Der Anti-Ästhetiker

16. Juli 2017, Marlon Rusch
Fritz Sauter ist auch ein wenig Neurologe. Foto: Peter Pfister
Fritz Sauter ist auch ein wenig Neurologe. Foto: Peter Pfister

Der «bedeutendste hiesige Künstler» (Markus Werner) und «grösste Humorist zwischen Rhein und Ticino» (Ex-Hörspielchef Radio DRS) ist in seiner Heimat Schaffhausen nahezu unbekannt. Überfordert Fritz Sauter mit seinem schwarzen Humor das kleinbürgerliche Städtli?

Als Fritz Sauter einen Gartenzwerg auf einen Schaffhauser Stadtplan setzte, ihn anzündete, ein Foto schoss, es Beat Hedinger schickte und dem Direktor von Schaffhauserland Tourismus vorschlug, damit die Homepage seines Verbands aufzupeppen, reagierte Hedinger nicht sonderlich angetan. Sauter solle solche dummen Scherze künftig unterlassen, schrieb er dem Künstler. Ansonsten werde er, Hedinger, «Schritte einleiten». Sauter doppelte nach. Hedinger leitete keine Schritte ein.

Fritz Sauter ist sichtlich amüsiert, als er die kleine Episode erzählt. Dabei steht sie sinnbildlich für seine vielleicht auch etwas tragische Rolle in der Schaffhauser Kunst-Landschaft: Er provoziert, stösst auf Unverständnis und wird schliesslich ignoriert. «In Schaffhausen kennen mich die Steuerbehörde und der Mann, der den Gaszähler abliest», sagt er in seinem Atelier an der Mühlenstrasse. Er sagt es vorwurfsvoll, aber ohne Gram. Denn eigentlich braucht er es wohl genau so. Seine Kunst ist Punk, der Künstler Outlaw in der grauen Wohlanständigkeit.

Man stelle sich vor, im Kantonalbank-Foyer würden seine drei gedruckten Penisse namens Jesus, Otto und Mohammed hängen. Wäre das wirklich in Sauters Sinn? Schwer zu sagen.

Moral ist egal
Angefangen hat der heute 65-Jährige unverfänglicher. Als gelernter Typograph kommt er von der Sprache her, veröffentlichte bereits in den frühen 70er-Jahren Gedichte in lokalen Verlagen. Grafik kam später hinzu, weil Sauter etwas mit den Händen machen wollte. Er begann, mit Formaten zu jonglieren, zu kombinieren, beschaffte sich eine Korrex-Handabziehpresse. «Man soll nie etwas so machen, wie man es gelernt hat.» Heute ist er Grafiker, Zeichner, Maler, Objektkünstler, Poet, Hörspiel- und Theaterautor, Drucker, Verleger.

1990 gründete er die «edition bim», einen Kleinstverlag, der groteske Kurzgeschichten herausgab. «Da war ich ja noch jung», erklärt er seinen damaligen Tatendrang. Also schrieb er renommierte Autoren wie Franz Hohler, Friederike Mayröcker und Urs Widmer an und bat sie um Beiträge. Zu seinem Erstaunen sagten alle zu und lieferten Texte für den ersten originalgrafischen Gedichtplakat-Band. Dutzende Publikationen sind gefolgt, die meisten aus der Feder des Verlegers selbst. 2001 etwa eine alternative Festschrift mit dem charmanten Titel «500 Jahre Zugehörigkeit zur Eidgenossenschaft sind genug», das in den Schaffhauser Medien – selbstredend – keine Beachtung fand.

In Sauters immer satirischen Texten geht es meist ums Scheitern. Er präsentiert Figuren, oft kleine Männer und Frauen, die kläglich scheitern. Meist wollen sie Gutes tun, werden dann aber überfahren, stürzen von Klippen oder lösen sich wie von Geisterhand auf. Political correctness und Moral sind Sauter egal. Meist schickt er dem Abgestürzten noch einen kleinen Trost mit ins Verderben – der Gipfel der Boshaftigkeit.

Man kann sich den Künstler vorstellen, wie er am Vormittag (nicht zu früh) barfuss im Atelier in seiner Corbusier-Liege (Nachbau) ruht und diabolisch lacht, wenn ihm ein neuer Einfall gekommen ist, wie er seine Figur in einen besonders tiefen Abgrund stürzen könnte. Kunst, sei es nun Bild oder Text oder beides, ist für Sauter ein Spiel. «Ich möchte provozieren», sagt er. «Aber mit Humor. Mit Humor als subversivem Mittel.»

Blick ins Ateliereck mit Teilen der Korrex-Presse. Foto: Peter Pfister

Blick ins Ateliereck mit Teilen der Korrex-Presse. Foto: Peter Pfister

Kein Mann für «nette Abende»
Fritz Sauters Geschichten erscheinen oft als Hörspiele – für SRF, ARD, SWR, WDR, den Bayrischen Rundfunk. 2002 wurde «Der unfehlbare Professor» mit dem Prix Suisse, dem schweizerischen Oscar für Hörspiele, ausgezeichnet. Vor wenigen Wochen erhielt Walter Andreas Müller (Globi) für seine Interpretation von Sauters «Warte uf Bodo» einen internationalen Hörspielpreis.

Stichwort international. «Auf der anderen Seite des Rheins geht oft mehr als hier», sagt er. Ausstellungen in Deutschland, Stipendien als artist in residence in Irland, nächstes Jahr fünf Wochen in Venedig. Seine Collagen und Typografien, die zu Tausenden in einem Schubladensystem und 20 A4-Ordnern schlummern, würden ihm auf Hipster-Märkten in Berlin und Leipzig wohl für teures Geld aus der Hand gerissen. In Schaffhausen ist tote Hose. «Hier wollen sie Zuckerwatte fürs Hirn. Und von Vernissagen verspricht man sich in erster Linie einen ‹netten Abend›.» Sowas will Sauter nicht liefern. Knallbunt ausmalen sollen andere. Lieber druckt Fritz Sauter «Eklat im Stadtrat! Kleinwüchsiger ohrfeigt Zwerg» auf ein Hemd und freut sich diebisch, den impliziten Seitenhieb gegen Thomas Feurer und Raphaël Rohner in eine Gruppenausstellung über das «kleine Paradies» in der Galerie Mera geschmuggelt zu haben.

Dabei ist Sauter kein destruktiver Aktionist, es geht höchstens darum, Erwartungshaltungen zu stören. Das Festgelegtsein zu durchbrechen. Motto: Kunst muss stören. Auf Exemplaren der Basler National-Zeitung aus dem April 1945 druckt er derzeit über Headlines wie «Goebbels: Jedes Mittel recht und erlaubt» in grossen Lettern den Satz «Wir sind wieder hier!». Vielleicht soll Kunst auch mal verstören.

«Wann ist ein Bild, ein Gedicht fertig?», fragte ihn kürzlich eine SRF-Reporterin. «Wenn ich Hunger habe», antwortete Sauter. Jetzt, 20 vor 12 Uhr am Dienstagmittag, wird es dem Künstler zu heiss im Atelier. «Willst du mich rauswerfen?», fragt der «az»-Journalist. «Du kannst auch hierbleiben, aber ich gehe jetzt.»

***

«Poröse Passanten»
Die Vernissage von Fritz Sauters «Poröse Passanten» eröffnet am Mittwoch, 19. Juli, um 19 Uhr den Höflisummer in der Fassbeiz. Der Verein Fasskultur übernimmt für drei Wochen das Traditionslokal und lädt mit einem bunten Kulturprogramm und veränderter Getränke- und Speisekarte zu spannenden Sommerabenden (www.fasskultur.ch).