Schlussrunde

12. November 2018, Nora Leutert
Per Ende Jahr schliesst der Hilfsverein seinen

Der Hilfsverein für Psychischkranke Schaffhausen hat entschieden, Ende Jahr den Freizeittreff «zur Schönau» zu schliessen – ohne dass es notwendig wäre. Für die Besucherinnen und Besucher ein Desaster.

 

Wer denkt, in diesem Haus an der Mühlenstrasse befinde sich ein kalt beleuchteter Raum mit ein paar Sofas und einem Kaffeeautomaten in der Ecke, irrt. Den Freizeittreff zur Schönau zu betreten, ist wie Heimkommen nach einer anstrengenden Woche. Wärme schlägt einem entgegen, man steht in der gemütlichen Küche. Die Bolognese köchelt in der Pfanne, Treffleiter René Müller und Mirjam Jäggli begrüssen jeden eintretenden Gast herzlich. Man befindet sich in einer Wohnung, es gibt einen Computer- und Leseraum, ein Ess- und ein Wohnzimmer.

Hier können Menschen jeweils am Mittwoch- und Freitagabend Zeit miteinander verbringen, sich zu Hause fühlen. Es gibt immer ein gemeinsames Nachtessen, danach oft eine Spiel- oder Filmrunde.

Noch.

Ende Jahr schliesst der Hilfsverein für Psychischkranke Schaffhausen die Türen seines Freizeittreffs.

Es ist Freitagabend, die Besucherinnen und Besucher setzen sich zu Tisch, nicht nur im Esszimmer, sondern auch in der Küche. An die fünfzehn Gäste essen heute hier. Alle kennen sich, die Atmosphäre ist familiär. Im Freizeittreff kann sich dazugesellen, wer Lust hat. Einige Leute kommen einmal im Monat, andere zweimal die Woche.

Freizeittreff-Besucherin Annelies Nänni ist wann immer möglich hier. Das war sie auch an dem Abend Ende September, als ein Vorstandsmitglied des Vereins vorbeikam. Um mitzuteilen, dass der Freizeittreff leider schliessen müsse auf Ende Jahr.

«Als man uns das sagte vor dem Znacht, da hat es mir den Gong gegeben», erzählt Annelies Nänni. «Eben war noch alles gut. – Und danach musste ich sogar die Spaghetti klein schneiden, weil ich fast nicht essen konnte. Niemand hat mehr geredet hier am Tisch.» Auch jetzt, als das Thema aufkommt, ist die Stimmung in der Runde gedrückt. Annelies Nänni stehen vor Wut und Verzweiflung die Tränen in den Augen. «Wir haben schon genug zu kämpfen im Leben! Manche sitzen sonst allein zu Hause. Das ist nicht lustig, allein zu essen, wenn du mit niemandem reden kannst. Soll man mit der Wand reden? Eine Wand gibt keine Antwort.»

Eine andere Besucherin zuckt mit der Schulter: «Es trifft wieder die Schwächsten. Schwach in Anführungszeichen, wir sind ja schon stark, aber wir haben einfach keine Lobby.»

 

Abendessen im Freizeittreff. Ende Jahr werden die Gäste auf die Strasse gesetzt.

 

Einen Schnitt gemacht
Der Hilfsverein für Psychischkranke Schaffhausen wurde 1907 vom damaligen Chefarzt der Breitenau gegründet und besteht heute losgelöst von den Spitälern Schaffhausen und von der Klinik Breitenau. Neben dem 2004 eingerichteten Freizeittreff betreibt der Verein das breiter aufgestellte und um einiges besser besuchte «Gemeinschaftsatelier» im Ebnat. In den letzten Jahren wurde noch darüber diskutiert, den Freizeittreff und das Atelier zusammenzulegen – und nun wurde den Besucherinnen und Besuchern aus heiterem Himmel die Schliessung des Freizeittreffs per Ende Jahr mitgeteilt.

Die Entscheidung traf der Vorstand des Hilfsvereins intern im Frühjahr. Das Vereinsvermögen, das sich aus Mitgliederbeiträgen, Bundesbeiträgen (jährlich 48’100 Franken), Kantonsgeldern (jährlich 25’000 Franken) und Zuwendungen von Gönnern und Spendern speist, ist in den vergangenen Jahren geschrumpft.

Seit 2014 liegt man im Schnitt jährlich weit mehr als 30’000 Franken im Minus. Dies, weil einige Gönner ihre Beiträge massgeblich reduziert haben. Und laut Kassier Ruedi Zbinden wird sich die finanzielle Situation des Vereins weiterhin drastisch verschlechtern: Es sollen in den kommenden zwei Jahren noch mehr Spenden wegfallen, sodass sich der Verlust der letzten Jahre zuerst verdoppeln und dann verdreifachen würde.

Das Vereinsvermögen, das mit der Jahresrechnung 2017 noch 285’832 Franken betrug, wäre demnach bei Weiterführung des Status quo in etwa vier Jahren aufgebraucht. Wenn der Vorstand gar keine neuen Gelder akquirieren kann.

Man ging auf Nummer sicher – und entschied, den Freizeittreff zu schliessen. Denn viele Arbeitsressourcen für Fundraising und für die anderen Obliegenheiten gibt es nicht: Dieses Jahr kündigte die Geschäftsleiterin des Hilfsvereins für Psy-chischkranke, die Stelle wurde nicht neu besetzt. Der Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Und das Präsidium übt traditionell der Chefarzt der Klinik Breitenau aus.

Seit eineinhalb Jahren hält somit Bernd Krämer das Amt inne. So sehr er dies bedauere, eine Schliessung des Freizeittreffs sei nötig, um das Überleben des Vereins zu sichern, sagt Bernd Krämer. Man habe immer noch den Wunsch, grössere Räumlichkeiten für das Atelier zu finden und dort auch einen Treff einzurichten. Der Vorstand habe in den vergangenen Jahren schon mehrere Räumlichkeiten angeschaut, man sei schon kurz vor Vertragsabschluss gestanden. Aber leider habe sich bis jetzt noch nichts ergeben.

Wenn also dieses Engagement und dieser Wille seitens des Vorstandes da sind: Hätte man mit der Schliessung des Treffs nicht warten können, bis man eine Anschlusslösung gefunden hätte?

«Klar wäre es schön gewesen, wenn man das organisch überführen könnte», meint Bernd Krämer. «Aber man muss halt irgendwann eine Entscheidung treffen. Man hätte auch hoffen und weiterhin das Vereinsvermögen aufbrauchen können. Der Vorstand war offen im Diskussionsprozess und hat schliesslich entschieden, einen Schnitt zu machen.»

Trotz «SN»-Weihnachtsauktion
Die negative finanzielle Entwicklung des Vereins war also alarmierend – aber nicht so akut, dass die Schliessung des Treffs in den nächsten Monaten oder in den nächsten ein, zwei Jahren hätte erfolgen müssen. Gerade diesen Winter erhält der Hilfsverein für Psychischkranke Schaffhausen nämlich einen finanziellen Zustupf: Die diesjährige «SN»-Weihnachtsauktion wird zu seinen Gunsten durchgeführt.

In den letzten vier Jahren konnte den begünstigten Organisationen durchschnittlich ein Erlös von 28’800 Franken überwiesen werden, mit einem Rekord von 37’300 Franken an der letztjährigen Auktion.

 

Auch Treffleiter René Müller bedauert die Schliessung.

 

Keine Alternative
Für Therese Silvestri vom Schaffhauser Verein von Angehörigen psychisch Erkrankter (VASK) ist unverständlich, dass der Freizeittreff zur Schönau einfach so schliesst. «Ich weiss, dass dieses Angebot für viele Leute unheimlich wichtig ist», so Therese Silvestri. «Es ist ein langer Weg, bis Menschen mit psychischer Belastung sich an eine Struktur gewöhnt haben. Viele nähern sich langsam an solch ein Angebot an, brauchen lange, bis sie es für sich entdecken.» Sie könne den Zeitpunkt der Schliessung nicht nachvollziehen, sagt Silvestri. «Gerade jetzt, in der Winterzeit, wo die Leute einen Ort zum Bleiben suchen. Und man bietet ihnen keine Alternative.» Auch von Stadt oder Kanton gibt es bis anhin kein vergleichbares Angebot für psychisch belastete Menschen.

Zurück im Haus zur Schönau: Die Gäste diskutieren nach dem Essen, wie man den Freizeittreff retten könnte. Einige haben in den letzten Wochen bereits die Initiative ergriffen, einen Brief an die Stadt geschrieben. Auch jetzt kommen verschiedene Ideen auf: Könnten wir nicht beim Kochen helfen, um die Personalkosten zu reduzieren? Oder wenn wir etwas mehr zahlen würden für das Nachtessen? – Nicht mehr sieben, sondern vielleicht zehn oder elf Franken. Eine Besucherin am Tisch protestiert, sie lebe – wie einige andere auch – am Existenzminimum.

Leiter René Müller, den die Schliessung selbst betroffen macht, versucht zu beschwichtigen, die Entscheidung des Vorstands zu vermitteln. Aber die Erklärungen wirken hilflos: Vielleicht gebe es irgendwann wieder eine Möglichkeit. Man habe die Sache im Hinterkopf.

«Was soll das heissen, im Hinterkopf?», fragt eine Besucherin gereizt. Denn es gibt nichts schönzureden: Der Mietvertrag für den Freizeittreff zur Schönau ist gekündigt.