«Es ist schlichtweg inakzeptabel»

12. Dezember 2017, Romina Loliva

Die JUSO-Kantonsrätin Seraina Fürer tritt per Ende Jahr zurück. Zum Abschied setzt sie ein Zeichen gegen chauvinistisches Verhalten und Sexismus in der Politik. Manchen Kantonsräten mangle es an Respekt. «Flotte» Sprüche und abfällige Bemerkungen seien keine Seltenheit.

az Seraina Fürer, Sie haben am Montag im Kantonsrat Ihren Rücktritt auf Ende Jahr bekannt gegeben. Haben Sie genug von der Politik?
Seraina Fürer Nein, auf keinen Fall. Ich ziehe nach Lausanne, um mein Studium fortzuführen. Ich werde immer wieder in Schaffhausen sein, dennoch finde ich, dass man dort, wo man politisiert, auch präsent sein sollte, darum habe ich entschieden, das Amt abzugeben. Alles andere wäre für mich nicht stimmig gewesen. Aber ich bleibe politisch aktiv, keine Frage.

Die SP verliert jedoch ein Nachwuchstalent. Eins, das sie dringend bräuchte. Wie wurde Ihr Rücktritt in der Fraktion aufgenommen?
In der Fraktion habe ich offen darüber gesprochen, meine Kolleginnen und Kollegen hatten Verständnis für meine Entscheidung. Die Partei ist sich bewusst, dass die Personalsituation momentan eher schwierig ist. Das Thema Nachwuchsförderung wird aktiv angegangen. Der Generationswechsel wurde im Parteipräsidium bereits vollzogen, und ich bin zuversichtlich, dass die Partei nachhaltige Lösungen finden wird.

Ihr Rücktrittsschreiben hatte es in sich. Sie haben einen Appell an die Kolleginnen und Kollegen gerichtet, für mehr Respekt plädiert und Sexismus angeprangert. Sie schrieben: «‹Flotte› Sprüche zu Aussehen, Körperbau oder Gebärfähigkeit Ihrer Ratskolleginnen haben weder im noch am Rande des Ratsbetriebs etwas zu suchen.» Was hat Sie dazu bewogen?
Ich habe während meiner Amtszeit einiges erlebt. Als jüngstes und weibliches Kantonsratsmitglied wurde mir der nötige Respekt nicht immer entgegengebracht. Blöde Kommentare, gönnerhaftes Verhalten, unnötige Belehrungen: Immer wieder dachte ich: «Höre ich richtig? Was soll jetzt die Bemerkung? Das geht gar nicht», habe aber dann nicht jedes Mal gekontert. In solchen Situationen schlagfertig zu reagieren, ist enorm schwierig. Das hat mich sehr beschäftigt, weil es schlichtweg inakzeptabel ist. Als mein Rücktritt feststand, habe ich mich entschlossen, ein öffentliches Statement abzugeben.

Was meinen Sie mit gönnerhaftem Verhalten?
Im Rat sind wir alle einander gleichgestellt, das zu akzeptieren fällt manchen offensichtlich schwer. Ich bekam öfters zu spüren, dass man mich nicht ernst nimmt und mir die Welt erklären wollte. Bei der Kommissionsarbeit zum Beispiel. Es hiess dann: «Du bisch es härzigs», oder «du wirsch scho no merke, we s lauft …», darauf folgten Belehrungen über das Steuersystem, als würde ich es nicht kennen. Ich bin nicht blöd und habe mich in der Ausbildung und beruflich genügend mit der Thematik beschäftigt. Und ich nehme mein Amt als Kantonsrätin ernst und bereite mich jeweils auf die Sitzungen vor.

Machen es die Kollegen absichtlich?
Manche merken es nicht einmal. Andere machen aber durchaus deutlich, dass ihnen sehr bewusst ist, was sie tun. Sie wollen damit die Hackordnung deklarieren und Machtverhältnisse zementieren.

Sie begegneten auch offenem Sexismus?
Ja. Sprüche zu meinem Dekolleté und meiner Figur oder Kollegen, die mir während dem Gespräch immer wieder auf die Brüste starrten. Ein Mal, als ich mich nach einer Veranstaltung mit einem Ratskollegen auf den Heimweg machte – wir gingen in die gleiche Richtung –, bekam er zu hören: «Uh, pass uf, dass dir noch nün Monet nid es Chind ahghänkt wird.» Total daneben.

Hat sich jemals jemand bei Ihnen entschuldigt?
Nein.

Haben Sie das erwartet?
Ich mache mir keine Illusionen, dieses Verhalten ist tief verwurzelt. Trotzdem ist es wichtig, dass darüber gesprochen wird. Und ja, eine Entschuldigung wäre angebracht gewesen. Weniger für mich, sondern für die Person, die übergriffig wird. Die weiss nämlich schon, dass sie sich daneben benimmt.

Sie meinen, der Sexismus sei den Kollegen bewusst?
Ein blöder Spruch wird nicht umsonst als blöd bezeichnet. Man weiss sofort, dass es nicht angebracht ist, solche Aussagen zu machen. Es gibt Komplimente und Komplimente, und was in welche Kategorie gehört, wissen alle. Das Problem ist die Bagatellisierung.

Sie nennen aber keine Namen. Welcher Partei gehören die Übeltäter an?
Mir geht es nicht darum, einzelne Kantonsräte an den Pranger zu stellen, sondern ein Umdenken anzuregen. Sexismus ist keine Frage der Parteizugehörigkeit. In meiner Fraktion habe ich ein solches Verhalten glücklicherweise nie erlebt.

Wie haben Ihre Kolleginnen und Kollegen im Rat auf das Statement reagiert?
In meiner Fraktion gab es längere Diskussionen darüber. Das hat mich gefreut. Viele sind aus allen Wolken gefallen, das ist wiederum etwas erstaunlich. So etwas gibt es bei uns auch? Ja, das gibt es.

Und ausserhalb der Fraktion?
Ich habe verschiedene Gespräche mit Kantonsrätinnen geführt, und es hat sich bestätigt, dass ich nicht die Einzige bin, die Sexismus und Paternalismus erlebt.

Die rechte Ratshälfte?
Bisher kam nichts. Ich bin gespannt, ob mich noch jemand darauf anspricht.

Sind soziale Anlässe, an welchen Alkohol getrunken wird, für die Frauen im Rat problematisch?
Die Sprüche fallen weniger im offiziellen Rahmen und meistens dann, wenn man zu zweit ist oder in kleineren Gruppen. Alkohol enthemmt zusätzlich, daher können solche Anlässe schwierig sein.

Hat Sie das dazu verleitet, weniger gesellig zu sein, obwohl die soziale Komponente in der Politik sehr wichtig ist?
Nein. Aber ich bin dann lieber in Gesellschaft von Menschen, die ein solches Benehmen nicht tolerieren.

Was wünschen Sie den Kolleginnen und Kollegen im Rat für die Zukunft?
Das das aufhört. Schwierig ist es nicht. Man muss es nur bleiben lassen.