Der Eisenkünstler Vincenzo Baviera schreckt weder vor knochenharter Arbeit zurück noch vor grossen Ideen – auch wenn ihm das Leben Steine in den Weg legt.
Hier macht einer unermüdlich Kunst. Das wird klar bei dieser morgendlichen Begegnung mit Vincenzo Baviera in Beggingen. Kaum hat er in seinem Arbeitsanzug die Tür geöffnet, schreitet er voraus in den Obstgarten zu seiner «Kunstwiese». Er geht von Skulptur zu Skulptur, stösst hier eine Eisenstange an, klettert da durch ein Kunstwerk, lässt jede Form schwingen oder erklingen. Erleben, wie sich der Raum zu bewegen beginnt, die Dinge erfassen – im taktilen und geistigen Sinn. «Die Erkenntnis, dass die Dinge unmittelbar oder entfernter miteinander zusammenhängen, bindet uns in die Verantwortung ein», so Vincenzo Baviera. «Wer merkt, dass die Menschen miteinander zu tun haben, dass die Erde ein Organismus ist, beginnt sich verantwortlich zu fühlen.»
Baviera hat immer gross gedacht, auch wenn das Leben seine Kunst kleinzukriegen versuchte. Seine Eisenplastiken wiegen oft mehrere Tonnen. Viele seiner Ideen wurden nie bewilligt. Und immer wieder stösst er an die Grenze der finanziellen Mittel. Denn seine kunstpolitischen Aktionen gehen oft in die Zehntausende von Franken, ohne dass etwas dabei rausspringt. Wieso betreibt einer so viel Aufwand?
Aus Notwendigkeit. Er müsse gewisse Themen aufgreifen und bewältigen, so der 73-Jährige. Und dies gehe nur in der entsprechenden Grössenordnung: «Ich kann mich nicht mit Endzeitfragen wie der Fehlleitung von Technologie beschäftigen, indem ich aus Kupferstäbchen in Briefmarkengrösse etwas mache. Das geht nur im Massstab 1 zu 1 – in den Dimensionen der Industrie, des Eisenbaus.»
Baviera scheut sich nicht zu sagen, dass ihm dies und das gelinge. «Es gelingt mir, diese Lebensthemen in den kalten Stahl reinzupacken, deshalb hat meine Kunst eine starke Wirkung auf die Menschen.»
«Ich wusste immer, wann ich den Grind einziehen musste.»
– Vincenzo Baviera
Er hat ein enormes Selbstbewusstsein, dieser Künstler. Von ganz ungefähr kommt das nicht, seine Ausstellungsvita hat eine beachtliche Länge. Und doch ist es ungewöhnlich, dass hierzulande ein Kunstschaffender so offen überzeugt vom eigenen Schaffen spricht, wo Bescheidenheit hochgehalten wird. Jedenfalls hat sich dieser Mann intensiv mit sich selbst auseinandergesetzt. Und vielmehr noch mit der Frage, was ist überhaupt ein Lebensentwurf?
Das Leben hat Vincenzo Baviera, wie er sagt, einige Knebel zwischen die Beine geworfen, schon von Kindheit an. Er habe damals nicht zu den «Schlüsselkindern» gehört, konnte nicht jederzeit nach Zuhause zurückzukehren.
Baviera wuchs in Zürich auf, die Vorfahren hatten sich aus Italien, Österreich, Holland und Deutschland zusammengefunden. Seinen Gestaltungswillen entdeckte Vincenzo Baviera früh, schon in der dritten, vierten Klasse erstellte er kleine Skulpturen, die aber keine Beachtung fanden. Dafür habe er eine gute Intuition entwickelt, so Baviera. «Ich habe immer gemerkt, wann ich den Grind einziehen musste. Und das war später ein Gewinn für mich.»
Nach dem Schulabschluss begann Vincenzo Baviera im Jahr 1964 auf den Wunsch seiner Eltern hin an der ETH Architektur zu studieren. Kurz vor dem Abschluss aber brach er das Studium ab. Es waren die 68er-Jahre. Baviera wollte Architektur machen, ohne zu bauen und sich in ein korruptes System eingliedern zu müssen. Die Fragen nach dem Wesen von Städten, nach menschlichen Daseinsformen wandelten sich fortan zu einem künstlerischen Antrieb. Und zwischen Kunst, Architektur und Handwerk wurde Vincenzo Baviera, wie er sich selbst oft nannte, zum «Arbeiter im Raum».
Kein Rotzkünstler
Seine Kunst ist Knochenarbeit. Früh schon wandte er sich dem Material Eisen zu. «Die Affinität für Eisen ist, wie ganz vieles in meinem Leben, ein Zufall», so der Künstler. Er ist durch eine handwerkliche Auftragsarbeit dazu gekommen. «Damals war ich so stier, dass ich jede Arbeit annahm, auch wenn ich keine Ahnung davon hatte. Also lernte ich im Keller zu schweissen. Ich schloss die Tür hinter mir, damit man nicht hörte, wie ich fluchte. Ich übte, bis ich es konnte.»
Baviera legt Wert auf gute Verarbeitung. Er sei kein Rotzkünstler, meint er. «Mit dem Handwerk zeige ich meine Liebe zur Sache.» Entdeckt man aber auf einem Werk eine alte Beschriftung aus der Schwermetallindustrie, ist dies nicht als Nachlässigkeit des Künstlers zu lesen. Er lässt die Spuren derjenigen stehen, die vor ihm mit dem Material gearbeitet haben. Als hundertprozentiger Autodidakt habe er immer wieder in der Industrie angefragt, ob er eine Woche in einem Betrieb mitarbeiten könne, erzählt Baviera. «Die Arbeiter haben mir viel erzählt. Mir gelingt es immer wieder, gut und schnell, mit den Leuten in Kontakt zu kommen dank der Intuition, die ich in meiner Kindheit entwickelte. So habe ich vieles erfahren über Kreativität – von Menschen, die unbewusst Gestaltungslösungen finden.»
Unterschätzt in Schaffhausen?
Es sind miteinander verwandte Themenkomplexe, die Vincenzo Baviera auch heute noch umtreiben. Sie kreisen um die Möglichkeiten und die Machtmechanismen des Zusammenlebens und der Besiedelung, und auch um deren Hoffnung. «Weil ich der letzte Sozialromantiker auf dieser Welt bin und ernsthaft die Welt verbessern möchte, beschäftige ich mich mit Utopien», so Baviera. Er deutet auf ein Werk aus seiner Serie von «Wiegen», in denen sich das Symbol von Hammer und Sichel versteckt. Ein Hinweis auf eine grosse Utopie, die in dieser Form zu Recht gescheitert sei – deren Grundgedanken er aber eben nicht verleugnen wolle, meint Baviera.
Vincenzo Bavieras Kunst entsteht aus einer komplexen Gedankenwelt, die für Aussenstehende nicht einfach zu erfassen ist. Der Künstler meint: «In all den Jahrzehnten habe ich ein dichtes Netz von Überlegungen gebildet, aus dem eine Philosophie entstand, die ich in meine Kunst packen will. Das ist so dicht, dass womöglich jeder etwas von meiner Kunst haben kann.»
Auch die Begginger können etwas von Vincenzo Bavieras Kunst haben. Seine Kunstwiese ist frei zugänglich. In Schaffhauser Galerien sind seine monumentalen Werke allerdings nicht allzu oft zu sehen, ebensowenig in den lokalen Museen. Er sehe hier für seine Arbeiten nicht so viele Ausstellungsmöglichkeiten, meint Vincenzo Baviera. Auch bekomme man es zu spüren, wenn man kein Schaffhauser sei.
Dabei ist der Wahlbegginger nun immerhin schon 20 Jahre im Dorf. Er sei nicht der, der sich vordränge, meint Baviera, das müsse er auch nicht. «Aber wenn es darum geht, dass ich mich über diesen Weg existenziell besser absichern könnte, stellt sich die Frage schon», so Baviera. Wird er in Schaffhausen unterschätzt? Das Problem sei wohl eher, findet Vincenzo Baviera, dass man sich gar nicht auf seine Arbeiten einlasse.
«Wassermusik»
Vincenzo Baviera stellt aktuell in der Galerie Reinart aus: in einer Gruppenausstellung mit Klaus Born, Barbara Roth und Cécile Wick unter dem Titel «Wassermusik». Die Werke sind noch bis zum 28. Oktober 2018 zu sehen, jeweils samstags, 16 bis 18 Uhr, und sonntags, 16 bis 19 Uhr sowie nach Vereinbarung. Mehr Infos finden Sie hier.