Simon Adams Erbe

22. September 2017, Kevin Brühlmann
Simon Adam im Juni 2016: Da schien die Welt noch in Ordnung. Foto: Facebook

Simon Adam war der gefeierte Jungkoch Schaffhausens. Im Juni verschwand der 30-Jährige plötzlich von der Bildfläche. «Burn-out», berichtete man. Jetzt zeigt sich: Adam konstruierte ein Lügengebilde, es fehlen Millionen, und Investoren haben Anzeige erstattet wegen Betrug, Veruntreuung und Diebstahl. Adam bleibt derweil untergetaucht.

Irgendwann geriet alles aus den Fugen. Irgendwann Anfang Juni 2017. Simon Adam täuschte den Tod seiner eigenen Mutter vor, damit er selbst nicht unterging. Als eine Investorin auf Adam zukam, er war in Verzug mit Geldforderungen, sagte er zu ihr: «Meine Mutter liegt im Sterben. Gestern erhielt ich Bescheid, dass sie tot ist. Ich fiel in ein Loch. Erst später erfuhr ich, dass dies ein Missverständnis war. Es tut mir leid, du wirst das Geld bald haben.» Der 30-Jährige sagte es mit aufrichtigem Bedauern in den Augen. Die Investorin schluckte leer und gewährte ihm mehr Zeit.

Nur: Das Geld war schon lange weg. So wie alles andere Geld auch. Die Rede ist von einem Schuldenberg in Millionenhöhe.

Heute ist Adam für Freunde und Familie gestorben. Seit zwei Wochen ist er untergetaucht, niemand weiss, wo er ist. Mehrere Personen haben Anzeige gegen ihn erstattet: Betrug, unlautere Geschäftsführung, Veruntreuung, Diebstahl.

Im schlimmsten Fall drohen bis zu fünf Jahre Gefängnis.

Wie konnte es so weit kommen?

Adam, der Überflieger

Noch vor wenigen Wochen schien alles beim Alten zu sein. Die Bilder glichen sich aufs Haar: ein junger Mann, 30, lächelt freundlich in die Kamera, wie immer in engen Jeans, Hemd und Sakko, Gel im Haar. Hinter den Bildern nur Erfolgsgeschichten: Simon Adam, dynamischer Jungunternehmer. Adam, vom Küchengehilfen aus Solothurn zum Spitzenkoch. Adam, Besitzer von zig Restaurants – «Güterhof», «Beckenburg», «Strauss». Adam, Chef von 150 Angestellten. Adam, gern gesehener Gast im SRF, zuletzt beim «Samschtig-Jass». Adam, Star seiner eigenen Kochshow.

2014 gründete Adam die Essen und Kunst by Adam & Co. GmbH (E & K). Mit Oliver Malicdem, seinem «besten Freund», den er seit dem Kindergarten kennt und der für die künstlerische Umrahmung sorgt. Das Konzept kam an: Die E & K wuchs und wuchs. Zuletzt kam der «Güterhof» dazu. Ende 2016 besas­sen die Firma oder Adam selbst sieben Restaurants, einen Lieferservice und einen Catering-Betrieb. Der Gesamtumsatz dürfte nach Schätzung der «az» gegen 15 Millionen Franken betragen haben.

Möglich war die stete Expansion des Adam-Imperiums dank Investoren im Hintergrund. Um die 30 Privatpersonen und Unternehmen unterstützten Adam finanziell – zum Teil mit beträchtlichen Beträgen. «Durch den Hype um seine Person hatte er ein riesiges Netzwerk», sagt jemand aus der Szene. «Da erschienen vielen die Dollarzeichen in den Augen.»

Über das Geld verfügte Simon Adam praktisch allein. Bei allen Betrieben besass er die alleinige Zeichnungsbefugnis. Sämtliche Bankkonten liefen über ihn. Das schien niemanden zu stören, schliesslich kam er immer allen Verpflichtungen nach. Und die Leute mochten ihn. «Er hat die Gabe, Leute zu begeistern», sagt ein Nahestehender. Ein anderer meint: «Mit seiner kindlich-naiven Art, mit Herzlichkeit hat er Menschen für sich gewonnen.» Eine Dritte: «Ich schätzte an ihm, dass er nie grossspurig auftrat.»

Das Auto am Flughafen

Plötzlich jedoch, es war Mitte Juni 2017, tauchte Simon Adam ab. Wohin, wusste niemand; sein Auto fand man irgendwann am Flughafen. Später erfuhr man, dass er nach Rumänien geflüchtet war. Als er wieder zurückkam, trat er von sämtlichen Firmenbeteiligungen zurück. Am 20. Juni verschickte er zudem eine reuige Mitteilung an die Medien: «Der Druck von allen Seiten war so gross, dass ich letzte Woche fluchtartig die Schweiz verliess.» Nur einen Gedanken habe er gehabt: durchatmen. Und weiter: «Ich habe viel erreicht und bin tief gefallen.» Die Medien berichteten, dass Simon Adam «sich übernommen» habe.

Dann verschwand er wieder. Und niemand wusste, wovon er genau gesprochen hatte: Welcher «Druck»? Wie «tief gefallen»? Und warum?

Investorenfamilie Bangerter

Der «Güterhof» ist laut Investor Thomas Bangerter gerettet. Bei Simon Adams Essen & Kunst sieht es hingegen düster aus.

«Nun ist, glaube ich, die Zeit gekommen, Fragen zu beantworten», sagt Thomas Bangerter gegenüber der «az». Er stammt aus der wohlhabenden Bangerter-Familie aus Bülach. Sie versteht sich als «Business Angel», als jemand, der Start-ups unter die Arme greift. 2014 hatte sie Simon Adam und seiner Essen & Kunst eine Anschubfinanzierung gewährt; in der Folge trat sie immer wieder als Investorin auf.

Der Immobilienfachmann Thomas Bangerter fand sich Ende Juni 2017 plötzlich als Gastronom wieder – gezwungenermas­sen. Wie sich herausstellte, befanden sich Adams Firmen damals kurz vor dem Ende. Es standen enorme Geldforderungen von Lieferanten und Investoren an. Von diesem «Druck» sprach Adam also. «Wir reden hier insgesamt von siebenstelligen Beträgen», meint Bangerter.

Daher sprang er als Troubleshooter in die Bresche. Man investierte nochmals Geld. «Wenn wir nicht eingeschritten wären, wären am nächsten Tag alle Firmen zahlungsunfähig gewesen.» Nach Adams Rückzug übernahmen die Bangerters sämtliche Firmen. Seither versuchen sie zu retten, was noch zu retten ist.

Ende August kam ein erster Erfolg: Das Konkursverfahren gegen den «Güterhof» konnte vor Gericht vorläufig gestoppt werden. Eine Reihe von Investoren und Lieferanten erklärte sich bereit, auf einen grossen Teil ihrer Geldforderungen zu verzichten. Und die Chancen stehen gut, dass die Liquidation definitiv aufgehoben wird. Das Obergericht soll seinen Beschluss in den nächsten Tagen bekannt geben. «Wir erwarten einen positiven Entscheid», so Thomas Bangerter, «der ‹Güterhof› ist komplett saniert.»

Leben im Luxus

Die andere Firma hingegen, die Essen & Kunst by Adam und Co. GmbH, hat ihre Bilanz beim Kantonsgericht deponiert (siehe auch «az» vom 31. August). «Sie ist nicht mehr zu retten», sagt Bangerter.

«Mit Freunden ein paar tolle Tage» im Gstaader Fünfsternehotel «Palace»: Simon Adam Anfang 2017 (hinten, Mitte). Foto: Facebook

Denn je weiter die Financier-Familie in der Firma grub, desto mehr Leichen entdeckte sie. Thomas Bangerter ist konsterniert: «Jedes Wort, das mir Simon in den letzten zwölf Monaten gesagt hat, war gelogen. Wir haben ihm vertraut, er war praktisch wie ein Familienmitglied. Er hat uns alle – seine Familie, seine Freunde, seine Investoren, seine Geschäftspartner, seine Lieferanten et cetera – gnadenlos ausgenutzt und hintergangen.»

Die Familie hat nun Strafanzeige gegen Adam eingereicht. Wegen Betrug, ungetreuer Geschäftsbesorgung, Veruntreuung und Diebstahl.

Tatsächlich schien Simon Adam in den letzten Monaten abzudriften. Wie mehrere Beteiligte bestätigen, war er kaum noch in seinen Restaurants anzutreffen. Stattdessen bewegte er sich, wie es ein Nahestehender ausdrückt, «salopp gesagt in gewissen Zürcher Kreisen, wo man die Zigarren mit Tausendernoten anzündet». Das heisst: Partys, Autos, Uhren. Auf Facebook berichtete Adam Anfang 2017, wie er «mit Freunden ein paar tolle Tage» im Gstaader Fünfsternehotel «Palace» verbracht hat. Ein Einzelzimmer kostet dort 500 bis 830 Franken pro Nacht, die Suite knapp 10’000. Andere Bilder berichten von «Spa time» im «Dolder Grand» in Zürich.

Hinzu kommt gemäss Thomas Bangerter, der nun Einblick in alle Geschäftsbücher und -konten hat: Die Waren der Restaurants sind relativ teuer eingekauft worden, und die Personalkosten fielen ziemlich hoch aus. Zum Teil hat Adam seinen Freunden ein für die Branche ungewöhnlich hohes Gehalt entrichtet. Und manchen Leuten bezahlte er über seinen Catering-Service Löhne, obschon sie gar nie dort gearbeitet haben.

«Güterhof»: Konto geleert

Von all dem wusste niemand etwas. Stellte ein Treuhänder bei der Revision kritische Fragen, so wurde er ausgewechselt. Und wenn doch finanzielle Engpässe drohten, so hiess Adams mutmassliche Strategie: Expansion. Wie zum Beispiel im November 2016, als er den «Güterhof» übernahm. Diese Episode zeigt wohl beispielhaft, wie es Simon Adam verstand, neue Türen zu öffnen – bis irgendwann alle Klinken abgebrochen sind.

15. September 2016: «Güterhof»-Inhaberin Verena Prager freut sich über Nachfolger Adam. Bild: Screenshot SHF

Adam kaufte Verena Prager den «Güterhof» ab. Sie führte das Lokal seit fast 20 Jahren, suchte aber einen Nachfolger, weil sie in Rente ging. Vor genau einem Jahr traten beide im Schaffhauser Fernsehen auf. Prager schwärmte: «Simon ist mein Wunschkandidat. Ich finde, er ist sehr authentisch. Was er sagt, lebt er auch.» Beide lächelten sich innig an. Die Szene hatte etwas von einer Mutter-Sohn-Beziehung.

Heute versteht Verena Prager noch immer nicht, wie es so kommen konnte, wie es kam: «Ich war hundertprozentig von ihm und dem Verkauf überzeugt. Ich hätte ja nicht verkaufen müssen. Er besass ein blütenweisses Profil. Keine verdächtigen Einträge auf Facebook und Google, keine Betreibungen, nichts.» Der Kaufvertrag des Lokals beinhaltete verschiedene Darlehen von Prager, die Adam über die Jahre abstottern sollte. Doch bald sei eine Zahlungsrate ausgeblieben.

Offenbar stand er bereits damals unter massivem Druck von Gläubigern. Denn Adam habe das «Güterhof»-Konto früh geleert, so Prager, «um Löcher zu stopfen». Im April war die Last wohl so gross, dass Adam ein erstes Mal für ein paar Tage abtauchte. Als Verena Prager ihn darauf traf, habe Adam sie beschwichtigt: Seine Restaurants hätten eine Million Gewinn gemacht, nichts zu befürchten.Schon wenige Wochen darauf drohte dem «Güterhof» der Konkurs. Der konnte nur aufgehoben werden, weil diverse Investoren auf ihre Forderungen verzichteten – auch Verena Prager. «Ich habe viel Geld verloren.»

Das letzte Mal, als Prager den jungen Koch sah, tischte er ihr die Geschichte von seiner kurzzeitig toten Mutter auf. Das war Anfang Juni.

Das blieb kein Einzelfall: Gegenüber anderen Gläubigern erfand er einen toten Vater und einen Halskrebs, an dem er selbst leide.

Unter den Investoren scheint man sich einig zu sein: Simon Adams Lügen hatten System. «Er hat es fertiggebracht, dass wir uns alle nie begegnet sind», meint Prager. Erst vor wenigen Wochen fanden die Investoren heraus, dass Adam Prager von einem Anlass ausgeladen hat, weil da schon Angehörige der Bangerter-Familie teilnahmen.

Neuanfang scheitert

In der Zwischenzeit erschien Simon Adam noch einmal kurzzeitig auf der Bildfläche: Ende August wurde bekannt, dass er ein Lokal in Zürich übernahm, das «Adams Restaurant». Doch sein Geschäftspartner jagte ihn nach nur wenigen Tagen zum Teufel. Das Muster wirkt bekannt, glaubt man den Aussagen des Partners: Adam schulde ihm noch immer Geld von der Lokalübernahme. Zudem habe er Angestellte, Lieferanten und Miete nicht bezahlt sowie regelmässig Kasse und Serviceportemonnaie geplündert. Und immer wieder seien Leute aufgetaucht, denen Adam Geld schulde, privat und geschäftlich. «Er hat gar nichts mehr», sagt der Partner. Er hat nun Anzeige erstattet, weil Adam Anfang September mit dem Geschäftsauto abgehauen ist.

Seither blieb Adam unter dem Radar – mal wieder. Keiner seiner ehemaligen Freunde, mit denen die «az» geredet hat, pflegt seither noch Kontakt zu ihm. Auch die «az» hat über Wochen vergeblich versucht, Adam zu erreichen.

Oliver Malicdem, ehemaliger Geschäftspartner und angeblich «bester Freund», mag ihn noch nicht mal beim Namen nennen. «Mit dieser Person habe ich abgeschlossen», sagt er knapp.