf.
Nach einer Lehre als Koch wurde er Hotelier in Davos. In den Sommermonaten zog es ihn auf Reisen, wo er nach Beweisen für seine Theorie suchte. Als sein Buch «Erinnerungen an die Zukunft» unerwartet zum Bestseller wurde, gab er das Hotelier-Dasein auf. Der Erfolg ermöglichte es ihm, von seiner Vergangenheit zu flüchten.
Im November 1968 wurde Erich von Däniken am Wiener Flughafen verhaftet, als er von einer Südamerika-Reise zurückkehrte; Interpol hatte ihn zur Fahndung ausgeschrieben. Die Staatsanwaltschaft Graubünden klagte ihn wegen Betrugs und Urkundenfälschung an. Mit gefälschten Dokumenten hatte EvD Kredite in der Höhe von 400 000 Franken erschwindelt.
Als straferschwerend bewertete die Staatsanwaltschaft einen «angeschlagenen Leumund, Geltungssucht, Genusssucht sowie die völlige Einsichtslosigkeit des Angeklagten». Bereits zuvor war er viermal verurteilt worden. 1955 wegen Diebstahls (vier Monate Gefängnis), kurz darauf wegen Betrugs (16 Monate), erneut wegen Diebstahls, und 1963 abermals wegen Betrugs (ein Monat).
Diesmal wurde er zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt, wovon er dreieinhalb Monate in Einzelhaft verbrachte. Als Erich von Däniken Ende 1971 wegen guter Führung vorzeitig entlassen wurde, waren seine Bücher bereits sechs Millionen Mal verkauft worden.
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«Dieser Prozess», sagt Erich von Däniken etwas verärgert, «da bin ich heute noch der Überzeugung, dass das ein verdammter Chrampf war.» Er fährt seinen Bürostuhl nach hinten und beugt sich vornüber; in irgendeiner Schublade seines riesigen Schreibtischs rumpelt es. Nach einer Weile wirft er ein Dutzend Dokumente auf den Tisch. Es sind alte Strafregisterauszüge. «Ich habe keinerlei Vorstrafen», sagt er. «Ich bin nirgends drin. Strafregisterauszug schon von neunzehnhundertfragmichwann. Diejenigen, die wieder mit diesem alten Scheiss anfangen, die wollen nur den Autor schlechtmachen.»
Er räumt die Papiere zurück in die Schublade, und wir kommen aufs Geld zu sprechen.
Trotz den 75 Millionen verkauften Büchern sei er nie reich geworden, erzählt von Däniken in seinem Bürostuhl, während er sich eine neue Zigarette anzündet. «Ich bin nie einen Ferrari gefahren, habe keine Villa. In manchen Jahren nahm ich 400 000 Franken ein. Das Geld habe ich immer wieder ausgegeben.»
«Vor fünf Jahren war ich in Brasilien», sagt von Däniken, «oberhalb des Amazonas bei einem Wasserfall, um Felszeichnungen zu untersuchen. Das war jedoch nur per Helikopter möglich. Also hat der Erich von Däniken einen Helikopter gemietet. Weil die Distanz so gross war, benötigte man zwei Helikopter. Da hast du sofort 250 000 Stutz ausgegeben. Der Erich hat die bezahlt, fertig.»
Geld sei eben nie seine Kernkompetenz gewesen, so von Däniken. «Ich verstehe nichts von Buchhaltung.»
Die Kernkompetenz, das ist durch den Zigarettenrauch im Büro zu erkennen, liegt darin, seinen scheinbar unendlich grossen Thesenwust jederzeit zu einer schönen Geschichte häkeln zu können. Eine Geschichte, die uns Ahnungslosen eine Ahnung auf eine wohl Mensch-immanente Frage – die nach unserer Herkunft – zu vermitteln scheint.
Das führt dazu, dass es unmöglich ist, gegen von Däniken anzukommen. Entweder springt er einfach weiter, indem er eine neue Geschichte aus dem Ärmel zaubert, oder er verändert seine Positionen.
Ein Beispiel: Er zitiert eine Passage aus dem Buch Mose, wonach ein Raumschiff einen Berg in einen «Schmelzofen» verwandelt habe. Vielleicht sei es auch einfach nur ein Vulkan gewesen, wendet man ein. «Toll, Vulkan», sagt von Däniken – und hüpft ohne Überleitung zum Buch Henoch, wo Raumanzüge erwähnt seien. Zweites Beispiel: Vor zehn Jahren sagte er gegenüber einer Zeitung, er habe vier Wochen lang mit einem Alien verbracht, der genauso ausgesehen habe wie er selbst. Heute, wie er in seinem Bürostuhl sitzt und raucht, bestreitet er dies: «Ich hatte noch nie Kontakt mit einem Ausserirdischen. Ich habe auch noch nie ein UFO gesehen.» Allerdings erhalte er täglich Meldungen von UFO-Sichtungen.
«Ich liebe Diskussionen mit Skeptikern, liebe sie», sagt von Däniken. «Sie verlieren sowieso immer, weil ich die besseren Argumente habe. Nach zwei Stunden sagen sie: Das wusste ich nicht, ich habe nie von diesen Texten gehört.»
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Wie der Zigarettenrauch im Büro dichter wird, ist ein Satz immer öfter zu hören, und das in Hochdeutsch: «Der Zeitgeist ändert sich.» Und wenn es ihm besonders ernst ist, greift von Däniken aufs Englische zurück. «Yes, my dear», sagt er dann, sein Tiefenblick schlägt ein, «the spirit of time ändert sich.»
Er erzählt, dass er gefragter sei denn je. «Das ist unglaublich. Und der Däniken ist auch in kleinem Kreis gefragt. Das passiert in Griechenland, in den USA, bei Grossbanken.»
Frage: Sehen Sie sich als Guru? «Nein, überhaupt nicht.» Aber Sie stehen gerne im Zentrum und reden über Ihre Mission, wenden wir ein. «Jain», antwortet von Däniken. «Weil ich darüber am meisten weiss. Und weil ich der Einzige bin, der den Zeitgeist ändern kann. Ich bin auch der Einzige, dem man zuhört. Wenn irgendein Kollege einen Vortrag hält, kommen zehn, zwanzig Leute. Wenn der Däniken redet, kommen 3000. Oder 20 000 wie zuletzt in Pasadena, Kalifornien. Und 20 000 sind da aufgestanden, standing ovation, unglaublich.»
Er deutet auf ein Heft, das auf dem Tisch liegt, «Sagenhafte Zeiten». Seit 20 Jahren wird es alle zwei Monate von von Dänikens Firma herausgegeben. Er verweist auf einen Artikel, eine Buchrezension von ihm. «Hier», sagt er, «das müssen Sie lesen. Ich mache Ihnen da einen Kleber rein.»
Dann verschwindet er kurz im Nebenraum und holt sein neustes Buch, erschienen im Oktober 2018. Es heisst «Neue Erkenntnisse: Beweise für einen Besuch von Ausserirdischen in vorgeschichtlichen Zeiten». Nachdem er eine Widmung – «mit allen guten Wünschen» – geschrieben hat, bleibt Zeit für eine letzte Frage: Was wenn Sie falsch liegen? «My dear, diese Frage funktioniert nicht.»
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«Neue Erkenntnisse» – auf dem Heimweg von Interlaken ist Zeit, das Buch zu lesen. «Schlaumeier werden das Ganze als Fälschung bezeichnen, andere als gezielten Betrug entlarven», heisst es auf Seite 173. «Die Besserwisser aller Couleur, die sich noch nie mit den ungeliebten Tatsachen ausserhalb ihres kleinen Denkens abfinden konnten, werden aufheulen […] Das Karussell der Pseudovernunft wird sich wie eine Giftschleuder in Bewegung setzen.»
Ein paar Tage nach dem Treffen trifft ein Brief per A-Post auf der AZ-Redaktion ein. Er enthält ein blaues Heft mit dem Titel «Also doch», herausgegeben von Erich von Däniken. Auf dem Cover klebt ein kleiner Zettel, beschrieben mit dichtmaschigen Buchstaben: «Auch diese Lektüre wäre empfehlenswert. Gruss: EvD.» Im Heft selbst beschreibt Erich von Däniken, wie eine von der Erich-von-Däniken-Stiftung in Auftrag gegebene Studie zum Schluss kommt, dass Erich von Däniken Recht hat.