Kommentar: Marlon Rusch über die städtische Kulturstrategie
Man hat Stadtrat Raphaël Rohner schon euphorischer erlebt. Es war ihm sichtlich unwohl, als er im Haberhauskeller die Rohfassung der städtischen Kulturstrategie vorstellen musste. Er entschuldigte sich schon vorab mit Sätzen wie «Das Papier ist nicht perfekt» oder «Der erste Workshop ist nicht optimal verlaufen». Rohner, so hatte man den Eindruck, hat Angst, dass die alternative Kulturszene kein gutes Haar an der neuen Strategie lassen wird. Und hier, an diesem Abend, tummelte sich fast ausschliesslich ebendiese Szene im Haberhaus.
Seine eigenen Leute kamen nicht. Leute aus der Hochkultur? Rar gesät. Politiker? Gerade einer, AL-Grossstadtrat Simon Sepan. Doch gerade auf die Politik wird es am Ende ankommen. In der Budgetdebatte im November 2018 wird sich entscheiden, wie viel Geld es für die Kultur tatsächlich gibt. Und gerade Rohners Leute aus dem politisch rechten Spektrum, die sich offenbar wenig für das Papier interessieren, werden versuchen, Geld einzusparen.
Insofern darf man Rohner sein Engagement hoch anrechnen. Dass es diese Kulturstrategie gibt, geht eins zu eins auf die Initiative des Stadtrats zurück. Er hat Inputs aus der alternativen Szene, aus dem sogenannten «Kulturbündnis», aufgenommen und in Zusammenarbeit mit der «Kulturkommission» ein Papier ausgearbeitet, das Leitplanken für die künftige Kulturpolitik aufstellen soll.
Dieses ist tatsächlich nicht perfekt. Es fokussiert auf Kulturbetreiber und Kulturorte. Kulturschaffende kommen darin zu kurz. Es zementiert zu einem grossen Teil den Status quo. Es ist wenig konkret. Es ist alles andere als visionär. Doch es schafft einen entscheidenden Mehrwert:
Wir haben ein breit abgestütztes Statement. Pro Kultur. Von einem bürgerlichen Stadtrat.
Ein solches Statement kann ein Werkzeug sein in der besagten Budgetdebatte. Aber vor allem auch zuvor, wenn hinter dem Vorhang das geschieht, was Politik eigentlich ausmacht: Lobbying.
Wir können von Glück reden, stammt das Papier, das mehr Geld für eine mittelgrosse Theaterbühne fordert und Kulturvermittlungsarbeit fördern will, das sogar konkrete Umsetzungsfristen nennt, aus Rohners Feder und nicht aus der eines SP-Manns.
Klar, Raphaël Rohner hat die Tendenz, viele Versprechungen zu machen – mitunter auch konträre, falls es opportun erscheint. Doch in diesem Fall darf man ihm wohl glauben, dass er es ziemlich ernst meint. Rohner ist ein Mann der Kultur, sie liegt ihm am Herzen.
Man kann sich nur wünschen, dass er nicht auf Granit beisst, wenn er in den Reihen der Bürgerlichen für sein Papier und für Kulturgelder weibelt.
Unterstützen kann man ihn, indem man die Kulturstrategie als Werkzeug begreift. Das Papier geht mit sofortiger Wirkung in die Vernehmlassung. Bis zum 31. August kann man in einer E-Mail an info@kulturraum.sh kundtun, was man an der Rohfassung gut findet und was nicht.
Je mehr Inputs kommen, je breiter die definitive Strategie abgestützt ist, desto besser taugt sie als Instrument im Kampf für mehr Kulturgelder.
Und umgekehrt: Wer sich jetzt nicht zu Wort meldet, braucht sich künftig auch nicht zu beklagen, wenn er keine Gelder für seine Projekte erhält.
Einsehen kann man das Papier unter tinyurl.com/kulturstrategie.