Die Folkband The Gardener and the Tree erobert gerade die grossen Bühnen des Landes. Was das mit einem halben Daumen, Mainstream-Vorwürfen und einer Firmengründung zu tun hat.
Geht ein Zimmermann in eine Bar, bestellt per Handzeichen fünf Biere, erhält aber nur drei.
– Alter Handwerker-Witz, ca. 2’000 v. Chr.
Irgendwann im Gespräch hebt Manuel Felder seinen linken Daumen in die Luft. Irritation. Oben fehlt da eindeutig ein Stück Finger. «Kreissäge», erklärt Felder, ein breitschultriger Mann mit blondem Bart. Seine Stimme klingt etwas heiser, sein Lachen ist ansteckend. Wie das halt so sei, erzählt der 30-Jährige weiter, man befinde sich im Stress wegen der Musik, der Kopf randvoll mit allerhand Songzeilen, und fertig sei das Missgeschick.
Wie Manuel Felder bilderreich davon berichtet, quasi Splatterfilm, mischt sich ein zweiter Finger in die Debatte ein: Patrik Mugglis rechter Mittelfinger. Auch dieser ist etwas ramponiert. «Hobelmaschine», so die Begründung. Aber, sagt Muggli, 28-jährig, brauner Bart und Hut, mit der versehrten Klaue würden sich die Gitarrensaiten besonders gut zupfen lassen.
Die Sonne geht langsam unter, doch die Hitze bleibt liegen, schwer wie Blei. Patrik Muggli und Manuel Felder sitzen in einer Bar in der Schaffhauser Unterstadt. Sie sind gewissermassen zwei Fünftel der Folkband The Gardener and the Tree. Die anderen drei Bandkollegen haben alle etwas los an diesem Abend. Überhaupt ist die ganze Band vielbeschäftigt; alle arbeiten oder studieren Vollzeit.
Manuel Felder, der Sänger mit dem halben Daumen, ist gelernter Zimmermann. Spezialisiert auf Blockhäuser. Zwei Monate schneidet er mit seiner Kettensäge an den schweren Baumstämmen, bis der Bausatz fertig ist. Dann wird aufgerichtet.
Um 5:30 Uhr klingelt jeweils der Wecker. «Schaffen ist gesund, und ich mag meinen Job sehr gern», sagt er. «Ich will nicht nur Musik machen.»
Patrik Muggli, der Gitarrist mit dem ramponierten Mittelfinger, hat sich ebenfalls als Zimmermann versucht. Die Lehre brach er jedoch bald ab. Heute studiert er Erdsystemwissenschaften an der Universität Zürich. Kurz: Da geht es um die Erforschung unseres Planeten und seinen Ursprung im Universum. So sagt er irgendwann: «Es gibt kein Chaos, alles hat seine naturwissenschaftliche Ordnung.»
Vertrag mit Universal
Wie die Hitze auf den Pflastersteinen kleben bleibt, kommt man naturgemäss auf Schaffhausen zu reden. Hier, in ihrer Heimatstadt, hatten es The Gardener and the Tree nicht immer leicht. Mit ihren runden Folkpop-Hymnen kamen sie nicht überall gut an.
Als die Band 2014 ihre erste EP im Taptab taufen wollte, blockte der alternative Musikklub ab: Mainstream wollen wir hier nicht, geht woanders hin.
Auch einen Bandraum fand man in der Stadt nicht. Jetzt üben die Jungs eben im Arova-Areal in Flurlingen. Vorher haben sich dort Stripperinnen für den Schuppen eines Hells-Angel’s-Ablegers umgezogen.
«Schaffhausen ist ein wunderbarer Ort mit wunderbaren Leuten», sagt Sänger Manuel Felder, «aber manchmal verstehe ich ihn nicht.»
Wie dem auch sei, den Sprung von der Kleinstadt auf die grossen Bühnen haben die fünf Jungs nun geschafft. Vor einem guten Jahr wurden The Gardener and the Tree vom Majorlabel Universal unter Vertrag genommen.
Diesen Sommer spielen sie an den grossen Festivals der Schweiz, St. Galler Openair, «Stars in Town», Gurten, Gampel, Montreux Jazzfestival.
Vor Kurzem veröffentlichten sie ihr Debütalbum mit dem rätselhaften Titel «69591, Laxå» – dazu später mehr. Die Scheibe stieg gleich auf Platz 5 der Albumcharts ein; nach fünf Wochen steht sie auf Rang 29. Ihr Song «Mama’s Guitar», wurde 920’000-mal auf Youtube angeklickt.
Und die Band ist einer der Lieblinge von SRF 3. Der Radiosender spielt ihre Lieder täglich. «Ich habe nur eine Kritik», sagte die überschwängliche Moderatorin beim letzten Studiobesuch der Gruppe, «eure Songs sind einfach viel zu kurz.»
«Ach», sagt Sänger Felder, wenn man ihn auf den steilen Aufstieg anspricht, «darauf sollte man sich nichts einbilden.»
Das Taptab lehnte die Band einst ab:
Zu sehr im Mainstream
Für den Erfolg gibt es mehrere Gründe. Zunächst erwischte man den richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Musik. Bei der Gründung von The Gardener and the Tree im Jahr 2013 befand sich das sogenannte Neo-Folk-Revival auf dem Höhepunkt. Folkbands wie Mumford and Sons, Fleet Foxes und Of Monsters and Men stürmten sämtliche Hitparaden zwischen Murmansk und San Francisco.
Zudem hat sich die Schaffhauser Band gut organisiert. Ein Freund übernahm bald nach der Gründung den Part als Manager, koordinierte Pressetermine, organisierte Auftritte, sprach mit Labels. Und die Jungs wissen, was sie wollen: Für die Unterzeichnung des Plattenvertrags heuerten sie einen bekannten Musikrechtsanwalt an. «Der hat das Beste für uns herausgeholt», sagt Gitarrist Muggli. «Das Label hat uns noch nie irgendwo dreingeredet.»
Und dann muss einfach gesagt werden: The Gardener and the Tree spielen Musik, die wahnsinnig tief graben kann, von den Tränendrüsen abwärts bis ins Herz hinein.
Das Debütalbum «69591, Laxå» ist das beste Beispiel dafür. Es klingt ein bisschen so, als hätten sich grosse Hymnen, stadionfüllende Hymnen, in den Millionen von Nadeln eines dicken Tannenwalds verfangen. Was der Musik irgendwie eine rauschende Schönheit verleiht.
«69591, Laxå» ist das bisher ergreifendste Stück der Band, und es führt durch die unvermeidlichen Dinge des menschlichen Daseins: Liebe, Kindheit, Neid, Sehnsucht.
Am tiefsten geht Manuel Felders heisre, gleichwohl warme Stimme. Der Sänger flucht und weint, jauchzt und schreit mit solcher Wucht, dass man sich damit bis nach Australien durchgraben könnte.
Benannt ist das Album übrigens nach einem winzigen Ort in Vastergötland, einer seenreichen Region Schwedens. In einer Nussschale wäre die Band dort fast abgesoffen, und dort haben die Jungs vor vier Jahren den Beschluss gefasst: Ja, wir machen ein Album. Quasi vom Absaufen direkt ins Glück.
Eine GmbH?
Finanziell gesehen, stiegen The Gardener and the Tree in den letzten Monaten in Dimensionen auf, wo man sich schon mal Gedanken über die Gründung einer GmbH macht. Wobei sich Patrik Muggli und Manuel Felder an diesem heissen Abend nicht einig werden. Felder: «Das ist mir suspekt.» Muggli: «Ja, aber aus steuertechnischen Gründen …» Felder: «Das müssen wir noch besprechen.»
Wie viel verdient die Band zurzeit? Mit den vielen Festival-Auftritten fliesst ja einiges in die Kasse. «Davon sehen wir aber nicht viel», meint Muggli. Konkret reiche es etwa, um einen kleinen Monatslohn zu decken. Was genau die Zeit umfasse, die man für gewöhnlich auf der Arbeit fehle.
Die beiden beschliessen darauf, die Firmen-Diskussion auf später zu vertagen. Zeit, um über Träume zu sprechen.
«Im Ausland aufzutreten wäre schön», sagt Patrik Muggli. Im Herbst ist erstmals eine kleine Tour durch Deutschland und Österreich geplant. «Deutschland, so erzählte man uns, soll ja das Sprungbrett sein für den Rest Europas – und für die USA», sagt Muggli.
Für diesen Traum gibt es gute Neuigkeiten: Eben beschloss das Label Universal, das Album «69591, Laxå» auch in den deutschsprachigen Nachbarländern zu vertreiben.