Semivirtuell oder inexistent?

9. September 2017, Mattias Greuter
Suchbild: Sehen Sie auf diesem Bild eine Hochschule? Foto: Peter Pfister
Suchbild: Sehen Sie auf diesem Bild eine Hochschule? Foto: Peter Pfister

In wenigen Tagen beginnt das erste Semester der Hochschule Schaffhausen. Gibt es Professoren, Unterrichtsräume, ein Sekretariat? Kann man sich anmelden? Eine Spurensuche.

Bald beginnt das Semester. «Mit vorerst fünf Studienangeboten im Wirtschaftsbereich nimmt die neue Hochschule Schaffhausen im Herbst den Lehrbetrieb auf», verkündet das von der Wirtschaftsförderung und dem Verlag der «Schaffhauser Nachrichten» herausgegebene Magazin «SH Wirtschaft» im Juni.

Am 15. September, dem Immatrikulationstag, beginnt das Studium. Die private Firma IUN World, die in Deutschland und Österreich mehrere Hochschulen und Universitäten betreibt, verspricht ein modernes Studienkonzept, das besonders gut mit Beruf und Familie vereinbar sein soll: semivirtuelles Lernen. Pro Semester fünf mal zwei Tage «Präsenzlehre» vor Ort, dazwischen «virtuelle Selbstlernphase» über eine Onlineplattform. Und das für nur 450 Franken pro Monat.

24. August, noch drei Wochen bis zum Studienbeginn: Ich fülle die zwei Onlineformulare aus, mit denen ich Infomaterial anfordere und mich für den Bachelor in Wirtschaftspsychologie anmelde.

Zwar weiss ich aus der «az», dass die Hochschule Schaffhausen noch nicht als Hochschule akkreditiert ist und darum keine Bachelor-Abschlüsse vergeben darf, aber das kann ja noch werden. Studium, ich komme!

Keine Reaktion

31. August, Anmeldeschluss für die Hochschule Schaffhausen. Seit meiner Anmeldung vor einer Woche habe ich noch nichts von der Hochschule gehört. Dabei schreibt die Hochschule in ihrem «Service-Versprechen»: «E-Mail-Anfragen an MitarbeiterInnen und Lehrbeauftragte der Hochschule Schaffhausen werden innerhalb von zwei Werktagen beantwortet.»

Unter der auf der Webseite angegebenen Handynummer meldet sich niemand. Macht nichts, denn die Hochschule hat tägliche Bürozeiten. Im Land der kurzen Wege (Zitat Wirtschaftsförderer) gehe ich einfach vorbei.

Die Hochschule Schaffhausen hat sich in eine Liegenschaft des Kantons eingemietet: Rheinstrasse 10, dritter Stock. Auf das Klingeln bei «Hochschule Schaffhausen» reagiert niemand, im Briefkasten stapeln sich Werbebroschüren von geschätzt zwei Wochen.

Ist da jemand?
Im dritten Stock finde ich keinen Empfangsdesk, keine Studienberatung, nicht einmal einen Schirmständer, sondern nur zwei verschlossene Türen ohne jede Anschrift. Auf mein Klopfen reagiert niemand.

Vom Architekturbüro gegenüber aus hat man eine gute Aussicht auf die Hochschule: Offene Fensterläden, aber kein Licht, möblierte, aber ansonsten leere Räume. Hier erzählt man mir, dass vor etwa zwei Monaten «einmal etwas gezügelt» wurde, seither habe man keine Aktivitäten mehr beobachtet. Aber ich will doch in zwei Wochen mein Studium beginnen! Leicht besorgt rufe ich nochmals die Handynummer an, hinterlasse eine Nachricht auf dem Beantworter und schreibe ein SMS: «Ich bitte dringend um Rückruf betreffend meine Anmeldung an der Hochschule Schaffhausen.»

Gleichentags schickt die «az» der Hochschule und ihrem Rektor Prof. Dr. Dr. Christian Werner eine E-Mail mit einigen Fragen: Kommen alle Studiengänge zustande? Wie viele Studierende haben sich angemeldet? Können wir die Unterrichtsräumlichkeiten sehen, mit Studentinnen und Professoren sprechen?

4. September: Noch zwölf Tage bis zur Immatrikulation. Noch immer keine Antwort, weder auf meine Studienanmeldung noch auf die Fragen der «az».

Zeit, die Webseite der Hochschule etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie zeigt Bilder von gut aussehenden jungen Menschen in einem Business- oder Studienumfeld. Sind das meine künftigen Kommilitonen? Nein, es handelt sich um Agenturfotos, die Webseitenbetreiber im Internet kaufen können. Mit einer Ausnahme: Das Foto vom Rheinfall gibt es gratis.

Sechs Professorinnen und Professoren sind auf der Webseite der Hochschule Schaffhausen angegeben, die allesamt auch an anderen Instituten der IUN World unterrichten. Univ. Prof. Dr. Franz Huber erreiche ich nicht, also suche ich den anderen Dozenten für das Fach Wirtschaftspsychologie, Prof. Dr. Peter Karl ­Fischer.

Gestatten: Professor Doktor Peter Karl Fischer. Videostill: Youtube

Gestatten: Professor Doktor Peter Karl Fischer. Videostill: Youtube

«Nach oben durchgehen»
Ich finde ein Youtube-Video aus dem Mai 2017, in dem Fischer, Typ Fernsehkoch, Halskette, schwarzes Sakko, Spitzbart, Glatze, Sonnenbrille, sich in einer Kletterhalle «am Adventure Campus Treuchtlingen» eine Kamera vors Gesicht hält (siehe Bild oben). In einem zweiten Video, das Fischer an einem Flughafen aufgenommen hat, trägt er eine noch exzentrischere Sonnenbrille und eine tarnfarbene Kombination aus Baumwollshirt und Weste. Er preist ein «Studium 4.0» der Wirtschaftspsychologie in Ismaning, Treuchtlingen, Berlin oder Schaffhausen als «Roundabout-Sorglos-Package» an, und die Kletterwände im Hintergrund sind nicht nur ein «cooles Ambiente», wie sich Fischer ausdrückt, sondern zugleich eine Metapher dafür, dass man mit einem Abschluss bei IUN World «durchstarten und nach oben durchgehen» kann.

Das Video hat 38 Aufrufe und 2 Likes. Ich setze einen dritten darunter und rufe Professor Fischer an.

Ob sein Studiengang denn stattfinden werde? «Ich denk’ schon», sagt der freundliche Professor, aber er habe auch noch keine Informationen bekommen: «Ich arbeite auch an anderen Institutionen der IUN World und weiss noch nicht, ob ich in diesem Semester in Schaffhausen eingeplant bin.» Der Herr Professor weiss also auch nichts, aber dafür ist er hilfsbereit. Er gibt mir seine private Mailadresse und verspricht, sich für mich einzusetzen. Er schreibt an mich und zwei Angestellte der Hochschulfirma: «Bitte kümmere euch um Herrn Geruhter er bekommt keine Kontakt in Schaffhausen.» (sic!)

Strategiewechsel: Der Kanton Schaffhausen, welcher der Hochschule die Räumlichkeiten vermietet und eine Leistungsvereinbarung abgeschlossen hat, muss doch etwas wissen. Beim Volkswirtschaftsdepartement heisst es, man sei mit der Schule in Kontakt, könne aber noch nichts Offizielles sagen. Erziehungsdirektor, Christian Amsler antwortet im Gegensatz zur Hochschule schnell. Er schreibt: «Seit den letzten, längst bekannten Fakten rund um die Hochschule Schaffhausen verfügt das Erziehungsdepartement nicht über neuere Fakten. Ich kann schlicht und einfach nichts dazu sagen. Ich bitte Sie, sich doch direkt an die Betreiber von IUN World, Prof. Dr. Christian Werner, zu wenden.»

Endlich: Kontakt
Am Hauptsitz von IUN World in Ismaning nimmt Katharina Michel das Telefon ab. Sie ist laut Webseite die «Kanzlerin» der Hochschule Schaffhausen. Der Hochschulleiter, Professor Werner, sei bis am nächsten Montag, also bis fünf Tage vor dem Immatrikulationstag, in den Ferien, sagt sie. Wann beginnt das Studium? «Da müsste ich Sie an Herrn Werner verweisen.» Trotzdem verspricht Sie schriftliche Antworten auf die Fragen der «az».

Sie beantwortet die elf Fragen nicht einzeln, sondern summarisch. «Die Hochschule Schaffhausen wird im Herbstsemester mit zwei kleinen Kohorten den Studienbetrieb beginnen. Derzeit besteht noch die Möglichkeit der Nachmeldung für Studieninteressierte», schreibt sie.

5. September: Auf erneute Nachfrage schreibt Katharina Michel: «Im Herbstsemester wird ein Master of Business Administration sowie ein Master Wirtschaftspsychologie (M.Sc.) an der Hochschule Schaffhausen stattfinden.» Das heisst: Zwei der angekündigten fünf Studiengänge sollen starten, meiner ist nicht dabei. Über die Studierendenzahl könne sie erst im Oktober Auskunft geben, da aktuell noch die Nachmeldefrist laufe, schreibt Michel weiter und stellt einen Tag der offenen Tür in Aussicht. Das Studium starte «mit der virtuellen Phase Anfang Oktober», der erste Präsenztag sei der 13. Oktober.

Oktober? Laut der Webseite sollte das Studium am 15. September beginnen. Erneuter Anruf in Ismaning. Doch, es sei schon richtig, dass das Semester am 15. September starte, erklärt die «Kanzlerin» verständnisvoll, aber es beginne eben mit der vorlesungsfreien Zeit. Und danach kommt noch die virtuelle Phase. So gesehen ergibt es Sinn, dass an der Rhein­stras­se noch niemand anzutreffen ist.

Der Spamfilter hat Schuld
Michel sagt, sie sei immer zwei bis drei Tage am Standort in Schaffhausen gewesen, ausser im August, und werde dort auch weiterhin anzutreffen sein.

Ich offenbare, dass ich mich als Student angemeldet habe und frage, warum mir noch keine Unterlagen zugeschickt wurden. «Ich befürchte, dass Ihre Anmeldung im Spam-Ordner gelandet sein könnte», mutmasst Michel, sie habe ihre Techniker darauf angesetzt.

Und tatsächlich: Nachdem ich ohne Erfolg E-Mails verfasst, angerufen und SMS geschrieben habe, nach mehrmaligen Kontaktversuchen vor Ort und nachdem ein Professor meinem Anliegen Nachdruck verliehen hat, ist es der Anruf als Journalist, der teilweise zum Erfolg führt.

Noch am gleichen Tag trifft eine Broschüre über den Bachelor-Studiengang Wirtschaftspsychologie ein. Ein Studienvertrag und eine Anmeldungscheckliste, die man mir gemäss Webseite hätte zuschicken müssen, liegen nicht bei, und in der Broschüre steht nichts, was ich von der Webseite nicht bereits wusste. Mit einer Ausnahme: Während laut Webseite das Studium im September und gemäss der Auskunft von Katharina Michel die erste «virtuelle Phase» im Oktober beginnen soll, steht in der – offensichtlich älteren – Broschüre noch, das Studium beginne bereits im August, und man müsse sich bis zum 31. Juli anmelden, mit Nachmeldefrist bis Ende August. Die wäre also gemäss ursprünglicher Planung bereits abgelaufen.

6. September: Acht Tage vor dem von der Hochschule am Telefon bestätigten Semesterbeginn. Oder einen Monat vor der ersten «virtuellen Phase» laut Katharina Michel. Oder sechs Tage nach dem letzten möglichen Anmeldetag und über einen Monat nach Studienbeginn gemäss Broschüre. Egal. Wenn der Studienbeginn schon zwei mal verschoben wurde, traue ich keinem Datum mehr.

Start: Nächste Woche. Oder?
Ich finde mich damit ab, dass aus meinem Studium vorerst nichts wird. Die 16’840 Franken, die mich die sechs Semester plus Einschreibe- und Prüfungsgebühr gekostet hätten, werde ich anders ausgeben müssen. Wehmütig gehe ich nochmals an der Rheinstrasse vorbei. Der kleine Stapel Werbebroschüren im Briefkasten ist etwas gewachsen, ansonsten ist die Situation vor Ort unverändert: gespenstische Stille. Wie hier in Kürze Studiengänge beginnen sollen, auch wenn es vorerst nur zwei statt fünf sind, ist mir ein Rätsel. Um es zu lösen, muss man vermutlich Wirtschafts­psychologie studiert haben.

Am Erscheinungstag dieser Zeitung, acht Tage vor Studienbeginn, existiert die Hochschule Schaffhausen nur als Mieterin der Liegenschaften, als AG im Handelsregister und als Webseite. An der Rheinstrasse 10 findet man heute keine Schule. Nur zwei leere Büros und einen vollen Briefkasten.