Retuschierte Kandidatin

22. November 2017, Kevin Brühlmann
Ausschnitt aus Stamm Hurters Wahlplakat.

Cornelia Stamm Hurter will für die SVP in die Regierung einziehen – mit grosser Distanz zum Partei-Sünneli. Wie glaubwürdig ist ihre Kampagne? Eine Dädalus-Analyse.

Cornelia Stamm Hurters Wahlplakat glänzt vor allem durch eines: den Kunstgriff der Retusche. Zwei Makel wurden nämlich entfernt. Zum einen ihre Falten, zum anderen das Logo ihrer Partei, der SVP.

Während die Gesichtsretusche seit geraumer Zeit en mode ist (jung gleich stark!), erstaunt das fehlende Sünneli. Das geschah aber bewusst: Cornelia Stamm Hurter will sich als Politikerin der Mitte präsentieren. Als weiser Dädalus mit gesunder Distanz zur SVP-Sonne. So betonte die 55-Jährige im Vorfeld der Regierungsratswahl immer wieder, dass sie dem «liberalen SVP-Flügel» angehöre, dass sie «gemässigt» agiere, dass die Partei überhaupt «weltoffen» sei. Im Interview mit der «az» sagte sie vor einem Monat: «Ich betreibe eine sehr objektive, sachbezogene Politik. Politisches Hickhack liegt mir überhaupt nicht.»

Blickt man allerdings hinter das retuschierte Wahlplakat, stellt man fest: Cornelia Stamm Hurter ist nicht so gemäs­sigt, wie sie sich gerne gibt. Vielmehr steht sie für klassisch rechte Politik im SVP-Mainstream. Inklusive «Hickhack».

Auffällig unauffällig

Stamm Hurter war massgeblich am Aufstieg der SVP beteiligt – von 1995 bis 2004 war sie Vizepräsidentin der SVP Schweiz. 2003 holte die Partei erstmals die meisten Nationalratssitze. Und zwar nicht mit Mässigung, sondern mit dezidierter Fremdenfeindlichkeit. Einer der damaligen Slogans lautete: «Wir Schweizer sind immer mehr die Neger! Kriminelle verhätscheln, Milliarden für Asyltouristen, jeden fraglos einbürgern – jetzt ist genug!»

Seit 2005 sitzt die Oberrichterin im Schaffhauser Stadtparlament. Gross aufgefallen ist sie dabei nicht. Höchstens durch ihre Treue: In den vergangenen fünf Jahren hat sie praktisch immer mit ihrer Fraktion gestimmt. Sie bewegte sich also auf derselben Linie wie Hermann Schlatter, Mariano Fioretti oder Edgar Zehnder.

Anfang 2017 unterzeichnete die Richterin eine Interpellation von Edgar Zehnder mit. «Unhaltbare Zustände an den Schaffhauser Schulen!» lautete der Titel. Die Rede war von «schwerwiegenden Sicherheitsproblemen» an allen städtischen Schulen. Es ging jedoch um nur einen Problemschüler unter 3’500 Schülern. Die politische Ausschlachtung des Falls, der 17-Jährige war Muslim, gefolgt von einer medialen Hetzjagd, hatte schwere Folgen: In die Enge getrieben, wurde der Schüler wieder auf- und ausfällig. Die Rückkehr in eine Regelschule blieb über Monate blockiert, und die Stadt musste für seine externe Betreuung aufkommen.

Im Interview mit der «az» erklärte Stamm Hurter, sie würde diese Interpellation heute erneut unterzeichnen.

Pro Steuerprivilegien

Über Migrationspolitik zu reden, vermied Stamm Hurter bislang tunlichst. Ihr Wahlkampfthema Nummer eins ist die Steuerreform 2017. Diese sei die wichtigste Vorlage unserer Zeit, meinte sie bei der Lancierung ihrer Kandidatur.

Einen Tag darauf, als sie bei einem Podium gegen ihre Gegnerin Claudia Eimer (SP) antrat, präzisierte Stamm Hurter: Sie wolle die Steuern für Unternehmen senken, auf 12 bis 12,5 Prozent. Es seien 3’200 Arbeitsplätze gefährdet. Ausserdem müsse man schauen, dass man Firmen sogenannte «Patentboxen» gewähre. Und hier wird es spannend: Patentboxen ermöglichen es, Erträge aus Patenten (oder ganz allgemein aus geistigem Eigentum) sehr günstig zu versteuern. Formelle Begründung ist «die Förderung von Forschung und Entwicklung» – auch Stamm Hurter schlug in diese Kerbe. Informell ist aber klar, dass damit Steuern vermieden werden können. Und zwar, so schreibt die «NZZ», «indem grenzüberschreitend tätige Konzerne derartige Erträge künstlich in Staaten mit besonders günstigen Bedingungen verschieben, in denen sie kaum Forschung betreiben und manchmal nur eine Briefkastenfirma unterhalten». Forschungsstandorte wie die Schweiz sind davon besonders betroffen.

Mit anderen Worten: Stamm Hurter fordert praktisch die Neuauflage der Unternehmenssteuerreform III, die das Stimmvolk kürzlich versenkt hat. Sowohl jene Steuersenkung als auch die Patentboxen waren darin als Firmenprivilegien vorgesehen gewesen. Von einer Kompensation für die restliche Bevölkerung hingegen – zum Beispiel für Geringverdienende oder Familien – sprach die SVP-Kandidatin nicht.

Wir gegen Ungarn

Und so ist es nur konsequent, dass Cornelia Stamm Hurters Standortförderung in erster Linie Steuerwettbewerb bedeutet. Beim Duell mit Claudia Eimer stellte sie ihr Modell vor: «Gute Firmen, attraktive steuerliche Rahmenbedingungen.» Ein tiefer Steuerfuss soll alles richten. Damit knüpft Stamm Hurter nahtlos an die Politik der abtretenden Rosmarie Widmer Gysel an. Das heisst: Es werden weiterhin Konzerne angelockt, die hier nichts vom Geld versteuern, das sie irgendwo auf der Welt unter zwielichtigen Umständen erwirtschaftet haben. Denn die Kapitalsteuer im Kanton beträgt 0,0025 Prozent – vierzigmal weniger als bei normalen Firmen (vgl. dazu auch der Walmart-Briefkasten, «az» vom 27. Juli; oder der Ölkonzern Frontera Energy, «az» vom 26. Oktober).

Keine Partei? Keine Unterstützer?

Mit der Regierungsrätin Cornelia Stamm Hurter dürfte sich diese Tendenz verschärfen. Denn sie sagte auch: «Unsere Wettbewerbsgegner sind Irland, Ungarn, Bulgarien.» Vergessen hat sie wohl Panama und die Cayman Islands.

Und apropos Förderung der Schaffhauser Wirtschaft: Beim Wahlkampf-Startschuss verschenkte Stamm Hurter Weihnachtskugeln mit ihrem Konterfei darauf. Sie wurden in Deutschland hergestellt.

Sparpakete? Radiomusik?

Wohin führt dieses Modell? In Zeiten wirtschaftlichen Krebsgangs – oder gar einer Krise – stellen jene Konzerne ein gewaltiges Risiko dar. Weil sie oft kaum Personal haben, flüchten sie beim geringsten Unwetter in die nächste Steueroase. Stamm Hurter versprach zwar, «ohne Sparprogramme und ohne Steuererhöhungen» auskommen zu wollen. So ähnlich hat man das auch schon gehört: Bereits Rosmarie Widmer Gysel sprach sich bei ihrer Kandidatur gegen höhere Steuern aus. Die Realität sah dann anders aus. Ihre Politik zwang sie, den Steuersatz anzuheben – allerdings nur für die gemeine Bevölkerung. Hinzu kamen massive Sparpakete. Darunter gelitten haben vor allem die Bereiche Bildung, Soziales und Gesundheit.

Teil von Stamm Hurters Standortförderung ist das «breite kulturelle Angebot»: «Dem müssen wir Sorge tragen», heisst es im Wahl-Flyer. Mit «wir» scheint sie sich selbst aber auszuklammern. Im Herbst 2015 bodigte sie nämlich mit ihrer Fraktion einen Zuschuss der Stadt an Taptab, Kammgarn, Haberhaus-Bühne und Vebikus. Es ging um gut 50’000 Franken, die geschrenzt wurden. Gleichzeitig hiess sie eine Steuersenkung gut, welche die Stadt 1,2 Millionen Franken pro Jahr kostet – übrigens mit Erfolg.

Als sie vor Kurzem gefragt wurde, welche Musik sie gern möge, stand Stamm Hurter die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben. Schliesslich meinte sie: «Ich höre, was im Radio so läuft.»

In der Autolobby

Zuletzt zur Energiewende. Vom retuschierten Bild – «weltoffen», «liberal», «objektiv», «sachbezogen» – bleibt hier nur wenig zurück. Und das geht so: An einem Podium mit Gegnerin Claudia Eimer kam man auf die geplante Windkraftanlage auf dem Chroobach bei Hemishofen zu sprechen.

Man müsse noch «Diverses» abklären, wandte Stamm Hurter ein, vor allem punkto Vogel-, Fledermaus- und Landschaftsschutz. Sie sei sehr skeptisch. Es gebe dort, am Chroobach, ja auch nur sehr schwachen Wind.

Tatsächlich muss erst noch die Umweltverträglichkeit überprüft werden, bis klar ist, ob die Windräder sinnvoll sind – oder nicht. Fakt ist aber auch: Längst gibt es Windräder, die mit sogenannten Schwachwinden gewinnbringend Strom produzieren. Und bislang hat sich Cornelia Stamm Hurter nie als ökologisch-besorgte Politikerin hervorgetan. Im Gegenteil: Sie ist begeisterte Autofahrerin und Vizepräsidentin der Schaffhauser Sektion des Automobil-Clubs Schweiz (ACS); ihr Ehemann Thomas Hurter ist gar Präsident des ACS. Die einflussreichste Autolobby des Landes befürchtet eine «Diskriminierung», falls man künftig Ladestationen und Parkplätze für Elektrofahrzeuge einrichtet. Offenbar bangt man um die Monopolstellung der fossilen Treibstoffe.

Aber es stimmt schon: Warum die Interessenbindungen offenlegen? Weshalb das Parteilogo auf das Wahlplakat kleben? Man könnte ja glatt merken, dass Cornelia Stamm Hurter kein Dädalus ist.