Boris Smiljanic trat Murat Yakins Erbe als FCS-Trainer an. Der 41-Jährige stand lange im Schatten Yakins. Das soll sich nun ändern. Ein Treffen mit einem Bärtigen, der sich vom Sauhund Fussball nicht beirren lässt.
Der Fussball kann ein Sauhund sein. Man weiss nie, was er gerade im Sinn hat. Manche versuchen, ihn sich zu unterwerfen, und zerreiben sich daran. Manche führen ihn an der langen Leine und lassen sich irgendwohin zerren. Leute wie Boris Smiljanic. Seit Ende August ist der 41-Jährige Trainer des FC Schaffhausen; es ist seine erste Stelle bei einem Profiteam. Und das kam in bester Sauhund-Manier.
Am Mittwoch, 24. August, leitet Smiljanic wie üblich das Training der U21-Mannschaft des Grasshopper Clubs, seit drei Jahren tut er das, Campus Niederhasli, Kunstrasen, Beton. Da kommt Mathias Walther auf ihn zu, der Sportchef.
Du, sagt er kurz angebunden, mach dir mal Gedanken über Schaffhausen.
Aha, erwidert Smiljanic.
Tags darauf, Donnerstag, Smiljanic schlägt die Zeitung auf: «Knall bei GC: Trainer Bernegger entlassen. Kommt jetzt Murat Yakin?» Er runzelt die Stirn und fährt zum Training. Am Nachmittag klingelt sein Mobiltelefon.
Smiljanic?, fragt jemand in leicht nasalem Schwäbisch. Es ist Marco Truckenbrod Fontana, der Geschäftsführer des FC Schaffhausen.
Ja, hier Boris.
Ob er vorbeikommen könne, nach Schaffhausen, der Vertrag liege fixfertig parat, in einer Stunde im Stadion, isch des in Ordnung?
Zwei Stunden später ist das Arbeitspapier unterschrieben. Und die Rochade perfekt: Die bisherigen FCS-Trainer Murat Yakin und sein Bruder Hakan wechseln zum GC; Smiljanic nimmt den entgegengesetzten Weg.
«Schlechtes Tauschgeschäft»
Die Oktobersonne brennt ungewöhnlich stark. Es riecht nach angesengtem Plastik. Boris Smiljanic steht auf dem Kunstrasen des FCS-Stadions und lacht trocken: «Zwei Yakins für einen Smiljanic? Das ist aber ein schlechtes Tauschgeschäft.»
In eineinhalb Stunden beginnt das Training. Man wird das letzte Spiel analysieren, das 2:1 gegen den FC Wohlen, Smiljanic muss noch das Video fertig schneiden. In der Sonne spielen einige Junioren auf dem Feld. Eine Handvoll sitzt auf der Ersatzbank. Smiljanic grüsst sie per Handschlag. Sie schauen ihn ehrfürchtig an.
Für Menschen wie Smiljanic wurde das Wort Hüne erfunden. 1,93 Meter ist er hoch, Schultern wie ein Wikinger, Oberarme eines Schwingers. Dazu ein dichter schwarzer Bart, da und dort grau meliert. Seine Spieler würden sagen: Der ist zwar alt, aber noch immer eine brutale Maschine.
Im Schatten Yakins
20 Jahre war er Profifussballer gewesen, der Abräumer in der Innenverteidigung, Kopfballungeheuer, Grätschenmeister, Dirigent, der mit dem Auge für eine kluge Spieleröffnung. 2002 überwies der FC Basel zwei Millionen Franken für ihn an den GC, damals ein Heidengeld für einen Verteidiger. Der Name Smiljanic stand aber immer auch für etwas Unvollendetes. Nur drei Länderspiele hat er für die Schweiz gemacht, eine Handvoll Minuten; er war vielfach verletzt. So stand er oft im Schatten von: Murat Yakin.
Der zwei Jahre ältere Yakin war der erste (nichtitalienische) Secondo, der es in die Nati schaffte. (Kubilay Türkilmaz zählt nicht, er stammt aus dem Tessin.) Kurz darauf folgte Smiljanic, wenn auch weit weniger erfolgreich. Sie markierten also die Startlinie jenes gesellschaftlichen Wandels, der mit den Flüchtlingen des Balkankriegs einen traurigen Höhepunkt erfuhr und nun, mit Xhaka, Seferović, Shaqiri, ein fast schon kitschiges Ende nahm.
Yakin und Smiljanic lancierten beide ihre Karrieren beim Grasshopper Club, ehe sie nach Basel zogen. Während Yakin schnell Kapitän wurde und sich später im Ausland versuchte, wehte Smiljanic immer eine gewisse Skepsis entgegen. Wenn nicht gerade verletzt, spielte er meist ganz gut. Trotzdem wahrten die Basler eine kühle Distanz zu ihm, ja er blieb irgendwie stets der «Judas» aus Zürich (so beschimpften ihn Basler Fans, als er nach einigen Jahren wieder zum GC wechselte).
Kurz: Smiljanic, obschon um einen halben Kopf grösser, sah sich immer etwas überragt von Yakin.
So wie jetzt.
Es ist verzwickt
Murat Yakin brachte den kriselnden FC Schaffhausen wieder auf Vordermann. Als er den Klub Ende August verliess, hatte er seit Monaten nicht mehr verloren. Und der FCS grüsste von der Tabellenspitze. So erfolgreich war der Verein seit Jahren nicht mehr gewesen.
Es ist verzwickt: Mit dem Wechsel zum FC Schaffhausen kann Boris Smiljanic eigentlich nur verlieren. Harzt es in der Meisterschaft, wird man sagen: Der Smiljanic kann nichts. Steigt man am Ende auf, wird es heissen: Das alles ist Yakins Vorarbeit zu verdanken.
«Der Gedanke, dass ich nur verlieren kann, ist mir auch gekommen», sagt Smiljanic. Er nimmt es gelassen, was soll er anderes tun? Mittlerweile hat er auf der Haupttribüne Platz genommen. Ein Hüne, der aus dem Meer aus Plastikstühlen ragt. Dann fügt er an: «Ich will den FCS nicht als persönliches Sprungbrett nutzen.» Anderswo sei das Gras ja auch nicht grüner – und dann lacht er, erst leise, dann lauter, weil er nach unten aufs Feld schaut und merkt, dass eine Floskel wohl selten so wahr ist: der giftgrüne Kunstrasen.
Jetzt das Verlieren. Smiljanic ist es sich nicht gewohnt. Das U21-Team der Grasshoppers führte er zweimal in die Aufstiegsplayoffs. (Wo Nachwuchsteams jedoch nicht teilnahmeberechtigt sind.) Als er den FCS Ende August übernahm, kassierte er erst mal ein paar saftige Backpfeifen: ein 0:1 gegen 1.-Ligist Münsingen im Cup und ein 0:5 gegen Aufsteiger Rapperswil-Jona. Drei Siegen stehen drei Niederlagen gegenüber.
Smiljanic gibt offen zu, dass er zu Beginn Mühe hatte. «Ich musste erkennen: Das Verteidigen ist in der Challenge League enorm wichtig. In der 1. Liga hat das niemanden gekümmert.» Also warf er sein bevorzugtes Ballbesitzspiel zum Teil über den Haufen; er übernahm Yakins 3-5-2-Spielsystem und justierte es neu. Und siehe da: Beim 2:1 gegen Wohlen vom letzten Wochenende zeigte sich das Team merklich stabiler.
Dass ein Coach frei heraus über Fehler spricht, ist nicht üblich. Für gewöhnlich deutet man das als Schwäche. Aber was ist schon gewöhnlich bei Smiljanic? Er ist ja auch der erste FCS-Trainer, der keine Rechtschreibfehler macht, wenn er auf E-Mails antwortet, sondern eine gepflegte Sprache verwendet.
Wobei man einen Fehler zu erkennen glaubt: Da steht Smiljanic im Absender, nicht Smiljanić.
Die Sonderzeichen-Debatte
Seine kroatischen Eltern kamen Ende der 1960er-Jahre in die Schweiz, nach Baden (wo Smiljanic noch immer wohnt). Dort fanden beide Arbeit bei der ABB. Es ist die Zeit der italienischen Arbeitsmigranten; Mutter und Vater lernen daher erst Italienisch, ehe sie sich ums Deutsch kümmern. Später beantragen sie die Einbürgerung. Wie bei allen Menschen aus Ex-Jugoslawien hat das Folgen: In ihrer Effizienzwut beseitigt die Schweizer Bürokratie das -ić, praktisch Genozid. Viele störten sich daran; im letzten Herbst kam es zu einer breiten Diskussion über Namen und Identität.
Der Trainer hat damit keine Mühe: «Diese ić-Debatte interessiert mich nicht. Ich heisse Smiljanic. Oder Señor Boris, wenn der Ausrufer am Flughafen von Barcelona meinen Namen nicht aussprechen kann. Meine Identität ist doch nicht von einem Sonderzeichen abhängig.»
Smiljanic arbeitet sich aus dem Plastiksitz heraus. Das Videoschneiden ruft. Beim Hinausgehen tritt er in einen verwaisten Ball. Vor Jahren schon hat er mit dem Spielen aufgehört. «Seit meinem Karriereende habe ich das Fussballspielen nie vermisst, niemals», sagt er. «Dieses Verbissene ist mir ein Graus.» Auch wenn er kaum ohne den Sport sein könne: Er habe ja auch gar nie das Ziel gehabt, Profi zu werden. Wie ist es dann dazu gekommen? «Mich hat es einfach nach oben gespült.»
Und nun hat ihn der Fussball, dieser Sauhund, nach Schaffhausen gezogen. Sein Vertrag läuft bis Ende Saison, danach besteht die Option auf eine Verlängerung. Und vielleicht zieht es Smiljanic dann auch als Trainer nach oben.