Der Abstieg

14. Juni 2018, Susi Stühlinger
David: «Ich liebe eine Frau erst, wenn ich mit ihr geschlafen habe.»
David: «Ich liebe eine Frau erst, wenn ich mit ihr geschlafen habe.»

Die ehemalige «az»-Journalistin Susi Stühlinger hat versprochen, das «Bachelorette»-Finale zu rezensieren. Sie hat es bitter bereut.

Was hier steht, müssen Sie nicht lesen. Sie verpassen nichts. Wenn Sie es doch tun, dann auf eigene Gefahr. So, wie man im hohen Mittelalter auf eigene Gefahr die Westalpen überquerte. Wie Heinrich IV. Bitterkalt war der Winter 1077, als sich Letzterer schlitternd, teils auf Händen und Knien rutschend gar, gen Toskana quälte, um dann auf der Burg Canossa tagelang vor des Papstes Quartier auszuharren, im Unterhemd, «barfuss und nüchtern, vom Morgen bis zum Abend», wie der mittelalterliche Chronist Lampert von Hersfeld berichtet, bis das Kirchenoberhaupt endlich Gnade walten und den König in die Wärme liess.* Die Redewendung vom Gang nach Canossa ist auch heute noch gebräuchlich, soweit man vorhat, einen erniedrigenden Bittgang zu tun – und genau das habe ich: Bitte verzeihen Sie mir diese Zeilen.

Gregor VII: «Ich liebte die Gerechtigkeit.»

Gregor VII: «Ich liebte die Gerechtigkeit.»

Mit der Tatsache, dass all dies trotz alledem hier steht, hat es folgende Bewandtnis: Mein guter Freund, der Co-Redaktionsleiter dieser Zeitung, hakte sich bei mir unter und meinte in harmlosem Tonfall: Es trifft sich, dass beizeiten just zwei Schaffhauser um die Gunst der schönen Baslerin buhlen. In diesem Format, auf diesem Schweizer Privatsender. Schreibst du uns etwas über das Finale der «Bachelorette»?** – Wie die Erfüllung dieser Aufgabe ohne kompletten Gesichtsverlust zu bewerkstelligen ist? Ich weiss es nicht. Ich weiss lediglich, dass ich nicht vorhabe, der Dinge wie Heinrich IV vor Gregors VII Tür zu harren, barfuss zwar, ja, aber bestimmt nicht nüchtern. So sitze ich also am Montagabend mit drei Flaschen Stammheimer Federweissem und dem Co-Redaktionsleiter vor dessen monströser Glotze.

Bei der «Bachelorette» und der Auseinandersetzung von Heinrich IV und Gregor VII geht es im Kern um dasselbe: die Rivalität zweier starker Männer.*** Da wäre einerseits der muskulöse Cem, in Schaffhausen beheimateter Personal Trainer der Katarischen Königsfamilie (hatte Heinrich IV einen Personal Trainer?), und andererseits der muskulöse David, «angehender Techniker» und Fitnessmodel aus Neuhausen (den dem dortigen Gemeindepräsidenten sehr wichtigen Zusatz «am Rheinfall» hat der Sender vergessen). Gestählte, transpirierende Körper, Augenbrauen wie makellose Pinselstriche eines romanischen Gemäldes. Man könnte darob versucht sein, eine Abhandlung über Macht und die Zurichtung des eigenen menschlichen Körpers vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Zustände zu schreiben, aber die Werke des Michel Foucault stehen unangetastet in meinem Büchergestell. Das müsste mal jemand seriös machen. Oder hat vielleicht schon jemand.

Cem: «Wir haben's geschafft.»

Cem: «Wir haben’s geschafft.»

Die Mitbewohnerinnen des Co-Redaktionsleiters verziehen sich angewidert in ihre Zimmer. Die Aussagen der Protagonisten im Kampf um «die letzte Rose», die dem Sieger verliehen wird, erinnern an Sportlerinterviews («super gelaufen, es könnte nicht besser laufen», «ich sehe dem Abend entspannt entgegen, ich muss konzentriert bleiben», «ich konnte gute Punkte sammeln», «morgen ist das Finale, ich gehe jetzt noch mal in mich», «ich habe von der emotionalen Seite her alles gegeben»), kein Wunder, sind ja auch Sportler. Am Schluss gewinnt einer der beiden.**** Eigentlicher Gewinner des Abends ist allerdings jener Mobilfunkanbieter, der sein Werbebanner – «billiger gehts nicht» – exakt dort platziert, wo sich der künftige Zweitplatzierte anschickt, angesichts der bevorstehenden Entscheidung seine Brustmuskeln zu rubbeln.

Irgendjemand muss dem Unterhaltungswert der Sendung zugerufen haben, was einst Heinrich IV dem Gregor VII zurief: «Steige herab, steige herab» – was in der Folge freilich dazu führte, dass nicht Gregor herabstieg, sondern Heinrich, nämlich die eingangs erwähnten schneebedeckten Westalpen. Dabei müsste das nicht sein, gibt es durchaus unterhaltsame Produktionen im betreffenden Genre. Ich weiss das, denn ich gebe freimütig zu, dass ich bisweilen Thrash-TV gucke, und zwar, ganz ohne es zu intellektualisieren, einfach um des nackten Voyeurismus Willen, gedankenloser Konsum von Schrott zur Befriedigung niederer Triebe, so wie man manchmal zu einer amerikanischen Fastfood-Kette geht (und es dann auch schnell wieder bereut), die Zeiten, als ich meinte, die amerikanische-Fastfood-Ketten-Tüte vor einem nahenden Hans-Jürg Fehr verstecken zu müssen, sind zum Glück längst vorbei. Apropos Fastfood-Kette: Als Heinrich IV seinen Sohn Konrad in Sachsen als künftigen König zu installieren suchte, soll der Anführer der aufständischen Sachsen dies mit den Worten abgelehnt haben, er habe schon oft erlebt, dass ein minderwertiges Rind auch ein ebensolches Kalb zur Welt gebracht habe.*****

Heinrich IV: «Steige herab, steige herab!»

Heinrich IV: «Steige herab, steige herab!»

Das sogenannte «Reality-TV» fasziniert mich auch aus einer, sagen wir, hobbysoziologischen Perspektive, weil ich durchwegs glaube, dass mal irgendjemand zurückblicken und diese Formate als kennzeichnendes Element unserer Epoche klassifizieren wird, mit dem jene Entwicklung ihren Anfang nahm, die sich nun in der permanenten Zurschaustellung des eigenen Selbst auf Social Media fortsetzt, und vor der selbst Persönlichkeiten wie der amtierende Regierungspräsident nicht zurückschrecken. Der hat – schreibt er auf Facebook – übrigens auch mal eine Rose bekommen. Nicht von der «Bachelorette», sondern von der «Schweizer Illustrierten», die sich wiederum von der hier besprochenen Sendung nährt wie ein verzweifelter Untoter, der auch noch den letzten Rest der gesammelten Belanglosigkeiten aus dem serbelnden Format saugt.

Auf dem Balkon des Co-Redaktionsleiters wird, ebenfalls einigermassen verzweifelt, die letzte Flasche Wein geöffnet. Passenger-TV-Qualitätsmedium Nau.ch (auch in unseren bald fusionierten Bussen erhältlich) weiss direkt nach Sendungsschluss zu berichten, dass die «Bachelorette» zwar Sex gehabt habe, mitnichten aber mit dem Gewinner der Sendung. Gefragt, wer der Gespiele gewesen sei, sagt «Bachelorette»: «Ich weiss es nicht.» Kann passieren. Hach, Untreue, Eifersucht, Filmrisse, der Stoff, aus dem packende Geschichten sind. Bei Heinrich IV war das ein wenig anders, der soll seine ungeliebte Angetraute zum Ehebruch verleiten haben wollen, auf dass er sie auf frischer Tat ertappen und verstossen könnte, allerdings soll die Dame den Braten wohl gerochen und ihren Gatten daraufhin mithilfe von Stöcken und Stuhlbeinen dermassen verdreschen lassen haben, dass der gute Heinrich einen Monat lang das Bett hüten musste.

Bachelorette Adela: «Ich weiss es nicht.»

Bachelorette Adela: «Ich weiss es nicht.»

Wir konstatieren: Keine Ahnung. Gregor VII zündete irgendwann später mit der Hilfe der Normannen noch Rom an, verliess dieses aber aufgrund fortdauernder Unruhen wieder und verstarb im Exil, Heinrich IV wurde von seiner zweiten Frau verraten und vom eigenen Sohn abgesetzt. So kann es gehen. «Ich liebte die Gerechtigkeit und hasste das Unrecht, so sterbe ich in der Verbannung», sagt Gregor VII. «Ich liebe eine Frau erst, wenn ich mit ihr geschlafen habe», sagt David. «Wir haben’s geschafft», sagt Cem.


* Laut neuerer Forschung ist die Dramatik des Ereignisses eher dem pro-päpstlichen Chronisten als wahren Begebenheiten geschuldet, aber das wäre ja langweilig – ein Problem, mit dem Schreiberlinge ja öfters konfrontiert sind: die Fakten sind komplex und schwer vermittelbar, Gewalt und Action ziehen einfach besser.
** Ich verzichte darauf, die genauen Modalitäten der Sendung hier zu erklären, kurz: Eine Frau, die an einem thailändischen Strand im Eliminationsmodus aus knapp zwei Dutzend Mannen die grosse Liebe kürt, also quasi umgekehrter Ostersonntag 1084, wo ein einziger, anderer Papst den Heinrich IV zum Kaiser kürte. Naja, nicht ganz umgekehrt.
*** Gut, bei Ersteren geht es um knallharte Machtpolitik mit ernsthaften Konsequenzen für die Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches, aber irgendwie muss das Motiv diesen Text zusammenhalten.
**** Natürlich obsiegt der Schaffhauser, Neuhausen hat, wie immer, das Nachsehen.
***** Die hiesigen Repräsentanten amerikanischer Fastfood-Ketten haben selbstverständlich einwandfreies Fleisch.