Seit letzter Woche wird in der Kammgarn West für die Zwischennutzung umgebaut; doch der Erfolg scheint noch ungewiss. Zeit für einen Blick über den Rhein, aufs Arova-Areal in Flurlingen, wo seit vielen Jahren erfolgreich «zwischengenutzt» wird. Was können die Schaffhauser von Flurlingen lernen?
Die Intershop Management AG ist nicht die Wohlfahrt. Das muss man sich als Besucher von Zeit zu Zeit in Erinnerung rufen, wenn man zum ersten Mal ahnungslos durch das weitläufige Areal der ehemaligen Bindfadenfabrik wandelt, oben auf dem Flurlinger Hügel, nur wenige Gehminuten von der Schaffhauser Altstadt entfernt. An sonnigen Tagen erscheint der Ort wie ein gigantischer Spielplatz.
Zum einen sind da diese riesigen Hallen, viele Teile davon leer, nicht renoviert, fast mystisch, Zeugnisse von 130 Jahren Industriegeschichte. Doch grosse Teile des
Areals sind mit ganz viel Leben gefüllt. Hier koexistieren die verschiedensten Spezies friedlich nebeneinander; die einen machen Kunst, leisten sich hier ihr Hobby. Andere haben dank erschwinglicher Mieten den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt. Wieder andere sind als Zwei-Mann-Betrieb gestartet und beschäftigen heute Dutzende Mitarbeiter.
Hier werken Tierärzte und Tierpräparatoren, Werkzeugbauer, Medizinaltechniker, Spengler und chinesische Mediziner neben Designern, Musikern, bildenden Künstlern und Schriftstellern.
Man bekommt den Eindruck, in der ehemaligen Arova sei genau das längst Realität, was der Verein für Sinnvolle Zwischennutzung in der Kammgarn West verwirklichen will. Die 35’000 Quadratmeter Nutzfläche sind zwar längst nicht voll, doch strömen Morgen für Morgen Hunderte Menschen in die Arova. Und dafür brauchte es keine Künstlerlobby, keine öffentlichen Debatten um Mietpreise, keine Mitwirkungsprozesse und kein politisches Hickhack – möglich macht es fast ausschliesslich der freie Markt. Seit 2007 gehört das Areal der Zürcher Immobilienagentur Intershop Management AG.
Doch Moment: Ist hier oben in Flurlingen wirklich alles Gold, was glänzt? Und wenn ja, können sich die Schaffhauser vielleicht etwas davon abraspeln? Bei der Kammgarn-Zwischennutzung hält sich das Interesse noch etwas in Grenzen.
Kein Künstlergroove
Besuch im Lichtatelier von Angelika Dreher, ein hoher Lagerraum in Bau C, kleine Küche, ein paar Büroplätze, Leseecke mit Sofas, Klavier, Werkstatt, kreative Atmosphäre. «Ich bin ursprünglich hierher gekommen, weil es günstig ist», sagt die Lichtdesignerin. Den Quadratmeter bekomme man für rund 100 bis 120 Franken pro Jahr, alles inklusive. Dafür könne man natürlich keinen High-End-Standard erwarten, aber den brauche sie auch nicht. Während des Besuchs demonstriert die Heizung von Zeit zu Zeit lautstark ihre Funktionstüchtigkeit, die Vorboten von Sturm «Evi» peitschen vereinzelt Regentropfen durch die Decke. «Eine Ausnahme, eigentlich ist hier alles ziemlich dicht», lacht Dreher.
Heute ist nur sie hier, oft sind sie zu zweit, zu dritt, zu viert. Mitarbeiter, Gehilfen, Gäste, den Raum teilt sie mit einem Teilzeitjuristen, der hier seine Schreibstube eingerichtet hat.
Sie möge die Lebendigkeit in der Arova, das Miteinander. Sie versucht immer wieder, Leute zusammenzubringen. Um 12 Uhr setzt sie dem Besucher ganz selbstverständlich einen Teller köstliche Linsensuppe vor. Eine Zeitlang hat Dreher einmal pro Woche zum Mittagstisch geladen, die Nachbarn kamen, vom Künstler zum Büezer, später habe sie Freunde zum Kochen animiert, doch irgendwie sei das Projekt leider wieder im Sand verlaufen. «Eigentlich ist die Arova wie eine kleine Stadt», sagt die Künstlerin. Doch zum Essen, zum Einkaufen würden die Leute dann eben doch ins Auto steigen und in die Stadt fahren. Auch nach Feierabend sind meist schnell alle weg. Das Interesse war dann doch zu klein, um fixe Strukturen zu schaffen. Eine Einschätzung, ein Bedauern, das auch die Nachbarn teilen.
Drei Jahre sind zu kurz
Das Areal würde alle Voraussetzungen mitbringen, um einen Künstlergroove zu entwickeln, sagt auch Thomas Rimml, der zwei Hallen weiter unter dem Label Altrimenti antike Möbel restauriert. Heute sei die Arova aber mehr «Gewerbepark» als kreatives Zentrum. Austausch gebe es wenig. Das liege aber auch an der mangelnden Nachfrage. Müsste man so was extern fördern?
Die Arealverwalterin Intershop sagt, es gebe schon Ideen, wie man das Areal aufwerten könnte, etwa mit einer Kantine, aber diese müsste «wirtschaftlich tragfähig» sein. Es scheint, als ob die Initiative von den Mietern selber kommen müsste. Doch das ist in der Kammgarn West nicht anders: Umsetzung, Gestaltung und Qualität der Zwischennutzung hat die Stadt genauso in die Hände der Mieter gelegt.
Er sei trotz allem ziemlich zufrieden hier, sagt Thomas Rimml. Es gebe viel Tageslicht, einen alten Warenlift und schwere Maschinen, die er von der alten Bindi habe übernehmen können. In seinem Bau C befand sich früher die fabrikinterne Schreinerei. Aber ein Umzug? Wieso nicht … wenn sich etwas anbiete, vielleicht etwas zentraler, in Schaffhausen oder näher bei Zürich, wo viele seiner Kunden herkämen. Die Miete in der Arova sei zwar nicht hoch, aber auch nicht unter Marktwert. (Man munkelt, die Preise hätten in letzter Zeit angezogen.) Und obwohl das Areal nah an Schaffhausen liege, würde sich selten Laufkundschaft hierher verirren. Dabei steht das Areal natürlich allen offen, das alte Portierhäuschen ist längst verwaist.
Auch Präparator Marcel Nyffenegger, der gerade eine alte Frau im Massstab 1:5 Schicht für Schicht aufbaut, spielt immer wieder mal mit dem Gedanken umzuziehen, obwohl es auch ihm hier gut gefällt. Die Zwischennutzung in der Kammgarn etwa hätte schon ihren Reiz. Nyffenegger wäre nah am Museum zu Allerheiligen, wo er als Präparator immer wieder Aufträge hat. Doch die Mietdauer, derzeit ist die Rede von drei Jahren, habe diesen Gedankenspielen ein schnelles Ende bereitet. «Die kurze Dauer macht es für viele Kleinunternehmer unmöglich, in die Kammgarn zu zügeln», sagt er. Schon allein der Aufwand, das ganze Material zu transportieren, sei nicht verhältnismässig.
Seine Meinung teilen auch Lichtdesignerin Angelika Dreher, Restaurator Thomas Rimml und Ilja Tschanen vom Kreativbüro «module+». Letzterer sieht zwar Optimierungspotenzial in der Arova; auch er spricht von einem Treffpunkt, einer Beiz, von Jugendlichen, die hier skaten müssten, von mehr Austausch, mehr Miteinander. Aber zumindest sei hier die mittelfristige Zukunft gesichert. Die meisten Mieter haben langfristige Mietverträge, die bis zu zehn Jahre dauern. «module+», hier in der Arova zum siebenköpfigen Betrieb angewachsen, hat deshalb erst kürzlich entschieden, das Studio umzubauen.
Keine Einzonung
Früher war die Perspektive weniger rosig. Als die Intershop das Areal 2007 kaufte, hatte sie das mittelfristige Ziel, zumindest einen Teil des Areals abzubrechen und Wohnungen zu bauen. Der Kanton Zürich hatte jedoch andere Pläne und will bis heute keine Umzonung. «Eine gemischte Nutzung mit Wohnungen wäre eine grosse Chance für das Areal», sagt Geschäftsleiter Andreas Wirz. Nun sei geplant, die Hallen Schritt für Schritt aufzuwerten, jedoch primär, um sie dem Gewerbe zugänglich zu machen. Eine grosse Halle entlang der Winterthurerstrasse wird derzeit abgerissen. Hier sollen bald moderne Bürolofts entstehen. Andreas Wirz sagt, in wenigen Monaten werde eine Marketingoffensive namens «Arova Hallen» gestartet, um das Areal besser zu vermarkten. Bei 35’000 Quadratmetern Fläche ist jedoch nicht anzunehmen, dass die günstigen, unrenovierten Hallen deshalb in absehbarer Zeit verschwinden.
Unter dem Strich hat die Arova also durchaus Zwischennutzungscharakter, auch wenn sie von keinem der Betroffenen als klassische Zwischennutzung bezeichnet wird.
Und es zeigt sich, dass eine erfolgreiche Zwischennutzung nicht aus dem Boden gestampft wird. «So was etabliert sich nicht von heute auf morgen, es braucht Geduld und einen weiten Zeithorizont», sagt Angelika Dreher.
Und das ist es wohl in erster Linie, was die Stadt Schaffhausen von der Arova lernen kann. In Flurlingen sind genau die Mieter gekommen (und auch geblieben), die sich die Stadt eigentlich langfristig wünscht: lokal verwurzelte, kreative KMU wie «module+». Doch sie sind nur gekommen, weil man ihnen kein starres Gerüst aufgezwungen, sie nicht von vornherein mit einer zeitlichen Begrenzung abgeschreckt hat. Sie sind gekommen, weil sie mal anfangen konnten, unbeschwert, um sich nach und nach zu entwickeln. Über die Zwischen- zur permanenten Nutzung.