Im Stollen des Gipsmuseums Schleitheim üben Pioniere des Zivilschutzes die «Rettung aus Trümmerlagen». Manchmal müssen sie aber auch tagelang Schutt schaufeln – für die neue Museumsbahn. Der Zivilschutzinstruktor, der die Anweisungen gibt, ist gleichzeitig Präsident des privaten Gipsstollen-Vereins.
Wir befinden uns an einem der äussersten Flecken der Schweiz. Nur wenige hundert Meter Luftlinie trennen das etwas abseits von Schleitheim gelegene Zivilschutz-Ausbildungszentrum Oberwiesen vom deutschen Nachbarland. Dreht man sich jedoch um 180 Grad, ist es gerade noch die schmale Flüelistrasse, welche den Gebäudekomplex des Kantons von der Pforte zu einem anderen Reich trennt. Einem, das fast gänzlich im Verborgenen liegt: dem verzweigten Stollensystems des Gipsmuseums Schleitheim.
Das Gipsmuseum ist eine Erfolgsgeschichte. Der letzte noch begehbare Stollen der Region führt 150 Meter ins Bergesinnere und dokumentiert eine längst vergessene Welt: den bergmännischen Abbau von Rohgipsgestein, der im späten 17. Jahrhundert begann und bis in die 1940er-Jahre andauerte. 2011 wurde das Museum ins Verzeichnis der Geotope von nationaler Bedeutung aufgenommen. Und bald soll es um eine Attraktion reicher werden. Besucher werden mit einer Schienenbahn in den Stollen fahren können.
Für das Projekt spannt der Museumsverein mit dem Regionalen Naturpark zusammen. Im Januar 2017 sagte der Vereinspräsident zu den «Schaffhauser Nachrichten», die Bahn bedeute eine «klare Attraktivierung unseres Museums». Die budgetierten 50’000 Franken würden für den Bau des Rollmaterials und der Schienen ausreichen. Für den Bau jedoch suche man noch «freiwillige Helfer».
Was der Vereinspräsident nicht sagte: Zu jenem Zeitpunkt hatte er bereits dutzende Helfer gefunden. Doch «freiwillig» halfen die nicht.
Training oder Arbeit?
Mehrere Zivilschutzpioniere erzählten der «az», sie hätten über die vergangenen zwei Jahre mitunter tagelang im Gipsstollen gearbeitet. Sie hätten helfen müssen, den Stollen zu sanieren, hätten manchmal tagelang Schutt geschaufelt und abtransportiert. Pikant daran: Der Präsident des Museumsvereins ist gleichzeitig der Instruktor der Pioniere. Er koordinierte die Einsätze.
Leider weilt er derzeit in den Ferien und war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Und auch sein Chef, Zivilschutzkommandant Christoph Kolb, fand über mehrere Wochen und trotz wiederholter Anfragen keine Zeit für ein Gespräch. In Absprache mit Kolb beantwortete die Medienstelle der Polizei, welcher die Abteilung Bevölkerungsschutz und Armee angegliedert ist, jedoch schriftlich einige Fragen:
Im Gipsstollen könne «die Rettung aus Trümmerlagen unter sehr realen Bedingungen trainiert werden». Diese verlange meist «das Abführen von grösseren Mengen an Schutt und Materialien, und dies oft unter erschwerten Bedingungen, welche auch Handarbeit und Kriechen erfordern». Einfache Arbeiten wie das Schaufeln von Kies und Schutt seien «im Sinne des Trainings oder des Tests der Durchhaltefähigkeit der Truppe gewollt». Sie würden aber nicht tagelang durchgeführt. Der Gipsstollen werde durch den Zivilschutz nicht «saniert». Ausserdem sei der Zivilschutzinstruktor auf der Suche nach geeigneten Übungsobjekten auf den Gipsstollen aufmerksam geworden. Erst später habe er begonnen, sich auch privat im Gipsmuseum zu engagieren. Dies tue er in der Freizeit, die Tätigkeit als Zivilschutzinstruktor sei davon klar abgegrenzt.
Diese beiden Schilderungen, so unterschiedlich sie klingen mögen, ergänzen sich durchaus. Sie ergeben das Bild einer Win-win-Situation zwischen dem kantonalen Zivilschutz und einem privaten Verein, welche zufällig benachbart sind und zufällig vom gleichen Menschen geleitet werden.
Die andere Lesart, es ist auch jene von einigen involvierten Pionieren, besagt: Dort, hinter dem Randen, machen sie einfach, was sie wollen. Und so wird mit vom Staat bezahlten Arbeitskräften ein privates Hobby finanziert. Und es ist tatsächlich einfach, so zu denken.
Mietpreis: 0 Franken
Ein Beispiel: Die neue Museumsbahn soll auf 250 Metern Schiene durch den Stollen fahren. Doch der Stollen kann nicht gleichzeitig Garage sein, er ist zu feucht. Deshalb benötigt der Verein ein Depot, das per Schiene möglichst schnell erreichbar ist. Und er wurde auch bereits fündig: in der ehemaligen Schlauchwaschanlage des
Zivilschutzes.
Für den Verein ist es die Ideallösung. Und die Medienstelle der Polizei sagt, es gebe auch einen Mietvertrag zwischen dem kantonalen Hochbauamt und dem Verein. Bloss: Miete bezahlt der Verein nicht.
Der besagte Nutzungsvertrag liegt der «az» vor und besagt: «Es wird die kostenlose Nutzung vereinbart.» Dem Verein wird lediglich 500 Franken pro Jahr für Strom und Wasser verrechnet. Es dürfte die pragmatischste Lösung gewesen sein. Die Schlauchwaschanlage wurde von Feuerwehr und Zivilschutz nicht mehr benötigt. Warum also Geld dafür verlangen von einem Verein, in dem Menschen ehrenamtlich eine Anlage unterhalten, die der breiten Bevölkerung Wissen vermittelt?
«Die Trennung zwischen der Stiftung/dem Verein und dem Zivilschutz ist aus unserer Sicht gewährleistet», lässt Kommandant Kolb ausrichten. Der Vereinspräsident würde das wohl unterschreiben. Doch wenn er es sagen würde, könnte man sich fragen: Welchen Helm hat er gerade auf, den des Zivilschutzinstruktors oder den des Gipsmuseum-Präsidenten?