«Der Praktikant nahm LSD» – «Das darfst du doch nicht sagen!»

25. Mai 2018, Kevin Brühlmann
Jazzfestival-Organisator Röllin (links) und Schmid vom Radio Rasa.

Jazzer Urs Röllin und Underground-Mann Chrisi Schmid über Musikfestivals, hohe Gagen, LSD, Mainstream – und den ganzen Rest des musikalischen Provinz-Universums. Ein Doppelinterview zum Nachdenken.

 

az Um unsere Leserinnen und Leser aufzuklären: Wir haben Sie vorab gebeten, sich eine Frage zu überlegen, die Sie Ihrem Gegenüber unbedingt stellen möchten. Bitte.
Urs Röllin Warum arbeitest du nicht mehr mit uns zusammen? Die Afterparty letztes Mal mit euch vom Radio Rasa war grossartig. Ein Chaos, aber grossartig. Vermutlich hast du es dieses Jahr vergessen, und wir haben nicht daran gedacht.
Chrisi Schmid Vergessen habe ich natürlich nichts. Habe mal ein paar Mails geschickt und so, dann aber bald gemerkt: Ihr seid in eurer Jazz-Welt.
Röllin Das Programm stand schon lange. Aber vielleicht nächstes Jahr wieder.
Schmid Okay. Dann zu meiner Frage: Findest du alles gut, was am Jazzfestival läuft?
Röllin Nun, ich muss nicht alles gut finden. Wir machen ja eine Werkschau des Schweizer Jazz. Die Aktualität bestimmt unser Programm. Die Musik muss gut sein – egal, ob sie mir gefällt oder nicht.

Was heisst «gut»?
Röllin Der Spirit, das Herzblut muss da sein. Poppige Sachen zum Beispiel gefallen mir weniger, aber wenn sie gut gespielt werden, höre ich es trotzdem gerne. Jazz ist Improvisation, da spielen auch Tagesform und Ambiance eine Rolle.
Schmid Beim Jazz dudeln sie etwas herum, und ich finde dann: Okay, der kann sehr wahrscheinlich Gitarre spielen. Aber hat er es gut gemacht? Keine Ahnung.

Kennen Sie sich eigentlich?
Beide Ja.

Urs Röllin, wofür steht der Name Chrisi Schmid?
Röllin Chrisi schaut dorthin, wo die Musik interessant ist, wo noch nicht genau definiert ist, wohin es geht. Er guckt nicht dorthin, wo sich etwas schon in der Blüte befindet. Er macht dort weiter, wo ich angefangen habe. Von Led Zeppelin herkommend, befand ich mich früher eher in der trashigen, noisigen Ecke des Jazz.
Schmid Led Zep fand ich auch mal gut.
Röllin Ich habe mir auch die Bands vom Rasafari-Openair angehört.

Ihr Fazit?
Röllin Da steckt sehr viel Led Zeppelin drin. Auch etwas retro. Aber die Jungen heute fahren darauf ab.
Schmid Schon, ja. Aber zu dir: Das erste Mal habe ich dich in der Kammgarn wahrgenommen, Mitte der 90er-Jahre. Mit meiner Band Surf Angels haben wir unten im Proberaum einen 15-Minuten-Loop gespielt, immer und immer wieder. Dasselbe in den restlichen Übungsräumen: Jede Band spielte irgendein Stück, und zwar alle gleichzeitig. Urs’ Jazztrio hat das dann als Sample zusammengemixt und oben in der Kammgarn live dazu improvisiert. Davon habe ich zwar nichts mitbekommen, wir mussten ja unten im Keller bleiben und weiter spielen. Aber die Idee war echt gut.
Röllin Wir missbrauchten euch quasi als Soundquelle. War sehr lustig, ein ziemliches Chaos.
Schmid Ansonsten weiss ich nicht viel von dir. Ausser, dass du deinen Kaffee schwarz trinkst.

 

Chrisi Schmid
Mister Radio Rasa, Jahrgang 1971, organisiert seit Mitte der 90er-Jahre Konzerte in Schaffhausen – meist fernab des Mainstreams, meist ohne Entlöhnung. Mit seiner Band Lo Fat Orchestra tourte er durch halb Europa.

Urs Röllin
Der 59-Jährige war 1990 Mitgründer des Schaffhauser Jazzfestivals, das er bis heute mitorganisiert. Als Jazzgitarrist spielte er in diversen Formationen, zurzeit im Trio Morgenthaler/Röllin/Ruben. Seit 1990 hat er einen Lehrauftrag an der Jazzschule Luzern.

 

Ihr veranstaltet seit Jahren Konzerte. Urs Röllin organisiert seit 1990 das Schaffhauser Jazzfestival; Chrisi Schmid machte erst Konzerte im Fass, dann im Taptab und seit zehn Jahren das Rasafari-Festival. Warum habt ihr damit begonnen?
Schmid Ich will Bands holen, die man zwar nicht kennt, die aber die Gesellschaft irgendwie weiterbringen. Zum Beispiel, indem sie anregen, selber Musik zu machen. Darum finde ich es cool, dass das Jazzfestival jetzt auch Street-Jazz anbietet. Früher dachte ich, ans Jazzfestival gehen nur so «Jazz-isch-läss»-Leute, und die Jungen bleiben daheim. Jetzt hören die Jungs und Mädels Jazz auf den Schaffhauser Gassen und sagen: Wow, das will ich auch machen. Diese Entsperrung ist wichtig.
Röllin Als ich 1988 aus Los Angeles, wo ich Jazzgitarre studiert habe, zurück nach Schaffhausen kam, wollte ich den Schweizer Jazz hierherholen. Zusammen mit Hausi Naef organisierte ich dann das erste Jazzfestival. Es liegt in der Natur der Provinz, dass man Dinge vermisst. Manche wie ich den Jazz, manche Theater, manche Underground-Musik à la Chrisi. Hier bietet die Provinz Chancen.

Inwiefern?
Röllin Man kann die Dinge selber in die Hand nehmen. Das Schaffhauser Jazzfestival ist  etwas, das es sonst nirgends gibt in der Schweiz. Für die Stadt ist es heute genauso wichtig wie das Jazzfestival für Montreux. Wenn ich sehe, welche Wellen das Festival wirft, bin ich schon auch stolz. Es ist vielleicht wie bei Giorgio Behr und seinem Handballklub, den Kadetten. Sie wollen, dass die Schweiz nach Schaffhausen blickt.

Chrisi Schmid, wie halten Sie es mit Giorgio Behr und den Kadetten?
Schmid No comment.

Jedenfalls: Urs Röllin möchte auch Strahlkraft erzeugen, während es Chrisi Schmid eher egal ist.
Schmid Korrektur: Mir ist das ganz egal.
Röllin Strahlkraft ist nicht meine Haupttriebfeder. Nochmals zum Handball: Ich habe die Kadetten 1979 in die Nationalliga B geschossen, mit Giorgio Behr als Trainer. Wenn ich sehe, wie die Kadetten heute in der Champions League spielen, finde ich das toll. Dasselbe wäre im Fussball nicht realistisch. Auf die Musik bezogen heisst das: Mit den riesigen Pop-Festivals können wir nicht mithalten. Aber im Jazz spielen wir europaweit eine besondere Rolle.
Schmid Apropos Strahlkraft und besondere Rolle. Wir übertragen das Rasafari ja live im Radio. Vor ein paar Jahren moderierte unser damaliger Praktikant, der sowieso eine Labertasche war, aber an diesem Abend besonders. Irgendwann sagte er, er sei voll auf LSD.
Röllin (lacht) Das kannst du doch nicht in der Zeitung sagen!
Schmid Schon okay. Jedenfalls fragten wir uns, ob wir den Praktikanten aus dem Verkehr ziehen sollten. Wir liessen ihn jedoch machen. Es lief alles gut, nur bei der letzten Ansage wurde es etwas wirr. Er redete Dinge im Sinne von «Ich sehe etwas, was ihr nicht seht». Aber eigentlich hat es das Ganze nur weniger langweilig gemacht.


«Eine halbe Stunde pro Tag länger zu üben, würde euch nicht schaden.»

– Urs Röllin


Sie sind beide auch Musiker. Chrisi Schmid bei der New-Wave-Band Lo Fat Orchestra, Urs Röllin im Jazztrio Morgenthaler/Röllin/Ruben. Schon mal ein Konzert voneinander besucht?

Schmid Nein.

Warum nicht? Haben Sie kein Interesse an Jazz?
Schmid Doch. Kürzlich war ich an der Plattentaufe des Ghost Town Trio von Urs Vögeli. Das Album fand ich eigentlich super, aber das Konzert war ein Schmarren. Das Ambiente war komisch, es war zu leise, die Musiker standen so da: Schaut mal, wie gut ich spielen kann. Ich fand es fake; es kam nichts rüber. Ich mag Jazz, aber es muss etwas crazy sein. Trotzdem bin ich ein Fan von Ghost Town. Werde bald wieder ein Konzert der Band besuchen.

Und umgekehrt, Urs Röllin: Waren Sie bei einem Konzert von Chrisi Schmid?
Röllin Klar, an einigen. Mir gefällt es, wie du Musik machst: mit Vollgas. Diese Punk-Attitüde fasziniert mich. Den Vorwurf der Zurückhaltung müssen sich Jazzer zum Teil gefallen lassen. Doch jeder Stil hat seine eigene Präsentationsform.

Sie sind auch Dozent an der Jazzschule Luzern. Lehren Sie dort eine gewisse Zurückhaltung?
Röllin Nein, im Gegenteil: Notenständer auf der Bühne zum Beispiel sind ein No-Go für mich. Dennoch spielen Jazzer eben auch komponierte Musik. Das Showelement ist weniger wichtig. Im Gegenzug könnte ich vielleicht zu deinem Konzert sagen: Es würde nicht schaden, wenn der Bassist eine halbe Stunde länger pro Tag üben und genauer auf dem Beat spielen würde (lacht).

Der Rockgitarrist Jack White sagte kürzlich in einem Interview mit der «Zeit»: «Ich kenne keinen Menschen, der Jazz hört. Ich lebe im Hier und Jetzt.»
Röllin Diese Aussage sagt mehr über White aus als über Jazz. Genauso gut könnte man sagen: Die Bands, die am Rasafari spielen, machen eigentlich nichts Neues, sondern Retro-Musik. Darum sollte es aber nicht gehen. Sondern um die Frage, ob die Musik gut gespielt ist.
Schmid Ich kapiere Jack White nicht. Wo hört denn Jazz auf? Und wo beginnt er?
Röllin Das ist ja die ewige Frage. Ich wurde durch Led Zeppelin musikalisch sozialisiert. Noch heute suche ich dieses Led-Zep-mässige Spielen ohne Fallschirm. Ist das Jazz?
Schmid Sorry für die Unterbrechung, aber seit Gesprächsbeginn stelle ich mir vor, wie ihr vor den Handballspielen Led Zeppelin gehört habt, «Whole Lotta Love» oder so, um euch zu pushen.
Röllin «Black Dog» war mein Song. Aber ich war schon ein Exot. Während die anderen zum Anstossen ins Marco Polo gingen, besuchte ich Konzerte im Domino.

 

«Man muss immer möglichst gross auftischen, sonst kommt man zu nichts.»
– Chrisi Schmid


Themawechsel: Waren Sie schon mal am Festival «Stars in Town»?

Schmid Mit dem Lo Fat Orchestra sind wir 2011 aufgetreten. Seither war ich nicht mehr. Die Musik, die dort läuft, interessiert mich nicht. Das Programm ist zu wenig gewagt, ideenlos. Und es treten keine richtigen Stars auf. Nur abgehalfterte Typen wie James Blunt, der sowieso alle Käffer rund um den Bodensee abklappert.

Und Sie, Urs Röllin: Wie halten Sie es mit dem «Stars in Town»?
Röllin Ich war schon mehrmals. Grundsätzlich finde ich es gut für Schaffhausen. Das Ambiente ist super. Musikalisch gesehen, wird es immer ein Mainstream-Festival bleiben. Was ich etwas vermisse: eine Haltung hinter der Musik. Offenbar geht es vor allem um den Ticketverkauf.

Röllin: «Wenn man sich für Chrisi starkmacht, springen dabei kaum Wählerstimmen heraus» – Schmid: «Zum Glück nicht.»

Um zu Ihnen zurückzukommen: Bei Ihnen geht es vor allem darum, Neues zu finden und zu fördern, das abseits des Mainstreams liegt.
Röllin Neues: ja. Wobei es beim Jazzfestival schon auch Zwänge gibt. Das Radio überträgt die Konzerte, darauf müssen wir Rücksicht nehmen. So vogelfrei wie Chrisi sind wir natürlich nicht.
Schmid Ich finde es doof, Dinge zu machen, die eh schon alle kennen. Mich stört aber etwas anderes.

Und das wäre?
Schmid Man muss immer möglichst gross auftischen, sonst kommt man zu nichts. Ich sehe es beim Rasafari: All die Jahre haben wir 1’000 Franken Defizitgarantie von der Stadt erhalten. Wir haben sie gebeten, die Garantie auf 3’000 Franken zu erhöhen. Ohne Erfolg. Mir wurde gesagt, dass unser Budget dafür viel zu klein sei. Anders gesagt: Nur wer aufbläst, erhält Geld. Siehe «Stars in Town».

Wie hoch war die höchste Gage an einem Rasafari?
Schmid 2’000 Franken. Für welche Band verrate ich aber nicht.
Röllin Beim Jazzfestival sind es 800 Franken pro Musikerin und Musiker. Man soll die verschiedenen Festivals und kulturellen Institutionen nicht gegeneinander ausspielen. Aber Chrisi hat schon auch recht: Der Underground und das Neue wird und wurde schon immer nur zaghaft unterstützt. Die Off-Szene muss sich sehr lange beweisen. Ich hoffe, dass die Politik das Ungleichgewicht zwischen etablierten städtischen Institutionen und sogenannt alternativen Organisationen bald ausgleicht. In fast 30 Jahren Jazzfestival wurden wir zum Beispiel nie gefragt, ob man uns helfen könne. Die Leute in der Politik wollen natürlich wiedergewählt werden. Und wenn man sich für Chrisis Nischenkultur starkmacht, springen vermutlich nicht allzu viele Wählerstimmen dabei heraus.
Schmid Zum Glück nicht.

Das Schaffhauser Jazzfestival dauert vom 23. bis zum 26. Mai. Das Rasafari-Openair steigt am Samstag, 26. Mai.