Das unsichtbare Geschlecht

12. März 2018, Romina Loliva

Am Tag der Frau widmen sich die Medien Frauenthemen. An den übrigen 364 Tagen des Jahres sind Frauen in der Berichterstattung untervertreten. In der «schaffhauser az» schaffen sie es kaum über 30 Prozent – eine selbstkritische Analyse.

 

Wer in den Medien präsent ist, wird wahrgenommen. Wer wahrgenommen wird, hat Einfluss.

Diese Regel ist zwar simpel, aber wichtig. Sobald jemand den Schritt in die Öffentlichkeit wagt, stellen sich die Redaktionen die Frage, ob und wie darüber berichtet werden soll. Die Kriterien für die Auswahl sind so verschieden wie die Medienwelt selbst. Egal ob es um ein Theaterstück, eine neue Platte, eine politische Kandidatur oder um die Führung eines Unternehmens geht, Journalistinnen und Journalisten bestimmen mit, wie erfolgreich jemand wird.

Besonders in der Politik kann Sichtbarkeit über Sieg oder Niederlage entscheiden. Im Wahlkampf ist das Gedränge um Publizität gross. Wer sich gut verkauft, bekommt Aufmerksamkeit. Was und wer interessant ist, bestimmen aber oft die Medien. Beispiele gibt es zuhauf: Christoph Blocher, Ignazio Cassis, Andreas Glarner, Roger Köppel, Cédric Wermuth, Rudolf Strahm sind Namen, die unabhängig von der politischen Ausrichtung in jedem Schweizer Haushalt bekannt sind. In Schaffhausen zieren Christian Amsler, Walter Hotz, Pentti Aellig und Peter Neukomm regelmässig die Titelseiten der Zeitungen.

 

Über das Geschlecht definiert

Frauen haben es da schwerer. Ihre Sichtbarkeit ist deutlich niedriger als die der männlichen Kollegen. Seit 1991 lässt die Eidgenössische Kommission für Frauenfragen die Berichterstattung vor den Wahlen untersuchen. Die Bilanz ist ernüchternd. Bei den letzten nationalen Wahlen lag der Anteil Frauen bei den Kandidierenden bei 34,5 Prozent, ihre Medienpräsenz lag jedoch nur bei 23,5 Prozent.

Wenn es um Frauen geht, sind die Medien auch im Ton strenger, wie kürzlich zwei Journalistinnen des Tagesanzeigers mit einer Analyse der Berichterstattung über die Zürcher Stadtratswahlen aufgezeigt haben. Frauen werden härter kritisiert und man traut ihnen weniger zu als den Männern. In Schaffhausen ist die Lage ähnlich. Beim letztjährigen Wahlkampf etwa wurden die zwei Kandidatinnen Cornelia Stamm Hurter und Claudia Eimer auffällig oft weniger aufgrund ihrer Politik beurteilt: Die Fragen, ob sich Cornelia Stamm Hurter von ihrem Mann und Nationalrat Thomas Hurter politisch distanzieren könne und ob ihre Fotos zu retuschiert waren, bekamen ­grösseres Echo als ihre inhaltliche Positionierung. Bei Claudia Eimer wurde immer wieder nach ihrer Qualifikation gefragt: Kann eine Psychologin Regierungsrätin werden?

In der Kulturszene herrscht gegenüber Frauen ein ähnliches Misstrauen. Musik, Kunst und Literatur sind mehrheitlich männlich geprägt. Rezensionen, Kritiken und Besprechungen holen manchen Newcomer aus dem Schatten ins Rampenlicht, allerdings sind das in der Regel Männer. Die bekanntesten Schaffhauser Musikerinnen sind die Jazz-Pianistin Irène Schweizer und die Alphornistin Lisa Stoll. Die Frage, wie es als Frau sei, Jazz oder Volksmusik zu machen, mussten sich schon beide gefallen lassen.

In der Berichterstattung ist das Geschlecht bei Frauen zentraler als bei Männern. Die genderspezifische Darstellung greift besonders um den 8. März. Viele Medien nehmen den Tag der Frau zum Anlass, die Stellung der Frauen in der Gesellschaft zu thematisieren.

 

Wo Frauen in der «az» vorkommen: Die Rubrik «Gesellschaft» dominiert. Kaum vertreten sind Frauen hingegen in Wirtschaftsartikeln.

 

So auch die «schaffhauser az», die dann traditionell über Feminismus, Gleichstellung und Diskriminierung von Frauen schreibt. Ansonsten schaffen es sowohl diese Themen als auch die Frauen selbst seltener in die Zeitung.

 

Frauenanteil von 29,3 Prozent

Eine Analyse aller Artikel aus dem Jahr 2017 zeigt es deutlich. In der «az» sind die Frauen untervertreten und schaffen es kaum über die 30-Prozent-Marke. In 52 Ausgaben wurden Männer 311-mal zitiert, porträtiert oder interviewt. Frauen nur 129-mal, was 29,3 Prozent entspricht.

Besonders stark zeigt sich die Ungleichverteilung bei den Kommentaren der Redaktion. Von insgesamt 57 Meinungsbeiträgen wurden im letzten Jahr 48 von Männern und 9 von einer Frau verfasst.

Bei den Kolumnen ist das Missverhältnis weniger frappant, aber dennoch vorhanden. 34,6 Prozent aller Donnerstagsnotizen wurden von Frauen geschrieben.

Bei den Interviews ist die Verteilung ausgewogener, Frauen kommen in dieser Form eher zu Wort: Von 59 interviewten Personen waren 24 Frauen, was einem Anteil von 40,7 Prozent entspricht. Darunter befanden sich 9 Politikerinnen, 11 Frauen aus dem Kulturbereich und 4 aus der Sparte Gesellschaft. Im Bereich Wirtschaft oder Sport kam gar keine Frau in Interview-Form zu Wort, obwohl es einige Schaffhauserinnen gibt, die in diesen Bereichen tätig sind.

In personenzentrierten Texten wie Porträts, Rezensionen, Kritiken und Vorschauen sind die Auswahlmöglichkeiten der Redaktionen am grössten, da diese Textformen weniger an eine Agenda gebunden sind. Trotzdem ist die Unterrepräsentation der Frauen markant. Von insgesamt 174 Personen waren nur 30,5 Prozent Frauen. In der Rubrik Kultur waren 26 von 77 Porträts Frauen gewidmet. Im Bereich Gesellschaft – wo viele Frauen öffentlich wirksam arbeiten und sich engagieren – waren von 53 Personen lediglich 16 Frauen.

Expertinnen wurden ebenfalls weniger berücksichtigt als Experten. Wenn es darum geht, eine externe Fachmeinung einzuholen, werden meistens Männer angefragt. Von 98 zitierten Personen waren nur 25 Frauen, also nur 25,5 Prozent.

 

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Kommentar: Mehr Journalistinnen

Warum sind Frauen weniger sichtbar? Die Redaktion der «az» befasst sich oft mit dieser Frage. Nicht selten sorgt die Suche nach einer Frau als Gesprächspartnerin für einen Artikel für Diskussionen. Dennoch schaffen wir es nicht, den Frauen den Raum zu geben, die sie haben sollten. Das hat vielfältige Gründe. Einer ist die geschlechterspezifische Sozialisierung: Männer fördern Männer, Frauen eher Frauen. Dessen müssen wir uns als Medienschaffende bewusst sein. Nur wenn Muster durchbrochen werden, kann sich etwas ändern. Anfangen könnten wir mit einer kritischen Betrachtung der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie. Nicht immer haben jene, die am lautesten schreien, am meisten zu sagen. Ausserdem müssen dringend mehr Frauen in den Journalismus. Ihre Sicht, ihre Meinung, ihre Sprache müssen wahrgenommen werden. Das ist nötig, auch in der -Redaktion der «schaffhauser az».

Romina Loliva

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