Ermittlung gegen Ermittler

9. Februar 2018, Kevin Brühlmann
Zubers heikle Wahl: Das Protokoll seines Bewerbungsgesprächs wurde stark zensiert.

Im April wird Andreas Zuber Leiter der wichtigsten Abteilung der Schaffhauser Staatsanwaltschaft. Ein internes Dokument zeigt: Die Justizkommission war schlecht informiert und liess sich vom Regierungsrat überrumpeln. So erhielt Zuber trotz hängigen Verfahrens und «valabler» Konkurrenz den Job – innerhalb weniger Stunden.

 

Kaum eine Stunde war vergangen, da sagte der Präsident der Justizkommission: «Herr Zuber, die Kommission wird Sie dem Kantonsrat zur Wahl [als Staatsanwalt] vorschlagen. Ich freue mich.» Und Andreas Zuber erwiderte: «Ich freue mich sehr.» Der 44-Jährige konnte zu Recht froh sein: Wer von der Kommission zur Wahl vorgeschlagen wird, hat den Job praktisch auf sicher.

Es war Mittwoch, der 15. November 2017, kurz vor 17 Uhr. Und es war das Ende einer Hauruck-Aktion.

Vom Schaffhauser Kantonsrat zusammengestellt, kümmert sich die Justizkommission für gewöhnlich um die Neubesetzung freier Stellen im Justizbereich. Für gewöhnlich wählt das Gremium aus mehreren Personen aus.

Bei der Einsetzung von Andreas Zuber als Leiter der Allgemeinen Abteilung der Staatsanwaltschaft war es anders: Regierungsrat Ernst Landolt und der Erste Staatsanwalt Peter Sticher drängten auf ein vereinfachtes Verfahren. Das Duo steht der Kommission eigentlich nur als Berater bei.

«Eine besondere Situation»: Justiz­direktor Ernst Landolt (SVP).

Besonders heikel daran ist: Zwei Kandidaten seien «valabel» gewesen, so Landolt. Aber er und Sticher präsentierten der Justizkommission nur eine Person. Und zwar enorm kurzfristig.

Erst am Vormittag dieses 15. Novembers erhielten die Mitglieder der Justizkommission das Dossier von Andreas Zuber. Und schon kurz nach 16 Uhr fand das Gespräch mit ihm statt. Deshalb ärgerte sich Mitglied Peter Neukomm: «Für ein Milizparlament ist das eine Zumutung … Wenn wir am Tag der Sitzung die Unterlagen erhalten, geht das eigentlich gar nicht.» Regierungsrat Ernst Landolt rechtfertigte sich: «Das war meines Erachtens eine besondere Situation.» Was genau an dieser Situation «besonders» war, führt er nicht aus.

 

 

Peter Scheck googelt

Die «az» kennt den Inhalt dieser vertraulichen Gespräche, weil sie die Protokolle der entsprechenden Kommissions­sitzung angefordert hat. Darauf erhielt sie ein Dokument, das zum Teil massiv geschwärzt wurde. Privates wie Zubers persönliches Umfeld oder sein Lohn sei nicht von öffentlichem Interesse und deshalb zensiert, so die Begründung.

Sinnbild für die schlecht informierte Justizkommission: Ein Mitglied fragte gar, was Kandidat Andreas Zuber als Thurgauer Oberstaatsanwalt überhaupt mache («Oberstaatsanwalt … Was ist das?»). Der Erste Staatsanwalt Peter Sticher klärte ihn auf: Als Oberstaatsanwalt ist man für eine der drei Thurgauer Regionen zuständig.

Auch Zubers delikate Vorgeschichte ging in der Eile etwas unter (siehe «az» vom 25. Januar 2018). Er war in den bislang grössten Prozess des Kantons Thurgau involviert, den sogenannten «Fall Kümmertshausen». Es ging um die Tötung eines 53-jährigen Mannes im Jahr 2010. Zusammen mit seiner Kollegin Linda Sulzer (siehe Kasten Seite 6), die ebenfalls zur Schaffhauser Staatsanwaltschaft wechselt, ging Zuber einen Deal mit einem «Kronzeugen» ein. Dieser Mann war auch am Tatort anwesend.

Es war der Anfang einer juristischen Odyssee. Erst setzte das Bundesgericht das Duo wegen «zahlreicher und teilweise krasser Verfahrensfehler» vom Fall ab. Und zuletzt entschied das Kreuzlinger Bezirksgericht am 22. Januar 2018: Der «Kronzeuge» ist der Haupttäter.

Langjährige Anwälte bezeichnen dieses Urteil als «Ohrfeige» für Andreas Zuber und seine Kollegin Linda Sulzer. «Sie haben sich in eine Vorstellung verbissen – und sich verlaufen, indem sie sich mit einer dubiosen Person ins Boot gesetzt haben», sagt etwa Bruno Bauer, ein erfahrener St. Galler Anwalt, der seit Jahren in den Fall Kümmertshausen involviert ist.

Hinzu kommt: Eine Klage gegen das Duo wegen Amtsmissbrauchs ist weiterhin hängig.

Von all dem wusste die Justizkommission offenbar nichts – oder nur sehr wenig. So sagte Kommissionspräsident Peter Scheck beim Bewerbungsgespräch mit Zuber: «Ich habe etwas gegoogelt und bin auf den Mordprozess … gestossen … Ich hätte da gerne eine offene Auskunft.»

Wie Zubers Antwort ausfiel, ist nicht bekannt. Die Justizkommission hat das Protokoll an dieser Stelle komplett geschwärzt. Weil die «az» der Ansicht ist, dass die Passage sehr wohl von öffentlichem Interesse ist, da es um Zubers frühere Arbeit als Staatsanwalt geht, wurde das Gremium gebeten, die entsprechende Stelle doch noch offenzulegen. Bis Redaktionsschluss ging keine Antwort ein.

 

Um 17 Uhr ist Zuber durch

An jenem Mittwoch, 15. November, wohl gegen 16:45 Uhr, schickte die Justizkommission Zuber nach draussen. Das Gremium beriet sich kurz. Ein Mitglied fragte: «Weshalb sehen wir die zweite Person nicht, wenn sie ja auch gut ist?» Der Erste Staatsanwalt Peter Sticher antwortete: «Die Kommission kann ja nur sagen, ob er [Zuber] als Staatsanwalt gut ist. Die Funktion als Leitender Staatsanwalt wird vom Regierungsrat bestimmt.» Und Kommissionspräsident Peter Scheck beschwichtigte: «Der Mechanismus ist einfach vom Gesetz so vorgesehen.»

Der Erste Staatsanwalt Peter Sticher hat sich für Zubers Einsetzung starkgemacht.

Die restliche Diskussion ist geschwärzt; selbst das Wahlergebnis der Kommission. Klar ist nur: Zuber wird zur Wahl vorgeschlagen.

Will heissen: Die Justizkommission winkte einen Kandidaten durch, den ihr Regierungsrat Ernst Landolt und Peter Sticher kurzfristig und als einzigen vorgesetzt hatten.

Gegen 17 Uhr bat man Andreas Zuber wieder herein. Und dann sagte Peter Scheck den Satz: «Ich freue mich.» Zuber antwortete: «Ich freue mich sehr.»

Anfang April wird er seine Stelle als Leitender Staatsanwalt der Allgemeinen Abteilung antreten. Mit 20 Mitarbeitenden ist sie die grösste Sektion Schaffhausens.

 

 

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«Willst du es ihnen zeigen?»: Per Du mit Linda Sulzer

Der «az» liegt auch ein Dokument vor, welches das Bewerbungsgespräch der Justizkommission mit der neuen Staatsanwältin Linda Sulzer protokolliert (siehe Auszüge oben). Auch dieses Papier wurde stark geschwärzt zugestellt.

Die 37-jährige Linda Sulzer arbeitet derzeit als Staatsanwältin in Kreuzlingen – unter ihrem Chef, Oberstaatsanwalt Andreas Zuber. Beide waren in den Fall Kümmertshausen involviert, ehe sie vom Bundesgericht abgesetzt wurden. Anfang Juni wird Sulzer ihre Arbeit bei der Allgemeinen Abteilung der Schaffhauser Staatsanwaltschaft aufnehmen.

Bei ihrem Vorstellungsgespräch vom 14. Dezember 2017 vor der Justizkommission wurde der Fall Kümmertshausen mit einer Frage thematisiert. Präsident Peter Scheck fragte: «Der öffentlich bekannte Mordprozess … wurde vor allem in der Boulevard-Presse hochgespielt. Wir sind da einigermassen informiert … Wie gehst du damit um?» Die Antwort: zensiert. Auffällig ist zudem, dass man Sulzer offenbar kennt; sie wird geduzt. Weshalb, ist aus dem Protokoll nicht ersichtlich.

Ansonsten stellte die Kommission harmlose bis merkwürdige Fragen. Wieder Peter Scheck: «Bitte sage noch etwas zur Motivation. Wie kommt man als junge Frau in einen so harten Beruf? Willst du es ihnen ‹zeigen›?» Auch diese Antwort wurde zensiert. (kb.)