Schichtwechsel bei der Liste

26. Juni 2018, Kevin Brühlmann
Der AL-Kern von 2018. Von links: Simon Sepan, Laurin Baviera, Jonas Schönberger, Bea Will, Anna Naeff, Till Aders, Andi Kunz, Simon Stocker, Angela Penkov, Fabian Schug, Susi Stühlinger, Stefan Kiss, Nicole Hinder. Foto: Peter Pfister
Der AL-Kern von 2018. Von links: Simon Sepan, Laurin Baviera, Jonas Schönberger, Bea Will, Anna Naeff, Till Aders, Andi Kunz, Simon Stocker, Angela Penkov, Fabian Schug, Susi Stühlinger, Stefan Kiss, Nicole Hinder. Foto: Peter Pfister

Liebeskummer gab ihr den Namen, Zürchern war sie zu bürgerlich, und das rotgrüne Lager schrumpfte mit ihr: Eine Bilanz nach 15 Jahren Alternative Liste Schaffhausen. Und ein Ausblick.

Wenn man sich dieser Tage durch die Rauchschwaden der «Schäferei» hustet, ist dieser eine Holztisch mit dieser einen Gruppe leerer als auch schon.

Das bleibt nicht folgenlos. Umsatzmäs­sig, einerseits, für die Beiz in der Schaffhauser Webergasse. Andererseits in politischer Hinsicht: Weil es sich bei dieser einen Gruppe vornehmlich um Leute der Alternativen Liste Schaffhausen handelt. Und weil die Leute an jenem Holztisch ganze Wahlkampagnen, Abstimmungskämpfe und bisweilen auch Staatsstreiche ausgeheckt hatten.

«Ich dachte, es gehe viel schneller, bis wir uns die absolute Macht gesichert haben», sagt Florian Keller. Er lacht in seiner bärenhaften Art, seine blonden Locken wackeln. Er sitzt auf einer quietschenden Festbank, vor sich ein Bier.

Dann wird der 35-Jährige ernst. Und selbstkritisch: «Ich muss gestehen, wir waren auch schon ambitionierter als Partei. Früher konnten wir unsere Wahlanteile fast jährlich aufpolieren, aber in den letzten vier, fünf Jahren lief etwas weniger. Es gab Zeiten, da haben wir alles bis ins letzte Detail geplant, jede Medienmitteilung, jedes Plakat. Da veranstalteten wir praktisch ein einwöchiges Lager in der ‹Schäferei› – und dann war die Kampagne im Kasten. Aber wenn du voll berufstätig bist und Familie hast, kannst du das nicht mehr mit derselben Konsequenz vorantreiben. Dann musst du deine Ansprüche senken.»

Als Geschichtsstudent hatte Florian Keller die Alternative Liste 2003 mitbegründet – damals noch im «Falken», nicht im heutigen Stammlokal «Schäferei». Aus dem Historiker Keller wurde nichts, dafür ein leidenschaftlicher Gewerkschafter bei der Unia; heute ist er verheiratet und Vater von zwei Kindern.

Keller trimmte die Partei auf Erfolg. Lange lasen sich die Wahlergebnisse der AL wie Wachstumsprognosen aus den 50er-Jahren. Sie holte Sitz um Sitz, in Kantonsrat, Stadtparlament, Schul- und Stadtrat. Sie gewann Initiativen. Schickte Sparpläne der Regierung in den Sondermüll. Schürte das Feuer unter dem Sitz­leder der etablierten Parteien.

Kurz: Die AL war ein Stachel im bürgerlichen Schaffhauser Fleisch. War laut, bisweilen vorlaut, bissig, erfrischend.

Dann kamen die Wahlen 2016, und die AL verlor erstmals: einen Sitz im Kantonsrat und ihre Fraktionsstärke. Die bislang schmerzlichste Niederlage erfolgte aber im Herbst 2017. Es ging um die «7to7»-Initiative, um betreute Tagesschulen von sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends, bezahlt vom Kanton. Noch nie hatte die AL einen derart teuren und intensiven Abstimmungskampf geführt. Doch das Resultat war ernüchternd: Nur gerade 24,9 Prozent der Stimmbevölkerung sprachen sich dafür aus.

«Ich fand eigentlich, wir hätten alle Wahlen und Abstimmungen hochkant gewinnen müssen», witzelt Florian Keller weiter. Und die Festbank quietscht.

Zum 15-jährigen Jubiläum hat die AL nach Neuhausen geladen, direkt zum Rheinfall. In ein ehemaliges Labor der Industriefirma Alusuisse, das zu einer Galerie umfunktioniert worden ist. Und wie unten im Keller die gebuchte Punkband das Trommelfell drangsaliert, zwecks Soundchecks, stellen sich auf dem Vorplatz, wo die Festbänke quietschen, zwei Fragen.

Was bleibt aus 15 Jahren AL? Und wie viel kann man noch von der Partei erwarten, nun, da sie zum ersten Mal ein paar heftige Rückschläge erlitten hat?

Das Offensichtliche zuerst: Wo es früher bei AL-Festen nur Bier und Sliwowitz gab, stehen heute sogar zwei Sorten Weisswein auf der Karte.

1. Unglücklich verliebte Liste
Wie heisst es bei Hermann Hesse? «Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.» Ende 2002 fanden sich ein paar Freunde um die 20 zusammen. Die vor allem aus Studenten bestehende Schar teilte die Meinung: So kann es nicht weitergehen. Man störte sich an den «Asylrechtsmissbrauch»-Plakaten der SVP. Also startete die Gruppe eine nächtliche «Verschönerungsaktion». Danach wollte man das Ganze in etwas Handfesteres umwandeln.

Aber woher einen passenden Namen nehmen? Glück im Unglück: Einer der Jungs war schwer in eine Frau von der
Alternativen Liste Winterthur verliebt. Durch die Übernahme des Namens AL erhoffte sich der junge Mann bessere Chancen bei ihr, quasi Liebesbeweis. Man lud sie sogar einmal nach Schaffhausen ein, holte sie vom Bahnhof ab, zeigte sich interessiert. Es half alles nichts. Spätestens, als die Schaffhauser AL bei Lokalwahlen bald fünf, sechs Prozent machte, wurde sie den anderen Alternativen suspekt. «Eine Delegation aus Winterthur kam einmal vorbei und meinte: Ihr seid zu angepasst, zu bürgerlich», erinnert sich Christoph Lenz. Der damals 19-jährige Geschichtsstudent, heute Bundeshaus-Redaktor beim «Tages-Anzeiger», gehörte zu den AL-Gründern. Und Lenz war es auch, der im Herbst 2003 bei den Ständeratswahlen antrat, zusammen mit Florian Keller.

Daher lud man zu einer Pressekonferenz. Der Slogan: «Schichtwechsel». Und die linken wie auch die bürgerlichen Medien berichteten mit grossväterlichem Wohlwollen darüber: Super, dass die Jungen was machen. Die Bilder zum Artikel zeigen junge Männer (und ein paar Frauen) mit glatten Wangen und wuscheligem Haar, barfuss, in Turnschuhen oder Birkenstock-Sandalen. Es war der erste öffentliche Auftritt der jungen Alternativen.

August 2003: Christoph Lenz (vorne stehend, rechts) und Florian Keller (links, stehend) treten zur Ständeratswahl an. Es ist der erste öffentliche Auftritt der AL. Foto: Peter Pfister

August 2003:
Christoph Lenz (vorne stehend, rechts) und Florian Keller (links, stehend) treten zur Ständeratswahl an. Es ist der erste öffentliche Auftritt der AL. Foto: Peter Pfister

2. Die SP rollt den Teppich aus
Für die Kandidatur als Ständerat entschied sich das Duo Lenz/Keller, weil die SP gar nicht erst antreten wollte. «Das fanden wir feige», sagt Lenz heute. «Die Sozialdemokraten nahmen nur die Brosamen, die ihnen die Bürgerlichen übrig liessen.»

Anfang der Nullerjahre war Hans-Jürg Fehr die herausragende Figur der Schaffhauser SP: Kantonsrat, Nationalrat, ab 2004 auch Präsident der SP Schweiz. Fehr habe Ruhe in Schaffhausen gewollt, meint Christoph Lenz, weil er seinen Nationalratssitz durch eine zu kämpferische SP in Gefahr gesehen habe. Und mit seiner rhetorischen Brillanz habe er die Genossinnen und Genossen für sich gewinnen können – für die Variante Ruhe.

Selbst für die SP anzutreten, kam für die Jungen nicht in Frage. Einige der AL-Gründer waren zwar SP-Mitglied, doch da sassen auch ihre Eltern. Und überhaupt: «Es schien viel lustiger zu sein, etwas Eigenes zu machen» (Lenz). Florian Keller wiederum drückt es so aus: «Ich nahm an vielen SP-Versammlungen teil, sass sogar in einer Arbeitsgruppe. Das war ein frustrierender Prozess, alles wurde zigmal überarbeitet, bis es kein Fleisch mehr am Knochen hatte. Und alle Leute waren mindestens 50.»

Hans-Jürg Fehr, der 2014 aus dem Nationalrat zurückgetreten ist, entgegnet: «Wir haben ihnen den roten Teppich ausgerollt. Sie hätten innert kürzester Zeit in den Vorstand oder zu einem Amt kommen können. Aber unsere Strukturen waren wohl nichts für sie. Das Spontane gab es bei uns nicht.»

Wobei: Inhaltlich war man meist gleicher Meinung; nur in einzelnen Punkten erhitzten sich die Teekessel. Und zumindest in den Gründungsjahren war es so, dass die AL neue – jugendpolitische – Themen aufs Tapet brachte. Sie bekämpfte die Videoüberwachung in der Altstadt, setzte sich für Übungsräume für Bands ein oder für die Aufhebung der Polizeistunde.

Während die jungen Alternativen nach den Wahlen von 2003 der SP noch artig übertrieben zu einem «Erdrutschsieg» gratuliert hatten, entwickelte sich bald eine Rivalität. Schliesslich gingen die Wahlerfolge der jungen Alternativen grösstenteils auf Kosten der SP, zum Teil auch auf diejenige der Ökoliberalen Bewegung (ÖBS). Das rotgrüne Lager hat sich mit dem Aufstieg der AL kaum vergrössert – respektive sogar minim verkleinert. Im Jahr 2000 hielt Rotgrün (SP, ÖBS, Grünes Bündnis) 33,75 Prozent der damals 80 Kantonsratssitze, genau gleich viel wie 1996. Aktuell sind es 33,3 Prozent der heute 60 Sitze – mit SP (13 Sitze), AL (4), Grüne (2) und Juso (1). Peak waren die Wahlen 2004, als die AL ihren ersten Sitz holte und das links-grüne Lager insgesamt 38,75 Prozent der Kantonsräte stellen konnte.

SP-Doyen Hans-Jürg Fehr sagt, die AL fische eben im selben Teich wie die SP: «Schon bei der POCH vor 40 Jahren hat sich gezeigt, dass das rotgrüne Lager in etwa gleich gross bleibt.» Daran sei nicht zu rütteln. Und bei den letzten Wahlen habe sich die AL nun «den Kopf an der Decke gestossen».

Zum Konkurrenzkampf um Wahlanteile kommt hinzu: Die Parteien funktionieren ganz anders. In der SP holt man sich ein Ämtli an der Versammlung, in der AL ein Bier für die Diskussion in der «Schäferei».

Florian Keller erzählt eine Anekdote dazu: «Ein Neuling, der bei der Juso gewesen war, fragte mich: ‹Wann und wo muss ich den Ordnungsantrag stellen, damit ich dieses Traktandum dann an der Sitzung bringen kann?› Und ich antwortete nur: ‹Nimm dir ein Bier, mach dich locker.›»

Und dann sagt Keller diesen Satz, der so viel über den Argwohn der AL gegenüber starren Strukturen aussagt: «Unsere ganze Kantonsratsfraktion wäre schon lange zurückgetreten, wenn sie könnte.» Die Leute wären am liebsten nur noch ausserparlamentarisch aktiv, so Keller, aber um das richtig zu machen, müsse man halt im Parlament sitzen.

3. Keine Mitgliederbeiträge
Man hört, wie von der Bank nebenan Einspruch erhoben wird: von zwei Männern mit dunklem Zehntagebart. Simon Stocker und Andi Kunz wollen Kellers Festbankpredigt relativieren. Sie sind beide Gründungsmitglieder der AL. Während der 37-jährige Stocker, dazumal studierte er Soziologie, seit 2013 im Stadtrat sitzt, trat der einstige Medienwissenschafts-Student Kunz Anfang 2016 aus dem Parlament zurück. Der 38-Jährige wollte mehr Zeit für seine Familie haben; er ist zudem Leiter der Asylbetreuung im Kanton.

Andi Kunz sagt: «Wir können nicht nur draussen herumstehen und schimpfen, sondern wollen auch Verantwortung übernehmen.» Überall, wo ein Amt freiwerde, kandidiere man auch. Und Simon Stocker führt in die psychologische Untiefe der AL: «Wir haben das Lustprinzip offizialisiert.» Das heisst? «Wir nehmen uns 1’000 Sachen vor, erreichen 750. Und es ist okay.»

In der AL gibt es keine Mitglieder. Nur eine lose Liste, wie der Name schon sagt. Jeder und jede kann aufkreuzen und wieder verreisen, wann er oder sie will. Man ist als Verein organisiert, und theoretisch gäbe es auch einen Mitgliederbeitrag, der wurde aber noch nie einkassiert. «Wenn jemand auf die dumme Idee käme, das Geld einzufordern, würden wir ihn wohl rausschmeissen», sagt Andi Kunz.

Finanziert wird die Partei grösstenteils durch ihre Ämter: Stadtrat Simon Stocker gibt jährlich 12’000 Franken ab, Parlamentarier zahlen einen Drittel und Stadtschulrätinnen zehn Prozent ihrer Entschädigungen.

Die AL besitzt auch kein langfristiges Parteiprogramm, sondern lediglich Ad-hoc-Arbeitsgruppen, die sich «nach getaner Arbeit» (Kunz) wieder auflösen. Und so veränderten sich die Inhalte rasch über die Jahre. Die Politik verlagerte sich vom Tresen der Stammkneipe – so will es der Lauf der Zeit – ins Laufgitter des Kinderzimmers. Das letzte AL-Fest im Sommer 2017 begann bereits um elf Uhr morgens, mit Kinderplausch, so etwas wäre der Partei früher nie passiert.

Die AL kämpfte zuletzt erfolgreich gegen die Kürzung der Prämienverbilligung, gegen Bildungsabbau; sie brachte die Tagesschul-Initiative «7to7» zur Abstimmung, warb für eine Hochschule im Kanton.

Man erlaubt sich eine Zukunftsprognose: Im Jahr 2025 nimmt die AL die tiefe Maturitätsquote ins Visier, 2030 steht die Abschaffung der Studiengebühren an, und 2045 passiert etwas mit der Rente.

Vorausgesetzt natürlich, die Alternative Liste Schaffhausen existiert dann überhaupt noch.

Einflussreiche SP-Mitglieder hatten den Alternativen mehr als einmal ein Übernahmeangebot gemacht: Ihr wechselt zu uns, und wir schauen, dass ihr in den Vorstand und zu Ämtern kommt. Den Sozialdemokraten fehlt nämlich eine ganze Generation, die 30- bis 40-Jährigen, die praktisch alle zur AL gegangen sind.

Ein offizielles Angebot habe es nie gegeben, sagt Hans-Jürg Fehr. «Persönlich finde ich jedoch: Sie können alle zu uns kommen, jederzeit.»

Doch die AL scheint andere Pläne zu haben.

4. Eine Stunde Holzhacken
Grosses Bankrücken auf dem Vorplatz der Neuhauser Galerie. Wie die Punkband im Keller weiterhin Abriss betreibt, zwecks Endphase des Soundchecks, setzt sich ein halbes Dutzend Frauen zwischen 26 und 40 Jahren auf die Festbank. Die alte Garde – Keller, Stocker, Kunz – macht der neuen Platz.

Wie es dazu kam: Irgendwann muss den jungen Männern der AL aufgefallen sein, dass da kaum eine Frau mit ihnen am Tresen sitzt. Zunächst war man ja unter Freunden. Dann scharte der charismatische Florian Keller (vulgo Balou) mehrere Jahrgänge der Kanti-Verbindung Scaphusia hinter sich. Und dieser Burschenschaft-Charakter wirkte abschreckend.

Auftritt Susi Stühlinger, Jahrgang 1985, es war um das Jahr 2010 herum: Die damalige «az»-Journalistin (später «WOZ») fand die Politik der AL zwar gut, erkannte gleichwohl Handlungsbedarf. Spätestens, als sie ein Porträt des frisch gekürten Parteipräsidenten Till Aders mit passiv-aggressiver Wucht in die Tasten hämmerte. Denn Aders sagte für Stühlingers Ohren unverständliche Dinge wie «Männer sind von der Tendenz her eher idealistisch, da braucht es kritische Gegenstimmen» oder «Weibliche Parteimitglieder sind gehalten, ihre Freundinnen mitzubringen».

Gleichwohl – oder gerade deswegen – entschied Stühlinger, sich mit der AL zu treffen. 15 Männer warteten auf sie im Raum. Dann fachsimpelten die Jungs zunächst eine Stunde lang übers Holzhacken; die Partei hatte gerade ein Stück Wald gekauft. Und Stühlinger fand: So wird das nichts.

Doch wenig später kandidierte Susi Stühlinger für den Nationalrat – gemeinsam mit Till Aders. Wahlkampfleiter Andi Kunz hatte sie angerufen, im Hintergrund eine johlende Schar Männer, und doch noch überreden können. «Ich konnte mich doch nicht über das fehlende weibliche Engagement beklagen und selber dasitzen und Däumchen drehen», sagt Stühlinger.

«Überreden ist sowieso ein wichtiger Punkt», sagen die Frauen auf der Festbank. Da sitzt zum einen Bea Will. Die 40-jährige Mutter von drei Kindern arbeitete lange in der «Fass»-Buchhandlung. Dort kreuzte eines Tages Susi Stühlinger auf und überredete sie, für die AL zu kandidieren. Will wurde 2012 prompt in den Grossen Stadtrat gewählt; heute ist sie auch Stadtschulrätin. Wie fand sie Anschluss? «Die AL-Leute redeten über Dinge, wovon ich keine Ahnung hatte», erzählt sie. «Also begann ich eben auch über Sachen zu sprechen, wovon die anderen keinen Plan hatten. Dann ging das schon.» Will wurde bald zur profiliertesten Familienpolitikerin der Stadt.

Als Stühlinger später den Frauenstammtisch Schaffhausen gründete, sties­sen weitere Frauen zur Alternativen Liste hinzu. Mittlerweile ist die treibende Crew der Partei mehrheitlich weiblich.

Und wie viel hat die alte Garde noch zu sagen, namentlich Gründer Florian Keller? Susi Stühlinger reagiert etwas verärgert: «Die Medien sollen sich endlich von diesem Bild befreien, die AL stünde unter der Knute von Florian Keller. Wäre das der Fall, wäre ich der Partei gar nicht erst beigetreten.»

Bittet man um Selbstbeschreibungen der gegenwärtigen AL, erhält man hundert Begriffe zurück. Die Zusammenfassung: Die AL, das sind «Politpunks», irgendwo zwischen «sozialistisch-feministisch-gutmenschisch» und «menschenrechts-aktivistisch».

5. Kaltstart in die Zukunft
Die Blicke der AL-Frauen auf der Festbank wenden sich nach rechts. Dort sitzt Anna Naeff, 26; soeben hat sie ihr Archäologie-Studium abgeschlossen. Ausserdem spielt sie Schlagzeug in einer Punkband namens «Anna & the Idiots». Sie sagt: «Es war schwierig, lief aber gut.» Dann drehen alle ihren Kopf nach links, zu Nicole Hinder. Die studierte Sozialwissenschaftlerin, 32 Jahre, arbeitet bei einem internationalen Kinderhilfswerk. Und sitzt im Neuhauser Einwohnerrat. Sie sagt: «Es ging gleich von null auf 100.»

Die Frage lautete: Wie war das erste Jahr als AL-Präsidentinnen?

Anna Naeff und Nicole Hinder hatten die Parteileitung Anfang 2017 etwas überraschend übernommen. Das Duo war erst vor Kurzem der Partei beigetreten. Und die erste Aufgabe bestand darin, die bislang grösste Kampagne in der Geschichte der AL zu führen, zur «7to7»-Initiative – die zwar Schiffbruch erlitten hat, was Naeff und Hinder jedoch kaum mehr interessiert. Denn nun seien sie so richtig im Präsidiumsamt angekommen.

«Jetzt können wir endlich neue Felder bespielen», sagt Anna Naeff. «Dort wollen wir ein Powerplay aufziehen.» Und
Nicole Hinder führt aus: Die nächsten Themen stünden schon bereit, mehr Transparenz in der Politik, die Stadt velofreundlicher gestalten, eine aktive Bodenpolitik betreiben, Neuhausen aufmischen, Zwischennutzungen von leerstehenden Gebäude fördern und so weiter.

«Links ist noch viel, viel Platz in Schaffhausen», sagt Anna Naeff, ihre feuer­roten Haare tanzen im Wind.

Nachtrag: Am gestrigen Montag gab die AL bekannt, dass Till Aders per 3. Juli 2018 aus dem Kantonsrat zurücktreten wird. Seine Nachfolgerin ist Anna Naeff.