Richard Dobson ist am 16. Dezember 2017 verstorben. Aus diesem Anlass publiziert die «az» erneut das am 4. Februar 2016 erstmals im Print erschienene Porträt.
Er war Outlaw, Büezer auf Ölplattformen und oft ziemlich pleite: Der texanische Songwriter Richard J.Dobson (73) hat den Durchbruch nie geschafft, trotzdem gilt er als Legende. Musiker wie Johnny Cash oder Guy Clark adaptierten seine Songs. Heute lebt er in Diessenhofen, im Exil.
Der Boden dröhnte, als hätte jemand einen Presslufthammer unbeaufsichtigt laufen gelassen, die kontrollfreie Zeit gnadenlos auskostend. Doch als Richard Dobson aus dem Schlaf aufschreckte, erkannte er, dass es weit schlimmer sein musste. Grobschlächtige, wettergegerbte Mannen, roughnecks, die für gewöhnlich kaum etwas aus der Ruhe bringen konnte, rannten wie von der Tarantel gestochen umher. Eine Sirene heulte.
Holy shit, durchfuhr es Richard, die Bohrplattform, auf der er sich befand, drohte zu explodieren. Riesige Mengen an Erdgas strömten unkontrolliert nach oben. Eine winzige Zigarettenglut, ein einzelner Funke, und er würde, in tausend Stücke zerfetzt, im Golf von Mexiko landen, Hunderte Meilen von der Küste entfernt.
Hastig packte er seine Gitarre ein, zog sich eine Schwimmweste über und eilte nach draussen, dorthin, wo die Rettungsboote bereitlagen. Doch niemand machte Anstalten, in die Schiffe zu springen. Wenn sich die Anlage in einen gigantischen Feuerball verwandelt, das wussten alle, war es ohnehin zu spät.
Wie durch ein Wunder gelang es einem roughneck, das Bohrloch zu schliessen und die Katastrophe, den blowout, zu verhindern. Jesus, dachte Richard, das war knapp. Doch schon am nächsten Morgen sprach niemand mehr darüber, die Anlage musste vom vielen Schlamm gereinigt werden, der durch das Gas bis zur Plattform gedrückt worden war.
Mal wieder pleite
Das war irgendwann Mitte der 1970er-Jahre. Richard war mal wieder komplett abgebrannt gewesen, weshalb er für einige Wochen offshore ging, um auf einer Bohrplattform zu arbeiten; lange Stunden der Plackerei, hart und gefährlich. Doch er, Anfang 30, schnauzbärtig, langhaarig und von Natur aus gross und breitschultrig, ein introvertierter Bär, etwas raubeinig vielleicht, mit tief liegenden, wachen Augen, dieser Mann bekundete keine Probleme damit; mithilfe seines kernigen texanischen Dialekts fand er sich gut zurecht. Und die Bezahlung war mehr als anständig.
Bei seinen Jobs war er nie besonders wählerisch. Er nahm, was gerade kam: Er fuhr mit einem Fischkutter auf Shrimpsfang, lenkte Lieferwagen, war Klempner, Maler, Bartender, Lehrer, ging jagen und heuerte, wieder und wieder, auf einer Bohrplattform im Golf von Mexiko an. The job finds you, war seine Devise, nicht umgekehrt.
Wäre es nach Richards Eltern gegangen, wäre alles anders gekommen, beständiger, bürgerlicher. Richard James Joseph Dobson II, benannt nach seinem Vater, kam 1942 in einer Kleinstadt im Nordosten von Texas als ältestes von drei Kindern zur Welt. My old man, ein Ingenieur, hatte eine gutbezahlte Stelle bei der Ölfirma Shell, die Mutter schaute zu Hause nach dem Rechten, she got the things running. Die Familie kam viel herum, der Arbeit wegen.
Er war kein Akademiker
Richard junior war gewiss kein Musterschüler, doch er schaffte es ans College, studierte Spanisch in New York. I ain’t no academic man, aber Ende der 1960er-Jahre war es für einen jungen Amerikaner besser, Vorlesungen zu besuchen, als in Vietnam abgeschossen zu werden. Nach dem Abschluss 1966 zog es ihn für zwei Jahre nach Chile, wo er für das Peace Corps arbeitete. Und wo er seinem Traum, Schriftsteller zu werden, nachgehen wollte. Doch dazu sollte es nicht kommen, vorerst.
Mit 20 kaufte er sich seine erste Gitarre, ein altes, billiges Teil, und nach und nach wurde ihm die Musik wichtiger: Er wollte eigene Songs schreiben. Wenn Kris Kristofferson, gewiss kein virtuoser Gitarrist, das kann, dachte er, dann packe ich das auch. Trotzdem vergingen fast 15 Jahre, ehe er 1977 sein erstes Album veröffentlichte, «In Texas Last December». Sein Vater war nicht gerade glücklich über den Werdegang seines Sohnes, lieber hätte er ihn als Anwalt gesehen.
Das war Richard reichlich egal. Seine Gelegenheitsjobs halfen ihm, sich als Musiker und Songschreiber durchzuschlagen. Das gelang ihm bisweilen ganz ordentlich, meist jedoch eher schlecht, aber: Er war frei. Denn allzu lange nach der Pfeife eines anderen zu tanzen, das ging ihm gegen den Strich, that’s a hell of a life.
Die Outlaws
Damit passte er formidabel ins Nashville zu Beginn der 70er-Jahre. In der Country-Hochburg in Tennessee formierte sich damals Widerstand gegen die etablierte Musikszene, gegen das Diktat einer Handvoll einflussreicher Produzenten, die sich das Geld gegenseitig zuschoben. Outlaws nannte man die jungen Rebellen, und Richard fand sich plötzlich inmitten dieser Bewegung.
Die outlaws, vornehmlich Jungs aus Texas, wollten die Musik wieder selbst in die Hand nehmen, selbst aufnehmen, selbst produzieren und die eigenen Sessionmusiker bestimmen. Das war die eine Seite, die andere war: Es ging auch um den Lebensstil, um eine bestimmte fuck-you-attitude. Klar, Richard und seine Kumpel spielten Country, trugen hohe Stiefel mit ansehnlichen Absätzen und Cowboyhüte, aber sie lebten den Rock’n’Roll in all seinen Facetten.
Zusammen mit Musikern wie Guy Clark, Steve Earle, Mickey White, Rodney Crowell und, mit Abstand der Verrückteste von allen, Townes Van Zandt kurvte er durchs Land, das Benzin war spottbillig, und spielte Sets in den abgelegensten Käffern. Was andere von ihnen hielten, war ihnen egal. Dieses Rebellieren gegen von der Gesellschaft oktroyierte Werte behielt er zeit seines Lebens.
Und dann waren da auch noch die Drogen, vornehmlich Marihuana und Alkohol – Whiskey in rauen Mengen. Let’s get a jug first, lass uns erst mal eine Kanne holen, das bedeutete Alltag, denn gesoffen wurde, als gäbe es weder Morgen noch Übermorgen. Von harten Drogen liess Richard jedoch die Finger, im Gegensatz zu seinen Freunden; Heroin, dieser Engel des Todes, war vielen ein allzu treuer Gefährte. Anyone who remembers the 60s wasn’t there, sagt ein Sprichwort. And the 70s were even worse, meinte Van Zandt einst, die 70er- waren noch schlimmer als die 60er-Jahre.
Nicht wenige seiner Freunde verlor er schon früh. Van Zandt etwa starb bereits 1997, mit 52, gezeichnet von seinen selbstzerstörerischen Exzessen. It’s a miracle we survived, sagte Van Zandt, als Richard ihn das letzte Mal sah, kurz vor dessen Tod, es ist ein Wunder, dass wir überlebten. Andere schieden noch früher aus dem Leben. Doch er, der Bär, machte immer weiter.
Die Sehnsucht nach Originalen
23 Alben veröffentlichte er bislang (dazu drei Bücher). Das neuste, «Plenty Good People», erschien Anfang Februar – wie stets fast unbemerkt ausserhalb der Countryszene. Und dies, obschon einige seiner Songs von berühmten Künstlerinnen und Künstlern aufgenommen wurden. «Forever, for Always, for Certain» zum Beispiel wurde von Guy Clark adaptiert. Und das Stück «Baby Ride Easy» nahmen Johnny Cash und June Carter in ihr Repertoire auf; 2014 landete es sogar auf einer Scheibe mit unveröffentlichten Cash-Songs. Viel Geld sah Richard dafür freilich nicht mehr.
Trotzdem: Die in Zitaten und Paraphrasen aufgelöste Gegenwart sehnt sich verzweifelt nach Originalen wie Richard. So scheint es, dass er heute bekannter ist denn je. Und gefragter: «Mankind» (1994), eines seiner besten Alben, wurde erst kürzlich von einem Label ausgegraben und neu herausgebracht.
Manchmal, wenn Richard, abermals pleite, in den 70er- und 80er-Jahren wieder einmal auf einer Bohrinsel angeheuert hatte und die Sonne nach einem langen Tag unterging, klaubte er einen Joint aus seiner Brusttasche und setzte sich an Deck. Dann und wann gelang es ihm auch, eine Pulle Whiskey zu schmuggeln. Er mochte, wie sich die Lichter der Plattform im kräuselnden Wasser spiegelten, wie ihm die Wellen zuwinkten und wie sich seine Gedanken von seinem müden Körper lösten und verselbständigten. Oft kreisten sie um einen neuen Song, um seine Freunde und Musikerkollegen, doch früher oder später landeten sie bei den Frauen. Und Don Ricardo hatte weiss Gott nicht wenige Frauen.
Viermal war er verheiratet gewesen und viermal liess er sich scheiden. Hell no, es war nicht einfach, mit ihm zusammen zu sein, dem raubeinigen Bären, der die Kunst der taktvollen Diplomatie nie richtig lernen wollte. Das Jahr 1988 veränderte ihn jedoch, nicht auf einen Schlag, nicht mit brachialer Gewalt, sondern langsam, aber stetig.
Das Tape
Richard gab ein Konzert an einem Festival irgendwo in Nashville. Edith war da, und ihr, ein Cash-Fan, gefiel, was sie hörte und sah. Und am Ende des Abends hielt sie ein Tape in der Hand, Richard hatte es eigentlich Clubbesitzern geben wollen, um an Gigs zu kommen, aber Edith wollte es unbedingt, also gab er ihr die Kassette. Auf Anhieb mochte er sie, die freundliche rothaarige Frau aus der Schweiz.
Seit 16 Jahren leben er und Edith in Diessenhofen; sie heirateten. Einfach ist es nicht, einen alten Baum umzupflanzen, weiss Edith, aber möglich. Das ganze Jahr über hält er es jedoch nicht in Diessenhofen aus. Mindestens einmal pro Jahr zieht es ihn für ein, zwei Monate zurück nach Texas, nach Tennessee. Dorthin, wo er einst mit seinen Kumpeln als outlaw über staubige Strassen zog.