Eskalation

8. November 2017, Kevin Brühlmann
Trap Toni: von Florida nach Schaffhausen. Hier hat er Grosses vor.

Er will Schaffhausen erobern und als Legende sterben: Rapper Trap Toni provoziert die Eskalation in der Provinz. Wer ist dieser grossspurige Kleinganove?

Ein einziger Song. Er wartet auf das eine Lied. Eines, das viral geht. In Trap Tonis Sprech klingt das bildhafter: Er braucht einen Song, der eskaliert.

Trap Toni sagt: Ich will Schaffhausen erobern.

Ich will als Legende sterben.

In einem seiner Songs («Nothing») fragt ein kleiner Junge: Du, wer ist eigentlich dieser Trap Toni? Und Trap Toni selbst antwortet: Das ist der «mister steal-your-girl kinda guy», die Sorte Typ, der dir deine Freundin ausspannt.

Im Videoclip zu seinem Track «Zone» hockt der Rapper auf der Motorhaube dicker Schlitten, fuchtelt mit den Armen, junge Frauen in Unterwäsche und massenhaft Dollarscheine als Dekoration. Und wie er eine Tüte von der Grösse eines Zitteraals raucht, droht er: «Don’t fuck with me in my zone», leg dich in meinem Revier nicht mit mir an. Gegen Ende des Videos zerdeppert er – in bedeutungsschwangerer Zeitlupe – eine Wassermelone auf einem Parkplatz.

Grosskotzig, unbedarft, lustig

Trap Toni: ein bisschen grosskotzig, proletenhaft, machomässig, ein bisschen unbedarft, herzig, ein bisschen lustig.

In Schaffhausen, so würde er sich wohl ausdrücken, eskaliert dieser bleiche Junge mit den blonden Zapfenlocken gerade. Allein im Oktober hat er den Musikklub «Orient» zweimal gefüllt. Gerade die 16- bis 20-jährigen «Kiddies» lieben ihn. Er könnte das «next big thing» Schaffhausens werden. Wenn da nur nicht ein Haken wäre: In Schaffhausen wird man nicht gross. Aber als Legende sterben, warum nicht.

Trap Toni treibt erst seit dem Sommer 2017 sein Unwesen in Schaffhausen, und schon wurde daraus ein kleines Phänomen. Warum? Und, vielleicht wichtiger, wer steckt hinter dem krausen Kleinstadt-Ganoven?

Im «Orient», nachmittags. Wie viele seiner Art wirkt der Klub bei Tageslicht etwas müde; es riecht nach schalem Bier und Zigaretten. Im ersten Stock sitzt Trap Toni auf einem Sofa, seine Sonnenbrille hat er mittlerweile abgelegt. Wie viele Leute diese Zeitung denn lesen, fragt er neugierig, fast schon schüchtern. Und dann merkt man, dass da ja ein ganz netter Junge hockt: Anthony Gorsich, 20 Jahre alt, fast 1,90 Meter lang. Wenn er redet, oft begeisternd, streicht er sich gerne seine Locken aus dem Gesicht.

Er erklärt: Trap Toni ist mein Alter Ego, ein Charakter, mit dem ich spiele. Das Böse muss ja auch mal raus, weisst du, wie ein Ventil. Aus dem System ausbrechen. Wollte auch mal wieder eskalieren. Das musst du nicht so ernst nehmen. Solange der Trap ankommt, will ich das durchziehen.

Er trinkt den grössten Milkshake

Trap: Das ist die neuste Hip-Hop-Welle aus den USA, träge Beats, ein schleppendes Pulsieren, elektronisches Knistern. Dazu ein leicht verzerrter Sprechgesang, und statt lyrischer Ergüsse reicht oft ein einzelner Satz als Hook.

Diesen Musikstil nahm Anthony Gorsich erst in den letzten Monaten ins Repertoire auf. Zuvor hat er als A.N.T. eher klassischen Hip-Hop gemacht – unter diesem Namen hat er auch «Power of Thoughts» veröffentlicht, sein bislang einziges Album, ein selbstreflexives, gedankenvolles Werk über die existenziellen Dinge des Lebens: Liebe, Macht, Visionen, Reue, Mut.

Mit diesem Zinnober ist nun aber Schluss – zumindest vorübergehend. Trap Toni hat A.N.T.  aus seinem Revier gejagt; jetzt trinkt der Kleinganove den grössten Milkshake in der Hood.

Trap Toni: «Ich will als Legende sterben.»

Zum Beispiel beim Song «New Mercedes», erschienen im September: Mit leicht lallender Stimme rappt Trap Toni davon, dass er unbedingt einen neuen Mercedes will. Ende der Geschichte. Auf einem Schaufelzahn klebt ein Diamant; später springt er auf einem Hügel herum, den Oberkörper in eine Feuerthalen-Flagge gehüllt. Kurz: Bei «New Mercedes» laufen alle krummen Hirnlappen Trap Tonis zusammen. Das sieht auf haarsträubende Weise fantastisch aus. Und so klingt es auch.

Mit der Figur Trap Toni treibt Anthony den machistischen Hip-Hop, der ja noch immer dominiert, ins Absurde. Mehr noch: Er arbeitet an einem neuen Musikstil mit. Und dazu kann man erst noch tanzen (wenn auch weniger in nüchternem Zustand). Vielleicht liegt hier, im Humor, der Grund, warum ihn die Kiddies so lieben. Vielleicht liegt er auch woanders. Sicher ist: In der Nüchternheit ist er nicht zu finden.

«Trap Toni trifft einfach den Zeigeist», meint Gran Purismo, selber so was wie der Máximo Líder der Schaffhauser Hip-Hop-Szene. Vor Jahren, Anthony lief noch mit Zahnspange herum, nahm er ihn ins Studio mit. Da hat Anthony Lunte gerochen.

Seither hat Gran Purismo die Entwicklung des Rappers eng verfolgt: Ihm persönlich würden Anthonys neue Trap-Songs weniger gefallen als die ausgearbeiteten Texte der A.N.T.-Tracks. «Ich möchte Trap Toni aber nichts absprechen. Was ich daran sehr cool finde: diese bouncige Sache, diese roughness. Die Leute drehen durch bei dem Sound.»

Zurück im «Orient». Neben Anthony sitzt ein bis zum Haaransatz tätowierter Buddy, ganz in schwarz gekleidet, um den Hals ein dickes Kreuz. Dann und wann gibt er einen Kommentar ab, hält sich aber im Hintergrund. Seine Name ist Patrick Noize, 23, ein DJ. Mit ihm hat Anthony schon einige Konzerte und Parties organisiert. Auch wegen ihm kam er vor ein paar Monaten nach Schaffhausen.

Die Kurzfassung von Anthonys Leben: Er wuchs in den USA auf, kam mit zehn nach Schaffhausen, weil seine Mutter einen Schweizer kennenlernte. Mit 15 ging er zurück nach Florida, alleine, um die High School zu beenden. Und weil er dort bessere Chancen sah, professionell Musik zu machen. Im vergangenen Sommer zog er wieder zur Familie, nach Feuerthalen. Einerseits vermisste er sie, andererseits erkannte er: Seine Musik kommt hier an. Patrick Noize etwa nahm einige seiner Songs ins DJ-Set auf, noch bevor sie sich kannten. «Trap ist gerade voll in», sagt er.

Alles selber machen

Etwas abseits von Anthony und Patrick Noize, hinten an der Bar, sitzt ein dritter Typ im «Orient». Still beobachtet er die ganze Szene; er ist offenbar fürs Aufhalten der Tür und für die Foto-Dokumentation zuständig. So kann Trap Toni später ein Bild auf sein Instagram-Profil hochladen. Dazu schreibt er für seine 4’000 Follower: «Thanks for the interview!!»

Ansonsten hält es Anthony deutlich einfacher: Er macht alles selbst. Seine Songs nimmt er zu Hause im Estrich auf, wo er eine Art eigenes Studio eingerichtet hat («Ich werde immer besser»). Und die Videoclips filmt und schneidet er eigenhändig. Kein Plattenlabel, das ihm Vorschriften macht. Aber auch kein Label, das ihm Geld zahlt.

Jetzt wohnt Anthony bei seinen Eltern. Daneben arbeitet er im Service und als Pizzakurier. Eine Berufsausbildung hat er keine, abgesehen von einem Tontechniker-Praktikum in Florida.

Wenn du nichts riskierst, sagt Anthony, geht nichts.

Er will irgendwann von der Musik leben. Und zwar lieber früher als später. Er braucht nur diesen einen Song. Nur einen, der eskaliert.