Der Regierungsrat hat einen Zürcher Staatsanwalt beauftragt, eine auffällige Zahlung in der Schaffhauser Polizeirechnung zu untersuchen. Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel beschwichtigt und spricht von einigen Hundert Franken. «az»-Recherchen zeigen nun: Es geht um weit mehr.
«In Schaffhausen platzt eine Bombe», meldete am vergangenen Freitag der Fernsehsender Tele Top. In der Rechnung der Schaffhauser Polizei seien Unregelmässigkeiten aufgetaucht. Konkret handle es sich um eine Zahlung der Dienststelle Bedrohungsmanagement, welche Fragen aufwerfe. Auslöser für die Vorwürfe sei eine kürzlich eingegangene Strafanzeige gegen unbekannt gewesen.
Da die Polizei eng mit der Schaffhauser Staatsanwalt zusammenarbeite, habe der Regierungsrat Anfang Juli 2017 einen Sonderstaatsanwalt aus Zürich beauftragt, die Unregelmässigkeiten zu untersuchen, sagte Regierungsrätin Rosmarie Widmer Gysel ein paar Tage später gegenüber Radio Munot. Es handle sich um eine einzige Zahlung mit einem «tiefen dreistelligen Betrag». Weil es sich um ein laufendes Verfahren handelt, wollen weder der Regierungsrat noch Sonderstaatsanwalt Hans Maurer mehr Details preisgeben. Sie sehe dem Abschluss des Verfahrens jedoch positiv entgegen, sagt Widmer Gysel.
Recherchen zeigen nun, dass es sich bei den Ausführungen von Rosmarie Widmer Gysel nur um einen kleinen Teil der Wahrheit handelt.
Mehr als 10’000 Franken
Der besagte Fall ist der «az» bekannt. Es handelt sich um einen jahrelangen Streit zwischen einer Privatperson, nennen wir sie F., und den Schaffhauser Behörden. Polizeikommandant Kurt Blöchlinger soll eine Busse, die gegen F. verhängt worden war, eigenmächtig aus dem ordentlichen Polizeibudget bezahlt haben. Es habe sich dabei lediglich um mehrere Hundert Franken gehandelt. Das deckt sich mit den Aussagen von Rosmarie Widmer Gysel.
Wie aus einem mittlerweile gelöschten Blogeintrag von F. hervorgeht, ist die Polizei im Januar 2017 aber auch mit einer zweiten Rechnung ziemlich unbürokratisch umgegangen. Der «az» liegt eine Mahnung vom 1. November 2016 über 10’900 Franken vor, welche F. hätte begleichen sollen.
F. schrieb im April 2017 in einem Mail an die «az», nach dem langen Streit sei er «von den höchsten Stellen» wieder zum Gespräch zugelassen worden. «Mehr noch, sie kommen mir auch noch entgegen.» Im Gegenzug habe die Person ein paar brisante Informationen vom Netz genommen oder massiv abgespeckt. Die Rechnung über mehrere Hundert Franken sei nach Absprache mit Kurt Blöchlinger von der Polizei übernommen worden, teilt F. auf Anfrage mit. Und auch die 10’900 Franken habe F. bis heute nicht bezahlen müssen.
Polizeikommandant Kurt Blöchlinger, welcher mit den «höchsten Stellen» gemeint ist und mit F. mehrfach am Verhandlungstisch gesessen hat, will die Vorwürfe nicht kommentieren. Rosmarie Widmer Gysel bestätigt jedoch auf Anfrage der «az», dass man «nicht ausschliessen» könne, dass dieser zweite Betrag von 10’900 Franken ebenfalls Gegenstand der Abklärungen von Sonderstaatsanwalt Hans Maurer sei. Damit widerspricht sie den Aussagen, welche sie nur wenige Tage zuvor gegenüber Radio Munot gemacht hat.
War es Begünstigung?
Dort sagte sie auch: Wenn es Hinweise geben sollte, dass etwas nicht rechtens gewesen sei, werde man es künftig nicht mehr oder anders machen müssen.
Damit spielt sie den Ernst der Lage herunter. Gemäss dem Schaffhauser Staatsschreiber Stefan Bilger soll Staatsanwalt Maurer prüfen, ob ein Strafverfahren eingeleitet werden müsse. Erhärtet sich der Verdacht, könnte es sich um die Straftatbestände der Begünstigung oder des Machtmissbrauchs handeln, welche mit mehreren Jahren Gefängnis geahndet werden können.
Fraglich ist auch, ob sich der Regierungsrat lediglich aufgrund einer Anzeige gegen unbekannt entschieden hat, eine externe Untersuchung einzuleiten. Die Geschäftsprüfungskommission des Kantonsrats (GPK) hat sich zeitgleich ebenfalls in mehreren Sitzungen mit Vorwürfen gegenüber der Schaffhauser Polizei beschäftigt. Die Fragen und Vorwürfe wurden laut, nachdem die «schaffhauser az» ab April 2017 über Ungereimtheiten in der Amtsführung von Polizeikommandant Kurt Blöchlinger berichtet hatte.
GPK-Präsident Marcel Montanari bestätigt auf Anfrage, dass die GPK verschiedene Vorwürfe, welche jetzt vom Zürcher Sonderstaatsanwalt untersucht werden, ebenfalls untersuchen wollte. Die Kommission werde nun aber erst mal abwarten, zu welchen Ergebnissen Hans Maurer komme. «In einzelnen Punkten ist das GPK-Verfahren noch nicht abgeschlossen», sagt Montanari.
Gut möglich also, dass der Regierungsrat durchaus unter Druck stand, eine externe Untersuchung einzuleiten, und – anders, als Rosmarie Widmer Gysel es darstellt – nicht ganz freiwillig aktiv wurde.
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Lässt man Blöchlinger fallen?
Ein Kommentar von Marlon Rusch
Der Regierungsrat hat einen externen Sonderstaatsanwalt eingesetzt, um Unregelmässigkeiten in der Rechnung der Schaffhauser Polizei zu untersuchen.
Eigentlich ein durchaus schlüssiges Vorgehen; schliesslich ist eine Strafanzeige eingegangen, und würde ein Schaffhauser Staatsanwalt ermitteln, könnte man ihm Befangenheit vorwerfen. Polizei und Staatsanwaltschaft arbeiten naturgemäss eng zusammen.
Und doch wirft das Vorgehen eine Frage auf: Wieso gerade jetzt?
Vor über einem halben Jahr begann die «az», zur Polizei zu recherchieren. Seither haben wir mehrere Artikel über die zweifelhafte Amtsführung von Polizeikommandant Kurt Blöchlinger veröffentlicht, und mehrere nationale Medien haben die Berichterstattung aufgegriffen. Finanzdirektorin Rosmarie Widmer Gysel aber hat sich immer entschlossen hinter ihren Chefbeamten gestellt. Alle Vorwürfe hat sie kompromisslos abgeschmettert.
Jetzt, wo es gemäss ihren eigenen Angaben lediglich um einige Hundert Franken geht, muss die Regierung plötzlich einen externen Staatsanwalt einschalten?
Ja, aus Sicht der Regierungspräsidentin Widmer Gysel ergibt das durchaus Sinn.
Gemäss unseren Recherchen ist da nämlich noch mehr als die Strafanzeige. Die Geschäftsprüfungskommission des Kantonsrats (GPK) ermittelt parallel in derselben Angelegenheit. Und es geht dabei nicht primär um ein paar Hundert Franken. Es werden zum ersten Mal ganz konkret mögliche Straftatbestände untersucht.
Entweder wurde also im Gesamtregierungsrat der Druck auf Widmer Gysel so gross, dass sie gezwungen war, in die Offensive zu gehen. Oder aber sie hat gemerkt, dass es bald nicht mehr nur um ihren Polizeikommandanten gehen könnte, sondern auch um sie selbst.
Es ist kein Geheimnis, dass Blöchlinger und Widmer Gysel enge Vertraute sind. Und es gibt Indizien dafür, dass die Regierungsrätin Bescheid wusste über die Zahlungen und Umbuchungen, welche derzeit vom Sonderstaatsanwalt abgeklärt werden.
Bestätigt sich dies im Laufe der externen Untersuchung, könnte auch sie selbst ins Visier der Ermittlungen geraten – was im äussersten Fall gar strafrechtliche Konsequenzen haben könnte.
Indem sie nun sagen kann, sie beziehungsweise der Regierungsrat hätte von sich aus eine Untersuchung eingeleitet, bringt sich Widmer Gysel aus der Schusslinie. Ein kluger Schachzug, gewiss. Doch er lässt auch Raum für Spekulationen:
Kann sie es sich nach dieser Untersuchung weiterhin erlauben, ihren Kommandanten auf Biegen und Brechen zu verteidigen, wenn die Ermittlung zum Schluss kommt, dass er tatsächlich gegen das Gesetz verstossen hat? Stellt sie sich weiterhin hinter Blöchlinger, wenn er rechtskräftig verurteilt worden ist?
Oder lässt sie ihn dann fallen?