Vor einigen Wochen erhielten wir Dokumente der Justizkommission ohne Probleme. Jetzt macht die Politik eine Kehrtwende und verweigert jegliche Einsicht. «Schlechte Erfahrungen», so die Begründung.
Diese Woche traf ein eingeschriebener Brief auf der Redaktion der «az» ein. 38 Gramm, 6.30 Franken Porto. Thema: Geheimhaltung.
Vor ein paar Wochen stellten wir ein Gesuch um die Einsicht in bestimmte Protokolle der Justizkommission des Kantonsrats. Es ging um die Wahl von vier Schaffhauser Staatsanwälten und Richtern, die alle Mitglied der Kantiverbindung Scaphusia sind.
Die Justizkommission, die für Stellenbesetzungen im Justizbereich zuständig ist, hatte die Kandidaten erst zum Bewerbungsgespräch geladen und dann zur Wahl vorgeschlagen. Dieser Vorgang wird protokolliert wie alle Sitzungen von parlamentarischen Kommissionen auch.
Nun wollten wir wissen, ob das Thema Scaphusia an diesen Gesprächen behandelt wurde und ob die Verbindung einen Einfluss auf die Wahl hatte – daher das erwähnte Gesuch.
Grundlage dazu ist das Öffentlichkeitsprinzip des Kantons. Dieses sieht vor, dass die Öffentlichkeit amtliche Akten einsehen darf – seit 2016 auch Protokolle von Kommissionen des Kantonsrats. Dies entschied das Obergericht damals.
Mit jenem eingeschriebenen Brief wurde unser Gesuch jedoch abgewiesen. Bei Bewerbungsgesprächen mit der Justizkommission gebe es «besondere Konstellationen», so steht es in der Verfügung, weil es in den Protokollen nicht um ein «Sachgeschäft» gehe (wie zum Beispiel um ein Bauprojekt). Auf diese Besonderheit sei das Obergericht damals nicht eingegangen.
Die Herausgabe der Dokumente wird daher verweigert. Dies, weil ein öffentliches Interesse daran bestehe: Der Kreis der Bewerberinnen und Bewerber würde «stark eingeschränkt», «wenn diese damit rechnen müssten, dass ihre Äusserungen anlässlich des Bewerbungsgesprächs […] an die Öffentlichkeit gelangen, ja, wenn nur schon bekannt würde, dass sie sich für die freie Stelle beworben haben». Und weiter: «Es ist deshalb zweifellos im öffentlichen Interesse, bei der Besetzung dieser Stellen aus einem möglichst grossen Bewerberkreis auswählen zu können.»
Daher würden Protokolle von Bewerbungsgesprächen den Bestimmungen der Archivverordnung unterliegen. Das bedeutet: Die Dokumente müssten mindestens 50 Jahre unter Verschluss bleiben.
Schlecht informiert
Drehen wir das Rad der Zeit etwas zurück. Im Januar 2018 stellten wir gewissermassen dasselbe Gesuch an dieselbe Kommission. Und die Dokumente, die Bewerbungsgespräche mit zwei neuen Staatsanwälten aus dem Thurgau protokollieren, erhielten wir ohne Probleme.
Nach unserem Dafürhalten waren die Papiere unter dem Deckmantel der Privatsphäre jedoch unrechtmässig geschwärzt – und darüber schrieben wir auch (siehe «az» vom 31. Mai). Ausserdem belegten die Protokolle, dass die Kommission bei der Wahl der zwei Staatsanwälte sehr schlecht informiert war und quasi überrumpelt wurde.
Die grundsätzliche Herausgabe der Papiere allerdings stand – gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip – ausser Frage. Zumindest bis wir diese Woche den eingangs erwähnten Brief erhielten.
«Sie liegen falsch»
Warum dieser Sinneswandel? Weshalb bleiben Protokolle, die zuvor herausgegeben wurden, plötzlich unter Verschluss? «Wir haben schlechte Erfahrungen gemacht», sagt Peter Scheck zunächst am Telefon. Auf Nachfrage, ob der Entscheid mit der Berichterstattung der «az» zusammenhänge, relativiert der Präsident der Justizkommission: «Das hat damit nichts zu tun. Wieder einmal liegen Sie falsch.» Schon beim ersten Gesuch sei «ein grosser Teil der Kommission» gegen die Herausgabe der Dokumente gewesen.
Die Geheimhaltung begründet SVP-Mann Scheck mit der Besonderheit der Bewerbungsgespräche, die auch im Brief als Grund aufgeführt ist. Und die «im Entscheid des Obergerichts nicht berücksichtigt wurde».
Anders sieht das der Mann, der diesen Entscheid damals mitgefällt hat: Der mittlerweile pensionierte Oberrichter Arnold Marti ist der Meinung, dass «grundsätzlich auch Bewerbungsgespräche in Kommissionen dem Öffentlichkeitsprinzip unterstellt sind».