Scharfes Lokal

5. April 2018, Kevin Brühlmann
«Es läuft immer besser»: Makda und Daniel Adisu in ihrem Restaurant. Fotos: Peter Pfister
«Es läuft immer besser»: Makda und Daniel Adisu in ihrem Restaurant. Fotos: Peter Pfister

Vor einem Jahr eröffnete das «Africana». Das Wirtepaar Makda und Daniel Adisu bietet Spezialitäten aus Eritrea und Äthiopien an. Ohne Besteck, dafür mit viel Hingabe. Wir waren auf Essensbesuch.

Zwei Leben kreuzen sich in Asmara, der Hauptstadt Eritreas: dasjenige von Makda Zewde und von Daniel Adisu. Ein paar Jahre später eröffnen sie das erste afrikanische Restaurant in Schaffhausen. Das ist ihre Geschichte.

Das «Africana» liegt in der Webergasse in Schaffhausen, dort, wo sich jahrelang das «Roseneck» befunden hat. Wo vormals Rauchschwaden der Filterlosen ihr letztes Refugium vorfanden, werden seit April 2017 – nach einem Umbau – eritreisch-äthiopische Spezialitäten serviert.

Beim Eintritt ins Lokal kurz nach zwölf Uhr begrüsst uns Daniel Adisu, ein zurückhaltender 40-Jähriger. Er trägt Jeans, Hemd und eine schwarze Schürze. Und ein freundliches Lächeln. Das kleine Lokal ist sorgfältig eingerichtet. An den Wänden hängen eritreische Malereien, auf den Tischen stehen geflochtene Körbchen, und in die Tischdecken sind Kreuze der eritreisch-orthodoxen Kirche gestickt. Das Ehepaar Adisu zählt zur Hälfte der sechs Millionen Menschen in Eritrea, die dem Christentum angehört. Die andere Hälfte ist muslimischen Glaubens.

Wissenschaft Ingera
Seine Frau Makda sei leider nicht da, meint der Gastgeber im Restaurant. Sie arbeite gerade in Zürich. Am Telefon erklärt sie später, dass sie heute kurzfristig habe einspringen müssen, aber sie sei am Abend wieder im «Africana». Man verabredet sich auf halb sechs.

Hunger ist dennoch angesagt, es ist schliesslich Mittag. Was empfiehlt der Gastgeber?

«Zigni», sagt Daniel. Rindfleisch, gekocht, es sei ein bisschen scharf, ob das okay sei? Sicher. Dazu empfiehlt er einen besonderen Tee: Schwarztee mit Pfefferminze und Zimt.

Daniel zieht sich in die Küche zurück; er kocht selber. Wenig später bringt er das Essen, wie immer gibt es kein Besteck dazu. Er hat nicht zu viel versprochen, das Zigni ist pikant, aber auch für Chili-Laien gut essbar.

Er verrät die Geheimzutat: Berbere, eine scharfe Gewürzmischung, die unter anderem aus Chilipulver, Knoblauch, Ingwer, Nelken, Zimt und Koriander besteht.

Das Zigni ist auf Ingera serviert, dem Hauptbestandteil der eritreisch-äthiopischen Küche. Das luftige Fladenbrot, das an eine Omelette erinnert, wird aus zwei Hirsesorten sowie aus Weizen zubereitet. Im Geschmack dezent, mit leicht säuerlicher Note, ist es ein schönes Fundament des würzigen Zigni.

Die Herstellung des Ingera ist eine kleine Wissenschaft, es gibt unzählige Familienrezepte. Man sagt, der Streit über die Zubereitung habe auch schon zu Familienfehden geführt. Daniel selbst orientiert sich an der Vorlage seiner Grossmutter.

Club dank General
Bevor Daniel Adisu in die Schweiz kam, damals, im Herbst 2015, war er Geschäftsführer eines Clubs mit Restaurantbetrieb in Asmara. Die Hauptstadt Eritreas mit ihren 660’000 Einwohnerinnen und Einwohnern liegt am Rande eines Hochplateaus auf 2’300 Metern über Meer. «Es war das erfolgreichste Lokal des Landes», sagt Daniel stolz, «es hatte Platz für 500 Leute.» Dabei kommt er nicht aus einer militärisch hochdekorierten Familie, was in Eritrea vieles verunmöglicht. Zum Beispiel Gebäude zu mieten.

Eine kleine Wissenschaft: Der Chefkoch zeigt, wie man ein richtiges Ingera zubereitet. Foto: Peter Pfister

Eine kleine Wissenschaft: Der Chefkoch zeigt, wie man ein richtiges Ingera zubereitet.

Die Militärs der Eritreischen Volksbefreiungsfront, die sich nach dem 30-jährigen Unabhängigkeitskrieg gegen Äthiopien (1961–1991) Ämter und Geld gegenseitig zuschanzten, bestimmen heute, was läuft. Ein Bericht des UN-Flüchtlingskommissars UNHCR vom Juni 2015 konstatierte «systematische, weitverbreitete und schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen», darunter willkürliche Tötungen und Verhaftungen, Leute, die einfach verschwinden, Folter sowie fehlende Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit. Auf der 2017 erschienenen Rangliste der Pressefreiheit, zusammengestellt von der Organisation Reporter ohne Grenzen, nimmt Eritrea den 179. und damit vorletzten Platz vor Nordkorea ein.

Für Daniel jedenfalls bedeutete die restriktive Lage in seiner Heimat: mieten oder kaufen ist nicht. Er wurde nur deshalb Geschäftsführer, weil ihn ein ehemaliger General, der den Club besass, machen liess; das Lokal lief schlecht, und zu verlieren hatte der General nichts mehr.

Daniel päppelte den Club innerhalb weniger Jahre auf, bis er schnurrte wie ein junges Kätzchen. Er zeigt uns einige Bilder auf dem Smart­phone. Junge Eritreerinnen und Eritreer feiern bis in die frühen Morgenstunden. Daniel am DJ-Pult. Andere Fotos zeigen enorm kitschige Dekorationen zum Valentinstag. «Die Leute lieben das!», meint Daniel lachend.

Man verabschiedet sich; man sieht sich ja am Abend bald wieder.

Cha Cha zum Abendessen
Um halb sechs Uhr werden wir von Makda Adisu begrüsst. Das Lachen der 30-Jährigen füllt den ganzen Raum. Sie ist in Thayngen aufgewachsen, nach KV-Lehre und Berufsmatura studierte sie Internationale Beziehungen in Washington, D. C. Heute arbeitet sie im Exportbereich eines Schokoherstellers in Zürich, als Dolmetscherin für die Schaffhauser Polizei – und eben als Wirtin.

Cha Cha: Rindsfilet in heisser Gewürzbutter. Foto: Peter Pfister

Cha Cha: Rindsfilet in heisser Gewürzbutter.

Makdas Vater, gebürtiger Eritreer, hatte im Unabhängigkeitskrieg gekämpft, flüchtete aber in den 70er-Jahren ausser Landes. Eigentlich wollte er nach Deutschland, wurde jedoch an der Schaffhauser Grenze herausgenommen. Und so blieb er hier, lernte seine Frau kennen, ebenfalls aus Eritrea; gemeinsam zogen sie nach Thayngen.

Lange waren sie die einzigen Eritreer in der Region. Bis vor drei, vier Jahren, als Menschen aus Eritrea vermehrt nach Europa flüchteten – und zum Feindbild rechter Parteien wurden. «Es ist schon merkwürdig», sagt Makda, «früher galten Eritreer als fleissige Leute. Jetzt plötzlich als Bedrohung.»

Makdas Eltern lehrten sie Tigrinya, neben Arabisch die Amtssprache Eritreas. Auch Makda und Daniel Adisu unterhalten sich auf Tigrinya.

Wie haben sie sich eigentlich kennen gelernt? Daniel, der mittlerweile aus der Küche dazugestossen ist, hat sich ein traditionelles eritreisches T-Shirt übergezogen. Er blickt seine Frau belustigt an.

Ob wir Hunger haben, fragt er zuerst. Wie die Antwort ausfällt, ist zweitrangig; Daniel verschwindet wieder in die Küche. Kurz darauf serviert er «Cha Cha», Rindsfilet mit Zwiebeln, Tomaten und Peperoni, das in eritreischer Gewürzbutter gebraten wird. Es heisst so wegen des zischenden Geräuschs, das ertönt, wenn das Fleisch in die Bratpfanne gelegt wird.

Als Beilage gibt es Ingera und Salat. Wieder harmoniert das würzige Fleisch mit dem leicht säuerlichen Gout des Ingeras.

Rechnungen sind suspekt
Während des Essens ist Zeit für die Kennenlern-Geschichte. 2011 arbeitete Makda für ein paar Monate ehrenamtlich in einem Kindergarten in Asmara. Sie wohnte bei ihrer Grossmutter. Über einen Cousin traf sie Daniel, der sie in seinen Club einlud. Das Paar heiratete 2014 in Asmara, 500 Gäste waren eingeladen. Vor zweieinhalb Jahren kam Sohn Elias auf die Welt.

Wie findet sich Daniel in der Schweiz zurecht? «Ganz gut», sagt er. Man müsse halt bereit sein, hart zu arbeiten – egal wo man sich befinde auf der Welt.

Nur mit den Rechnungen habe er zu Beginn Probleme gehabt. In Eritrea sei man das nicht gewohnt; da verlange man das Geld direkt, bar, und zwar laut, denn den Banken vertraue man nicht. «Er gewöhnt sich aber daran», sagt Makda. «Wir sind sehr zufrieden mit dem Restaurant. Es läuft immer besser.»

Dann serviert Daniel einen Kaffee aus äthiopischen Bohnen. «Damit bleibt man lange wach», lacht Makda.