Keine Untertitel und damit kein Zugang zu Informationen mehr: Die gehörlose Patty Shores warnt vor «No Billag».
az Patty Shores, wie viele verschiedene Gebärdensprachen können Sie?
Patty Shores Etwa sechs. Mit meinem Mann und seiner Familie gebärde ich in der Deutschschweizerischen Gebärdensprache, mit meinem Patenkind auf Französisch und mit meinen südafrikanischen Freunden nutze ich nochmals eine andere Sprache. Dank neuer technologischer Möglichkeiten ist die Welt kleiner geworden.
Wie hat sich die Situation der Gehörlosen verändert, seit Sie in den 90er-Jahren in die Schweiz kamen?
Das Behindertengleichstellungsgesetz von 2004 hat viel ausgelöst. Das Schweizer Fernsehen hat Dolmetscher für Gebärdensprache eingesetzt und die Tagesschau wurde übersetzt. Dadurch haben die Gehörlosen mehr Zugang zu Informationen erhalten. Ich bin sehr froh, dass wir das alles erreicht haben.
Das heisst, die Situation der Gehörlosen hat sich seither stetig verbessert?
Auf nationaler Ebene ja, aber in Schaffhausen nicht. Hier sind wir noch 30 Jahre zurück. Die Behindertenkonferenz Schaffhausen versucht, Fortschritte zu erzielen. Dank Einsätzen von Dolmetschern können sich auch die Gehörlosen langsam einbringen.
Wo gibt es noch Verbesserungsmöglichkeiten?
In vielen Bereichen. Ein Beispiel: Kürzlich war der Sirenenalarm – und was machen wir Gehörlosen? Wie sollen wir den Alarm mitbekommen? Seit Jahren wird diskutiert, ob man uns über SMS alarmieren könnte, aber man ist noch keinen Schritt weiter. Wir werden immer vergessen, dabei sind wir Teil dieser Gesellschaft.
Wie informieren Sie sich über Ereignisse in der Schweiz? Welche Medien nutzen Sie?
Vor allem das Schweizer Fernsehen. Dank Untertiteln und Teletext erfahre ich, was in der Schweiz geschieht. Aber auf kantonaler Ebene sind wir noch im Rückstand. Was in Schaffhausen läuft, bekomme ich oft nicht mit. Das Internet ist manchmal eine Hilfe, aber nicht immer. Wir Gehörlosen helfen uns selbst, indem wir uns einmal in der Woche in der Kammgarn am Stammtisch treffen. Dort können wir uns über Abstimmungen in Schaffhausen oder andere Dinge austauschen.
Was befürchten Sie, geschieht bei einem Ja zur «No Billag»-Initiative?
Dass wir ausgegrenzt werden. Es wird keine Untertitel und Dolmetscher mehr geben. Dadurch verlieren wir den Zugang zu den Informationen. Und wer nicht informiert ist, wird ausgeschlossen. Ein Ja zur «No Billag»-Initiative wäre ein wahnsinniger Rückschritt. Wir benötigen Untertitel, Übersetzungen auf Gebärdensprache, Audiodeskriptionen für sehbehinderte Personen… Das SRF ist in diesem Bereich ziemlich fortschrittlich, aber die privaten Fernsehsender haben damit keine Erfahrungen und bieten das nicht an. Beispielsweise in Schaffhausen: Die Sendung von Christoph Blocher im Schaffhauser Fernsehen hat keine Untertitel.
Sie wollen die Sendung von Christoph Blocher sehen?
Das ist nur ein Beispiel. Die Gesellschaft der Gehörlosen Schaffhausen hat das Gespräch mit dem Schaffhauser Fernsehen gesucht, aber es gab keine Fortschritte. Es fehlen die Mittel. Und es braucht eine gesetzliche Grundlage, damit wir etwas in der Hand haben. Sobald die «No Billag»-Initiative vorbei ist, wollen wir uns wieder dafür einsetzen.
Wie sieht es mit deutschen Privatsendern aus. Schauen Sie manchmal RTL oder SAT1?
Manchmal ja, aber es geht nicht immer. Es kommt vor, dass man die Untertitel, die in Deutschland produziert werden, in der Schweiz nicht empfangen kann. Aber: Ich möchte nicht nur noch deutsches oder österreichisches Fernsehen schauen, ich würde gerne Schweizer Sendungen sehen. Ausserdem gibt es Unterschiede zwischen der Deutschen Gebärdensprache (DGS) und der Deutschschweizer Gebärdensprache (DSGS), es werden nicht die gleichen Gebärden benützt. In der Schweiz sagen wir lautsprachlich ja auch nicht Fahrrad, sondern Velo.
Patty Shores zeigt ein Beispiel, um die Übersetzung von Laut- in Gebärdensprache zu veranschaulichen: Für den Satz «Ich habe ein Auto» benötige man nur zwei Gesten, «Auto» und «da». Patty Shores schliesst beide Hände zu Fäusten und hält sie in die Luft, als würde sie ein Steuerrad in den Händen halten und es bewegen. Für eine andere Geste hält sie eine Hand quer in die Luft und bewegt die Finger unterschiedlich auf und ab.
Jeder kennt das: Wenn man mit einer Person aus Deutschland spricht, verwendet man andere Wörter. So ist das auch bei uns. Wenn ein deutscher Gastdozent zu uns an die Hochschule kommt, benutzt er andere Gebärden.
Sie könnten immer noch Zeitungen lesen, um sich zu informieren.
Ja, aber Zeitungen hinken zeitlich immer hinterher. Wenn es einen Anschlag oder einen Unfall gibt, wie vor zwei Jahren in Basel, als es in einer Chemiefabrik zu einer Explosion kam und man die Fenster schliessen musste… Wir sind die Letzten, die das erfahren. Hier hinkt auch das Fernsehen noch hinterher. Ausserdem bezahlen wir ja gleich viel Billag-Gebühr wie alle anderen, aber wir können nicht das ganze Angebot nutzen.
Das führte auch schon zu Kritik; die gehörlose Corinne Parrat, ehemalige Miss Handicap, sagte in der Aargauer Zeitung: «Es braucht noch viel mehr Untertitel und Gebärdensprache im Fernsehen, sonst ist die ‹Billag› für mich und meine gehörlosen Freunde eine unfaire Zwangsgebühr.»
Diese Kritik verstehe ich. Aber man muss auch sagen, dass sich schon einiges verbessert hat. Das heisst nicht, dass das Angebot bereits genügt. Es braucht noch mehr Personen beim SRF, die Untertitel und Übersetzungen auf Gebärdensprache herstellen. Es ist noch ein langer Weg.
Wie sieht es mit Unterhaltungs-, Sport- oder Kultursendungen aus? Werden diese auch untertitelt?
Vor allem beim SRF ist es relativ gut. Die Dok-Sendungen sind eigentlich immer untertitelt. Bei den Olympischen Spielen und dem WEF in Davos war das leider nicht durchgehend der Fall.
Gemäss den neueren Umfragen sieht es so aus, dass die «No Billag»-Initiative abgelehnt wird. Der Spardruck auf das SRF wird aber gross bleiben. Bereits beschlossen ist, dass die Gebühr sinken wird. Selbst bei einem Nein wird am Programm geschraubt. Befürchten Sie auch für die Gehörlosen negative Auswirkungen?
Ich bin nicht im Verwaltungsrat des SRF. Was genau geschieht, kann ich nicht sagen. Ob es Sendungen wie «Glanz und Gloria» braucht… diese Frage kann man schon stellen. Ich erwarte aber, dass das SRF das Gleichstellungsgesetz einhält und der Zugang für Gehörlose bei verschiedenen Sendungen weiterhin gewährleistet wird. Dafür werden wir uns einsetzen.
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Patty Shores ist von Geburt an gehörlos. Sie ist in Südafrika geboren, zog aber bereits als Kind nach Kanada, weil die Familie mit dem herrschenden Apartheid-Regime nicht einverstanden war. Shores studierte in Kanada und den USA und lernte die französische und die amerikanische Gebärdensprache. In den 90er-Jahren kam sie in die Schweiz. Heute lebt sie in Schaffhausen und arbeitet in Zürich. Sie ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft der Gehörlosen Schaffhausen.
Im vergangenen Jahr erhielt Patty Shores für ihren langjährigen Einsatz in der Bildung und ihren Kampf für gleiche Rechte von Menschen mit einer Hörbehinderung den «Prix Visio», die höchste Auszeichnung des Schweizerischen Gehörlosenbundes.