Ein neues Paradies

10. Dezember 2018, Marlon Rusch

Eine Zürcher Agentur hat eine neue Imagekampagne für den Kanton ausgetüftelt. Potz «Content Hub» und «User Flow».

Ernst Landolt war gut gelaunt, als er am Freitagnachmittag zusammen mit Wirtschaftsförderer Christoph Schärrer die neue Image­kampagne präsentierte, für die der Regierungsrat beim Kantonsrat 1,25 Millionen Franken beantragen will.

Der Vorgänger, das «Kleine Paradies», sei ja durchaus umstritten gewesen, sagte Landolt. Aber das sei durchaus gut so. Es sei gut, dass es Kritik gab, es sei gut, dass geschnödet wurde. Denn so – Landolt lachte – werde schliesslich über die Kampagne geredet.

Wir wollen den Herrn Regierungsrat beim Wort nehmen.

Bloss kein Filz
Die neue Kampagne stammt aus der Feder der Zürcher Werbeagentur Geyst. Der Zusammenschluss von drei langjährigen Agenturen verweist auf ein umfangreiches Portfolio – wobei Geyst im Bereich Standortmarketing noch unbefleckt ist.

Eingeladen wurden 400 Schweizer Agenturen. Beworben hatten sich 57. In die engere Auswahl kamen 20 (davon 7 aus dem Kanton Schaffhausen). In die zweite Phase schafften es 3 (davon 0 aus dem Kanton Schaffhausen). Und Geyst aus Zürich, so Ernst Landolt, habe die Kriterien «mit Abstand» am besten erfüllt. Es war ein Statement. Nachdem der weit verbandelte Schaffhauser Werber Mäni Frei mit seinem «Kleinen Paradies» den Zuschlag für die erste Imagekampagne ohne Konkurrenzpräsentation bekommen hatte, hüteten sich die Verantwortlichen diesmal offenbar, noch einmal in Filz-Verdacht zu geraten.

Die Nachfolgerkampagne heisst «Einfach mehr leben». Sie finden, das klingt beliebig? Sie sind nicht allein. Google etwa führt unter dem Suchbegriff «Einfach mehr Leben» nach drei Artikeln zur Kampagnenlancierung direkt zu einem Minimalismus-Ratgeber. Im ersten gefundenen Video gibt der deutsche Oberstleutnant Gunter Chassé in Uniform eine Einführung in transzendentale Meditation (sic!).

Die Idee für den Claim kam der Zürcher Agentur gemäss «Key Account Director» Tanja Birrer – jung, superdynamisch, graues Deux­pièces – weil man «in Schaffhausen seine Träume effektiv auch verwirklichen kann».

Na wenn das mal keine frohe Botschaft ist.

Frau Birrer redete sich bei der Medienpräsentation um Kopf und Kragen, so, wie man es wohl im Kommunikationsstudium lernt. Vielleicht, weil die 1,25 Millionen noch nicht in trockenen Tüchern sind?

Jedenfalls soll mit der dynamischen, digitalen Kampagne «Awareness» generiert werden, um einen «Streuverlust» zu verhindern. Deshalb setzt Geyst auf einen «Content Hub» als zentrales Kampagnen-Element. Mit einem guten «Tracking» soll aus der Zielgruppe eine «User-Gruppe» werden. Natürlich wird die Kampagne laufend optimiert, und Geyst verspricht, immer wieder «Learnings» daraus zu ziehen, um 2021 ganz gezielt nochmals einen «Peak» zu spielen.

Das war wohl die «mit Abstand» beste Rhetorik.

Schaffhausen kannst du dir leisten
Inhaltlich fühlt sich die Redaktion der AZ durchaus geschmeichelt. Auch wir haben uns mit einer Image-Kampagne beworben (drei separate Linien, siehe AZ vom 2. August), unsere Bewerbung auf Bitten von Wirtschaftsförderer Schärrer jedoch wieder zurückgezogen, um zu verhindern, dass wir wegen unserer Doppelrolle als kritisches Medium und Mitbewerber ein Ungleichgewicht ins Bewerbungsverfahren bringen.
Unsere Linie «Zürich stinkt» hätte für Geysts Siegerprojekt Pate stehen können. Die Agentur schreibt: «In der Kampagne widmen wir uns all den Dingen, die das Leben im Kanton Schaffhausen so erstrebenswert machen – und stellen sie Dingen gegenüber, die einem in der Grossstadt so richtig stinken.»

Ziel der Kampagne soll es sein, «Paare und junge Familien im Alterssegment zwischen 25 und 45 Jahren» zu erreichen und ihnen zu zeigen, dass Schaffhausen ein attraktiver Wohnkanton mit «idealer Pendlerdistanz» zum Grossraum Zürich (weniger als 38 Minuten bis zum HB Zürich sind offenbar suboptimal) ist. Und, ganz wichtig, dass man hier sein Glück «zu bezahlbaren Preisen» bekommt.

Die Botschaft, kurz gefasst: Geh nach Schaffhausen, wenn du dir Zürich nicht leisten kannst.

Die Plakate (70 Prozent des Budgets sollen in die Medien fliessen, die Agentur bekommt lediglich 13 Prozent) sind Abwandlungen des Claims: Einfach mehr Freiheit, einfach mehr Garten, einfach mehr Kindheit, einfach mehr Likes, einfach mehr Wohnraum. Die grosse Frage wird sein: Funktioniert das?

Gestern blies der Kampagne erstmals öffentlich ein lauwarmes Lüftchen entgegen. In den Schaffhauser Nachrichten wurde sie von Kantonsrätinnen und Kantonsräten als «austauschbar und langweilig» bezeichnet. Key Account Director Tanja Birrer fing sogleich an zu wackeln: Die Claims seien noch nicht in Stein gemeisselt.

Die Schaffhauser Jury um Ernst Landolt scheint überzeugter von der neuen Kampagne als deren Erfinderin Geyst selbst.