«Wo trinkt man in Schaffhausen den besten Kaffee?» – Diese Frage stellten wir Ihnen in den sozialen Medien. Jetzt haben wir Ihre Antworten überprüft. Mit Barista-Schweizer-Meister Philipp Schallberger.
Es gibt Themen, zu denen haben alle eine Meinung. Dazu gehört – offenbar – Kaffee. Wir wollten von Ihnen wissen, wo man im Städtli den besten Kaffee bekommt – und Sie haben auf Facebook zu Dutzenden geantwortet. Dabei gingen die Meinungen auseinander, die Streuung war gross. Das ist nachvollziehbar, über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten; dennoch gibt es auch beim Kaffee Vergleichskriterien, die Qualität des braunen Gebräus lässt sich objektiv bestimmen.
Einer, der dies beherrscht wie nur wenige, ist Philipp Schallberger. Der Schaffhauser ist zweifacher Barista-SchweizerMeister und juriert als lizenzierter Sensorikjuror auch Weltmeisterschaften. Lange Jahre arbeitete er für Unternehmen und Stiftungen als Kaffeeexperte in der Forschung und Entwicklung, wählte Bohnen aus für die Kaffees in der Migros, verbrachte viele Monate in Südamerika, arbeitete dort mit lokalen Produzenten zusammen. Seit 2013 ist er Teil des Kollektivs «Kaffeemacher», das in Basel als Röster, Baristi, Sensoriker, Entwickler und Forscher tätig ist. In der hauseigenen Akademie schulen die Kaffeemacher Interessierte in Sensorik, sie betreiben eine eigene Rösterei in der Schweiz und eine Kaffeefarm in Nicaragua, sie beraten Gastrounternehmen und Produzenten. «Unser Anliegen ist, die Kaffeequalität in Europa zu verbessern», schreibt das Kollektiv auf der Website. «Wenn Kaffee als Qualitätsprodukt wertgeschätzt und gekauft wird, führt das zu einem erhöhten Rohkaffeepreis für den Produzenten.» Handel auf Augenhöre statt Charity.
Für die «az» nimmt sich Philipp Schallberger an einem sonnigen Samstagvormittag zwei Stunden Zeit für eine Tour de Schaffhouse, eine Runde durch fünf Cafés, die Sie, liebe Leserinnen und Leser, uns in den sozialen Medien empfohlen haben. «Wir trinken Espresso», sagt der gut gelaunte Experte. Dann betreten wir das erste Café.
Im vollen Vordergässli wird nach kurzer Wartezeit ein Zweiertisch frei. Auch der Espresso ist zügig da. Als erstes fällt dem Laien auf: fast keine Crema. Schallberger relativiert sogleich. Die Crema sage absolut nichts über die Qualität des Getränks aus. Diese Vorstellung habe sich in den Köpfen festgesetzt, sei aber eigentlich falsch. Die Crema sei im Grunde genommen nur das Gas, das beim Rösten der Bohnen entstehe und beim Brühen austrete. «Die Crema ist ein Indikator dafür, dass der Espresso frisch gebrüht wurde und die Bohnen frisch sind.» Mit der Zeit fällt sie zusammen.
Insofern kann die Crema doch ein Indikator für Qualität sein, denn beim Espresso kommt es auf die Frische der Bohnen und das zeitgerechte Brühen an. Heiss müsse er sein, schon bei geringem Wärmeverlust verliere er markant an Geschmack.
Der Espresso im Vordergässli ist sehr heiss, aber er ist «dünn». Philipp Schallberger schätzt ein Brühverhältnis von 1 Teil Kaffeepulver auf 4,5 Teile Wasser. Seine Maschine zuhause brüht im Verhältnis 1/3.
Durch die geringe Menge Pulver mangelt es dem Vordergässli-Espresso an Textur. Dafür habe er eine gute Säure, sei mild, nicht bitter, leicht fruchtig. Im Tässchen liegen etwa 50 Milliliter Flüssigkeit, es ist ordentlich gefüllt. «Ein typischer Schweizer Espresso, sauber zubereitet, ohne Defekt, aber nichts Besonderes», schliesst der Experte. Mit 4.80 Franken ist er der Teuerste der Testreihe.
Nach Abschluss der Tour wird sich zeigen: Wir haben gut daran getan, im Vordergässli anzufangen. Das Brühverhältnis wird kleiner, die Aromen intensiver.
Nächster Halt: Fronwagplatz 28, Noordlicht. Philipp Schallberger sieht hinter dem Tresen zwei Mühlen mit zwei Kaffeesorten, «schon mal gut». Auf dem Nebentisch liegt das Gastromagazin «Salz & Pfeffer». Darin: eine mehrseitige Reportage über Wein & Kaffee. «Als charakterstarkes, vom Terroir und von der Fermentation geprägtes Genussmittel muss Kaffee den Vergleich mit Wein nicht scheuen.» Experte: Philipp Schallberger. Schon ist ein neues Fass offen, die Bohne.
In Costa Rica etwa würden im Hochpreissegment einzelne Kaffeefelder vermarktet wie im Burgund die einzelnen Rebparzellen. «Du siehst, wenn man etwas mehr für die Bohnen bezahlt, wird es spannend.» Plötzlich werden auch Jahrgänge wichtig. Wobei im Handel meist Blends verkauft werden, Mischungen. Was trinken wir hier? Auf dem Schild steht «100 % Fair Trade». Das lasse auf Kaffees aus Honduras, Peru, Bolivien oder Mexiko schliessen.
Philipp Schallberger rührt in der Tasse, ein Muss, auch wenn man den Kaffee ohne Zucker trinkt. «Sonst trinkt man Schicht für Schicht.» Ein Kaffee habe diverse Bestandteile, die sich durch die langsame Extraktion nur bedingt vermischen. Süsse, Säure, Bitterkeit und Körper werden zu verschiedenen Brühzeiten extrahiert. Der Noordlicht-Espresso ist bedeutend «kürzer» als der im Vordergässli. Schallberger schätzt ein Brühverhältnis von 1 zu 2,5. Das verleihe dem Espresso mehr Gewicht. Er sei dichter, intensiver, aber nicht sehr aromatisch, nicht sehr charakteristisch. Fazit: «Ein schöner, massentauglicher Bar-Espresso.» Den bekommt man für 4.50 Franken. Ihm persönlich sei er etwas zu «röstig», aber da gehe es jetzt in die individuellen Vorlieben.
Schallberger zeichnet ein Röstprofil in mein Notizbuch; eine Achse zeigt die Temperatur, die andere die Zeit. Der Prozess startet bei rund 180 Grad, die Temperatur sackt nach wenigen Minuten um die Hälfte zusammen und erholt sich in den folgenden zehn, fünfzehn Minuten langsam wieder. Daran lässt sich nun subtil schrauben. Doch Vorsicht: «Mit dem Pflücken der Kirschen beginnt die Uhr zu ticken, nun kann man mit jedem Arbeitsschritt nur noch Qualität verlieren.»
Wir gehen weiter zum Bohnenblühn an der Webergasse 5. Im Untergeschoss des kleinen Lokals betreibt Inhaberin Christa Cotti eine eigene Rösterei, die Bohnen importiert sie selbst. Sie kennt Philipp Schallberger, natürlich, die beiden sind befreundet und waren schon zusammen auf Kaffeereise in Kenya. Ob das diesen Versuch beeinflusst? «In der kleinen Szene kennt jede jeden», sagt er. Als Juror sei er es gewohnt, mit diesem Problem umzugehen.
Aber zurück zum Bohnenblühn. Die dicke Crema schmiegt sich an den Rand der bauchigen Tasse. Die Bohnen: viel Robusta, quasi das Gegenstück zu Arabica, der zweiten grossen Sorte. Robusta stammt vornehmlich aus Vietnam, Indien, Indonesien, während Arabica klassischerweise in Brasilien, Kolumbien, Honduras angebaut wird. Die Bohnen, die wir hier trinken, stammen aus Guatemala und wurden gewaschen aufbereitet.
«Robusta gibt dem Kaffee Körper, sie enthält mehr Koffein, ist bitterer.» Der Bohnenblühn-Espresso habe mehr Säure als derjenige im Noordlicht, die von der starken Süsse gestützt werde. «Säure im Kaffee ist positiv! Wie in einer Zitronenlimo mit Zucker.» Die Süsse komme von der Reife der Bohne – nur hochqualitative Bohnen sind süss. Ist die Qualität hoch, kann man alle Geschmäcker intensivieren, solange sie gut ausbalanciert sind.
Philipp Schallberger schmeckt einen schweren Kaffee, eine zitrische, komplexe Säure. Für 4.50 Franken erhält man im Bohnenblühn eine «moderne Interpretation» des Espresso. «Der beste bis jetzt», sagt er.
Natürlich drängt die Zeit. Die Ausführungen sind ausführlich, aber hilfreich. Der Laie vermag dem Experten in seiner Analyse bald einigermassen zu folgen.
Weitere Fässer, die man aufmachen könnte: Extraktionszeit, Druck, Temperatur, sie alle spielen mit der Wassermenge und den Bohnen zusammen. Verschiebungen einzelner Variabeln haben Einfluss aufs Ganze.
In der Fassbeiz, in der Webergasse gleich nebenan, gibt Philipp Schallberger einen kurzen Exkurs in die Welt des Wassers, die eine weitere Seite des Notizbuchs füllt. Es darf nicht zu hart und nicht zu weich sein. Es geht jetzt um pH-Werte, um die Alkalinität, das Säureverbindungsvermögen. Die Grundfrage: Wie viel Kalk ist nötig, wie viel braucht es, um die übrigen Mineralien zu tragen, die wiederum dafür sorgen, dass sich die Aromen des Kaffeepulvers entfalten können?
Ein Freund von Schallberger hat das Schweizer Wasser untersucht und in einer Wasserkarte festgehalten. Fazit: Miserabel ist das Wasser im Zürcher Speckgürtel und in Appenzell, das Nonplusultra sei das Obergoms – «für einmal ein Grund, ins Wallis zu ziehen» – auch wenn es zwischen einzelnen Tälern markante Unterschiede gebe. «Für den Espresso-Geschmack ist das Wasser aber nicht wahnsinnig relevant», beruhigt der Experte. Klar, zu Meisterschaften schleppe jeder Teilnehmer sein eigenes, «frisiertes» Wasser, das er auf Basis von destilliertem Wasser gemischt hat. Für den Heimgebrauch aber sei das Wasser von Migros Budget zu empfehlen, das sei sehr weich.
Im Fass kommt das Wasser aus dem Hahn. Der Espresso für 4.30 Franken ist erneut sehr nussig, Schallberger schmeckt dunkle Schokolade, Bitterstoffe, «viel Brasilien». Aber nicht zu «röstig». Die Länge ist o.k., die Textur auch. «Der Espresso überzeugt in seiner Einfachheit», so sein Urteil. Erneut: ein guter Bar-Espresso.
Zum Schluss gehen wir dorthin, wo wir den italienischsten der fünf Espressi vermuteten, in die Gelateria El Bertin in der Unterstadt.
Der Preis ist schon mal der italienischste: 3.50 Franken kostet hier das schwarze Gebräu – dafür bekommt man echtes Ferien-Feeling. Angemessene Crema, Robusta in der Nase, sehr wenig Säure (Auf der Skala gibt Schallberger 2/10). Eine dunkle Röstung, Geschmack nach dunklem Holz, nach Erde. Ein «In-your-face-Espresso», sagt er.
Aber er schmeckt einen kleinen «Defekt», einen schlechten Geschmack, der bei der Aufbereitung, der Trocknung, beim Sortieren, bei der Lagerung entstehen kann. Ein etwas «ranziger» Abgang. Waren die Bohnen alt? Das lässt sich schlecht identifizieren. Unter Umständen reicht eine einzige faule Bohne für einen Defekt. An einer Meisterschaft hätte dieser Espresso keine Chance, sagt Philipp Schallberger. Dem Laien fällt es schwer, den Defekt zu finden. An einem Tresen in Süditalien würde er kaum entdeckt.
Aber eben, über Geschmack lässt sich streiten. Man soll sogar. «Nur über die Diskussion kann der Kaffee aus seiner Nische als Alltagsgetränk herausfinden und wird hoffentlich irgendwann als Luxusprodukt wahrgenommen.»