In Schaffhausen hat jeder das Recht, amtliche Akten einzusehen. Dennoch legen die Behörden der «az» immer wieder Steine in den Weg – meistens dann, wenn es um brisante Dokumente geht.
«Alle verschwiegenen Wahrheiten werden giftig.» – Friedrich Nietzsche
«Ich finde das unglaublich. Das ist juristischer Quatsch!» Peter Hartmeier, der ehemalige Chefredaktor des «Tages-Anzeigers», nahm kein Blatt vor den Mund. Hartnäckig versuchte das FDP-Mitglied, am Parteitag im Hotel Promenade Ende August die Freisinnigen von einem Nein zur neuen Verordnung über das Öffentlichkeitsprinzip zu überzeugen, die in der Stadt eingeführt werden soll. Hartmeier appellierte an das «liberale Herz» seiner Parteikollegen und zitierte Friedrich Nietzsche. Jedoch: Es gelang ihm nicht ganz. Die FDP beschloss für den Urnengang vom 23. September Stimmfreigabe.
Der frühere Tagi-Chef weiss, dass das Öffentlichkeitsprinzip gerade für die Medien von eminent wichtiger Bedeutung ist, auch in Schaffhausen. Das Recht, amtliche Dokumente einsehen zu können, ist in Artikel 47 Absatz 3 der Verfassung des Kantons Schaffhausen festgehalten: «Die Behörden informieren die Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit und gewähren auf Gesuch hin Einsicht in amtliche Akten, soweit keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen.»
Diesen Paragrafen nutzt die «az» immer wieder, um an Dokumente der Schaffhauser Behörden zu gelangen. Unserer groben Einschätzung nach haben wir in den letzten drei Jahren etwa 30 bis 40 Anfragen an diverse Behörden von Stadt, Kanton und Bund gestellt (ohne Gerichte), Tendenz zunehmend. In den meisten Fällen haben wir die angeforderten Dokumente erhalten. Oft verläuft der Prozess völlig reibungslos, die Gesuche werden innert wenigen Tagen erledigt, die Dokumente landen in digitaler Form in den Maileingängen unserer Redaktorinnen und Redaktoren. Darunter waren beispielsweise die Leistungsvereinbarung des Kantons mit der Miniaturwelt Smilestones am Rheinfall oder Protokolle von Parlamentskommissionen über den Werkhof SH Power und die Fusion der Busbetriebe VBSH und RVSH. Die Dokumente offenbaren, wie viel Geld fliesst, wie politische Entscheide zustande kommen und – hin und wieder – welche Fehler gemacht werden.
Auch Dokumente wie Baupläne und Einsprachen gegen ebendiese Baupläne konnte die «az» bei der Stadt bereits einsehen, wie im Fall des geplanten Demenzwohnheims in Herblingen. Zuletzt erhielt die «az» auch den Bericht der Jury zur Vergabe des Wagenareals.
Die Gebühren
Aber so einfach ist es nicht immer. Und meistens harzt es dann, wenn es um brisante Dokumente geht. Manchmal dauert es eine Ewigkeit, bis Gesuche behandelt werden.
Im Rahmen der Recherche über den Schaffhauser Polizeikommandanten stellte die «az» bei der Finanzkontrolle (Fiko) von Stadt und Kanton ein Einsichtsgesuch für einen Bericht, in dem die Erkenntnisse aus einer Untersuchung bei der Schaffhauser Polizei festgehalten waren. Bis die «az» diesen Bericht erhielt, dauerte es über drei Monate. Ausserdem verlangte die Fiko 300 Franken Gebühren «für die Behandlung des Einsichtsgesuchs». Der Bericht umfasste lediglich 16 Seiten, wovon drei komplett geschwärzt wurden.
Neben der Fiko verlangte bisher nur der Stadtschulrat für Einsichtsgesuche der «az» Gebühren: Als die «az» in Zusammenarbeit mit der «WOZ» über den sogenannten «Problemschüler» des Bachschulhauses berichtete und, wie die «SN», Einsicht in die Protokolle des Gremiums verlangte, berechnete der Stadtschulrat 200 Franken, die freundlicherweise die «WOZ» bezahlte.
Die Widerstände
Auch in anderen Fällen stösst die «az» immer wieder auf Widerstände. Regelmässig kommt es vor, dass Mitarbeitende von Schaffhauser Behörden im ersten Anlauf die Herausgabe der gewünschten Dokumente und Zahlen verweigern. Beispielsweise im Fall des Schleitheimer Gipsstollens, der vom Kanton an einen Verein vermietet wird. Erst im zweiten Anlauf, mit dem Verweis auf das geltende Gesetz, erhielt die «az» den Nutzungsvertrag.
Die Willkür
Das geltende Öffentlichkeitsprinzip ist allerdings alles andere als ein Freipass. Mehrere Gesuche der «az» wurden bereits abgelehnt.
Wie viel verdienen die Kader des Schaffhauser Spitals? Die «az» wollte das wissen und verlangte Einsicht. Das Gesuch wurde abgewiesen.
Wie viel verdienen die Schaffhauser Politiker, die das Stimmvolk im Stadt- und Kantonsparlament vertreten? Auch auf diese Anfrage wurde nicht vollumfänglich eingegangen. Hier zeigte sich jedoch: Während das Büro des Kantonsrats der «az» eine anonymisierte Liste der Entschädigungen herausgab, lehnte das Büro des Grossstadtrates auch dies ab. Der exakt gleiche Fall, die gleichen geltenden Gesetze, zwei unterschiedliche Resultate.
Ebenso willkürlich erscheint der Entscheid der Justizkommission unter ihrem Präsidenten Peter Scheck: Zweimal stellte die «az» ein Gesuch um Einsicht in die Protokolle seiner Kommission. Das erste Mal wurde das Dokument – stark geschwärzt – herausgegeben, das zweite Mal nicht. Die «az» ficht diesen Fall derzeit vor Gericht an. (Zum Überblick-Artikel hier lang.)
Dass vor Gericht gestritten wird, kommt allerdings selten vor. Neben dem Fall von 2016, als die «az» zusammen mit Politaktivist Claudio Kuster gegen das Büro des Kantonsrats gewann, gab es laut der Staatskanzlei in den vergangenen fünf Jahren keine weiteren Prozesse.
Das Zitierverbot
Manchmal gewähren die Behörden zwar Einsicht, verlangen jedoch, dass aus den Unterlagen nicht zitiert werden darf. So geschehen, als die «az» Einsicht in den Neuhauser Einbürgerungstest verlangte.
Die Einbürgerungspraxis der Rheinfallgemeinde gilt als sehr restriktiv. Unter anderem müsse man alle Haltestellen der Neuhauser Buslinien auswendig lernen, monierten betroffene Personen. Die «az» wollte überprüfen, ob das stimmt, und stellte ein Gesuch auf Einsicht in den Einbürgerungstest. Das Gesuch wurde zwar genehmigt, allerdings unter der Bedingung, dass die «az» nicht aus dem Test zitieren dürfe. Das heisst: Anschauen ja, darüber schreiben nicht. Unsere Redaktorin hat den Test eingesehen – und nicht daraus zitiert.
Wenn die neue Verordnung angenommen wird, ist klar, dass die Einsicht in solche Dokumente in der Stadt künftig verwehrt wird. Der städtische Bürgerrat soll vom Öffentlichkeitsprinzip ausgenommen werden. Dabei sorgen Einbürgerungsprozedere immer wieder für Aufregung. Schweizweit machte der Fall von Funda Yilmaz aus Buchs AG im vergangenen Sommer Schlagzeilen, deren Einbürgerungsgesuch abgelehnt wurde, obwohl Yilmaz im Staatsbürgertest 100 Prozent der Fragen richtig beantwortet hatte.
Häufig irren die Behörden
Nicht nur in Schaffhausen, auch in anderen Kantonen nutzen Journalisten immer wieder das Öffentlichkeitsprinzip, um an Akten von Behörden zu gelangen.
Die «Solothurner Zeitung» schrieb 2015, dass die Solothurner Polizei fast sechsmal mehr Personen als vorgesehen in der Datenbank des sogenannten Bedrohungsmanagements registriert hatte. Darunter waren viele Personen, die laut der Polizei nicht unmittelbar gefährlich werden würden. Zugang zur Datenbank der Polizei erhielt die Zeitung dank des Öffentlichkeitsprinzips. Auch Schaffhausen kennt ein solches Bedrohungsmanagement.
Wie in Schaffhausen geben die Behörden des Bundes und anderer Kantone häufig erst nach verlorenem Gerichtsprozess die verlangten Daten heraus. Eine Analyse von Streitfällen zwischen Medien und Behörden, die der Verein Öffentlichkeitgesetz.ch vorgenommen hat, zeigt, dass schweizweit zwischen 2006 und 2016 in 62 Prozent von rund 350 Fällen das Öffentlichkeitsprinzip falsch oder zumindest teilweise falsch ausgelegt wurde. Dabei sind die Fälle, in denen sich Betroffene nicht gegen einen ablehnenden Entscheid einer Behörde gewehrt haben, nicht eingerechnet. Dies zeigt deutlich: In der Tendenz verschweigen die Behörden zu viel – und das zu Unrecht.
Die Verordnung
22 Artikel umfasst die neue «Verordnung über das Öffentlichkeitsprinzip der Stadt Schaffhausen», die am 23. September 2018 zur Abstimmung kommt. Die wichtigsten Artikel:
Artikel 11 sieht vor, dass Gremien wie der Stadtrat, der Stadtschulrat oder der Bürgerrat vom Öffentlichkeitsprinzip grundsätzlich ausgenommen werden. Das bedeutet beispielsweise, dass Medien und Privatpersonen in Zukunft die Protokolle des Stadtschulrates, wie im Fall Bachschulhaus geschehen, nicht mehr einsehen dürfen. Wer dennoch Einsicht erhält, beispielsweise für wissenschaftliche Arbeiten, darf aus den Unterlagen nicht mehr wörtlich zitieren. Auch die Veröffentlichung der Unterlagen, wie dies die «az» im Fall Bachschulhaus getan hat, wird verboten.
Artikel 16 besagt, dass Einsichtsgesuche abgelehnt werden können, wenn der Gesuchsteller nach Ansicht der Stadt kein «schutzwürdiges Interesse» geltend machen kann.
Artikel 20 sieht die Einführung einer detaillierten Gebührenregelung vor. Beispielsweise ist festgelegt, dass «pro Seite A4 farbig» ein Franken verlangt wird. Ab einer Stunde Aufwand kann die Stadt eine Gebühr von bis zu 500 Franken erheben.