Die «No Billag»-Initiative sorgt in der Schaffhauser SVP für Unruhe. Namhafte Aushängeschilder der Partei kämpfen für ein Nein. Ein Besuch beim Parteitag.
«Hmm, do stimmt öpis nid.» Thomas Hurter ist kurz genervt und wirft dem Parteisekretär einen bösen Blick zu. Mariano Fioretti zuckt leicht zusammen. Mit einer Folie von Hurters Powerpointpräsentation ist etwas schiefgelaufen. Was der Nationalrat zeigen will, ist nicht erkennbar. Zufall, womöglich.
Thomas Hurter lässt sich nicht beirren, fährt fort und wird zum Schluss fast ein wenig pathetisch. Der Nationalrat lässt auf der Grossleinwand das weisse Kreuz auf rotem Grund einblenden. Dazu vier Stichworte: 1. Schweizer Kompromiss, 2. Solidarität hat unser Land erfolgreich gemacht, 3. Zusammenhalt der Schweiz, 4. Unabhängig von ausländischen Mediengiganten.
«Und da seit en SVPler», zischt einer der Zuhörer. Er kann es nicht fassen.
Die Stimmung ist gereizt. Wegen Thomas Hurter. Einige schütteln den Kopf, verwerfen die Hände, verstehen es nicht. Da weibelt der eigene Nationalrat für ein Nein zur «No Billag»-Initiative, vor seinen treusten Anhängern. Vor jenen, die ihn gewählt haben. Dank ihnen sitzt er überhaupt in Bern, der Thomas Hurter. Und jetzt das? Da gits doch nid!
Es ist Montagabend, knapp nach 20 Uhr. Draussen regnet es. Schon den ganzen Tag. Dicke Wolken ziehen über die Munotstadt. Huere Schiisswätter, um genau zu sein. Ein Tag, um zuhause zu sitzen und TV zu schauen. Auf SRF1 läuft die Quizsendung «Wir mal vier» mit Sven Epiney, auf dem Zweiten die amerikanische TV-Serie «Chicago Fire».
Man könnte auch ein Buch lesen.
Rund 60 Schaffhauser SVP-Mitglieder, vor allem Herren, haben sich dann doch entschieden, das Haus zu verlassen. Es ist schliesslich Parteitag der wählerstärksten Schaffhauser Partei und der «stärksten SVP-Sektion der Schweiz», wie Parteichef Pentti Aellig immer wieder gerne betont.
Der grosse Saal des alten Schützenhauses auf der Schaffhauser Breite ist fast voll. Einige sind aus den hintersten Ecken des Kantons gekommen. Aus Beggingen, Buchberg, Stein am Rhein. Auf der Traktandenliste steht: Parolenfassung zur «No Billag»-Initiative.
«Das Sprachrohr der EU»
Noch bevor Nationalrat Thomas Hurter eintrifft, geht’s richtig zur Sache. Parteichef Aellig eröffnet die Debatte. Mit scharfen Worten schiesst er gegen die «Elite an den goldenen Futtertrögen», den «Medienkoloss SRG» und die «subventionierten, gefügig gemachten Privatmedien»: Diese Dreierallianz befinde sich auf «orchestrierter Bedrohungstournee». Sie drohe damit, es gäbe keine Tagesschau, kein Lauberhornrennen mehr. «Das ist völliger Unsinn, das wissen wir alle hier drin! Bundesrat und Parlament würden auch bei einem Ja die SRG niemals beenden. Sie sind sehr flexibel mit dem Auslegen des Volkswillens. Man muss keine Angst haben. Darum jetzt: Schuss vor den Bug!»
Es ist Aelligs Mantra. «Schuss vor den Bug», sagt er immer wieder. In den «Schaffhauser Nachrichten», auf Twitter, an diesem Abend.
Wenig später hat Gastredner Nicolas Edelmann seinen Auftritt. Der parteilose Befürworter der «No Billag»-Initiative zählt auf: «Die SRG hat 108 Facebook-, 54 Twitter-, 32 Instagram- und 42 Youtube-Accounts.» Und er sagt Sätze wie: «Politiker und Lobbyisten möchten immer mehr Geld und immer mehr Macht, das ultimative Monopol.» – «Ein Millionär zahlt gleich viel Billag wie ein Büezer.» – «Die SRG hat über 200 Mitarbeiter für die Bundesratswahlen eingesetzt.» Ausserdem müsse etwas gegen diese «Abzocker-Löhne» getan werden: «Der Medianlohn bei der SRG beträgt 107’000 Franken, der CEO verdient 500’000 Franken.» Und vor allem: «Die SRG ist das Sprachrohr der EU.»
Edelmann sagt, dass es gegen all diese Missstände ein Heilmittel gebe: Die «No Billag»-Initiative.
Zum Schluss stellt er die rhetorische Frage: «Soll das Fernsehen wieder das Fernsehen des Volks werden? Dann stimmt Ja!»
«Jetzt haben sie Angst»
Die Diskussion ist eröffnet. Einer der Anwesenden sagt: «Die SRG-Mitarbeiter bezahlen keine Billag. Ich arbeite beim EKS, ich muss auch für den Strom bezahlen.» Ein anderer: «Das Monster ist überbordet. Jetzt haben sie massiv Angst. Aber es bizli spoht!» Oder: «Man muss nicht den Teufel an die Wand malen: Kein Fernsehen mehr für Taube und kein Radio mehr für Blinde, das wird nicht geschehen.» Und: «Die SRG ist ein Moloch geworden. Ich verstehe nicht, was ‹Der Bestatter› für den Zusammenhalt unseres Landes beisteuert.» Ausserdem: «Das ist eine Sauerei. Dem müssen wir jetzt Einhalt gebieten. Wa do alls gsendet wird, so linksgstüürets. Stimmed jo, damit öpis passiert!» Tosender Applaus im Saal.
Die Gegner haben einen schweren Stand. Regierungsrat Ernst Landolt versucht es: Man solle auch an die älteren Leute denken, die viel Radio hören und viel Fernsehen schauen. «Die wännd guets Schwiizer Fernseh und Radio, nid das Netflix-Züügs, wo dänn no vom Usland chunt.»
Kantonsrätin Virginia Stoll unterstützt ihn: Wer soll das Fernsehen finanzieren, wenn die Initiative angenommen wird? «Da werded irgendwelchi riichi Sieche si. Wännd mir Schwiizer üs denn manipuliere loh vo usländische Medie?»
Kantonsrat Markus Müller verweist darauf, dass auch Radio Munot betroffen ist. Doch das kommt nicht überall gut an: «Dä söll säge, dasser de Präsident vom Radio Munot Club isch!»
Immer wieder der Hurter
Und dann wieder der Thomas Hurter. Immer wieder räumt er ein: Ja, er sei auch unzufrieden mit der SRG. Ja, er hätte auch gerne ein anderes Fernsehen. Aber «Der Bestatter» sei eben kostendeckend. «Jede luegt dä Seich.» Und ja, er hätte gerne einen Gegenvorschlag und eine Billag von 200 Franken. Er sagt aber auch: «Das ganze Paket hält unser Land zusammen.» Die Randregionen, die Minderheiten, die Rätoromanen, die Gehörlosen. Solidarität eben.
Doch die Basis will davon nichts hören. «Ich has Gfühl, es SRF isch nur für Randgruppe gmacht», sagt einer. Schallendes Gelächter im Saal.
Kurz vor der Abstimmung zur Parolenfassung ergreift Pentti Aellig nochmals das Wort: Die Initiative sei vielleicht etwas hart, sagt er. «Aber ich bin extrem pessimistisch. Ich glaube, dass nichts geschieht, wenn nicht dieser Schuss vor den Bug kommt.»
Dann wird abgestimmt. Das Resultat ist eindeutig. 40 sind dafür, nur 13 dagegen, ein paar enthalten sich. Die Schaffhauser SVP fällt die Ja-Parole zur «No Billag»-Initiative. Draussen regnet es immer noch.
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Die Gegner
«Der Bund subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen», wird in der Bundesverfassung stehen, wenn die «No Billag»-Initiative angenommen wird. Heute subventioniert der Bund die SRG mit 1,2 Milliarden Franken und diverse Privatradios, darunter Radio Munot, mit rund 60 Millionen Franken. Laut Marcel Fischer, Geschäftsführer von Radio Munot, betragen die Gebührengelder 40 Prozent des Budgets. Vor diesem Hintergrund sagte er letzte Woche an der Pressekonferenz der «No Billag»-Gegner: «Wenn die Initiative angenommen wird, wird es Radio Munot in der heutigen Form nicht mehr geben.»
Gegen die «No Billag»-Initiative sprach sich auch Lorenz Laich, FDP-Kantonsrat und Vorstandsmitglied des Schaffhauser Gewerbeverbandes, aus. Laich verwies auf SRF-Sendungen wie «Hüttengeschichten» mit Nik Hartmann, die für die Identifikation der Schweiz wichtig seien: «Solche Sendungen wird es nicht mehr geben», so Laich. Im Gegensatz zum Schweizerischen Gewerbeverband, der die «No Billag»-Initiative unterstützt, hat der Schaffhauser Gewerbeverband kürzlich Stimmfreigabe beschlossen.
Zu den Initiativgegnern zählt inzwischen auch Ständerat Hannes Germann. Der SVP-Politiker hat mittlerweile Position bezogen, nachdem er sich im September bei der Schlussabstimmung im Ständerat noch der Stimme enthalten hatte. Die anderen drei Schaffhauser Bundesparlamentarier (Martina Munz, Thomas Hurter und Thomas Minder) hatten bereits damals mit Nein gestimmt.
Weiter lehnen auch sämtliche fünf Schaffhauser Regierungsräte, darunter die beiden SVP-Mitglieder Rosmarie Widmer Gysel und Ernst Landolt, die «No Billag»-Initiative ab. (js.)