Wie ein Oktopus mit acht Säbeln: Gran Purismo gibt sich auf der EP «Limbus» so stachlig wie nie. Entstanden ist so ein grossartiger Appell an die Menschlichkeit. Denn Kapitulation ist keine Option. Niemals.
Gran Purismo, der Don, «den nicht mal Gott duzen würde» (GP über GP), der Capitano ohne Schiff, ist zurück an Deck. Mit dem Zweihänder. In bildgewaltiger Sprache holt er zu einem Rundumschlag aus, praktisch Oktopus mit acht Säbeln:
«Mírame yo sigo aquí / Sigo siendo yo / Soy el Public Enemy de este estado descerebraedo / Soy una discoteca mental a punto de reventarlo / Soy la cara B del disco que nunca te has comprado … en este carnaval / Todos van de igual»
Zu Deutsch: Ich bin der Public Enemy dieses hirntoten Staates, ich bin eine mentale Disco, die kurz vorm Implodieren ist, ich bin die B-Side der CD, die du dir nie gekauft hast. Aber, flucht Gran Purismo und spuckt aufs Deck, aber schau mich an: Ich bin immer noch da, bin immer noch ich selbst, auch jetzt, mit 36, mache ich weiter. Als einziger Vernünftiger im «Carnaval», diesem Umzug namens Leben. Wo alle dasselbe Kostüm tragen. Wo die Gleichheit regiert.
Diese Zeilen stammen vom Song «Carnaval», den Gran Purismo mit seinem Kumpel Attic Room vor Kurzem auf der EP «Limbus» veröffentlicht hat. Es ist ein zutiefst gesellschaftskritisches Album geworden, ein wütender Appell an den Humanismus. Ein Befreiungsschlag, verdichtet auf fünf Songs.
«Carnaval» steht für die Essenz der EP, für ihre Grundidee, gerade lyrisch. Der Sound klingt untypischerweise – halten Sie Ihr Toupet fest – nach Rock. Als hätten Zucchero und Limp Bizkit einen Typen namens Curt Cobain adoptiert, damals, als er noch halbwegs cool war mit dem Universum und dem ganzen Rest. Punkto Street Credibility und Aggressivität befinden wir uns auf Gangster-Rap-Niveau, der Text ist allerdings derart selbstironisch, dass es an Late-Night grenzt. Kurz: «Carnaval» ist wahnsinnig grossartig.
Wahnsinn, das passt zum Titel des Albums. «Limbus» – so nannten Theologen früher die Vorhölle, wo die verlorenen Seelen gefangen gehalten wurden, denen der Zugang zum Himmel ohne eigenes Verschulden verwehrt blieb. Auf Gran Purismos Welt bezogen, bedeutet das vermutlich: Hier landen alle einigermassen vernünftigen Zeitgenossen, Widerstand zwecklos in diesem versifften Diesseits.
Fast so wütend und brachial wie «Carnaval» klingt der Track «Babylon», eine Abrechnung mit den Weltreligionen. Gleichzeitig zeigt Gran Purismo, dass er auch das Subtile beherrscht, ohne an kritischer Dimension zu verlieren. Seine langsame, tiefe Stimme hallt im Dreampopsong «Y Vas» (übersetzt):
«In einer Kultur, die dir durch Strafe und Belohnung Schuld eintrichtert, umarme ich jeden Atheisten, der zur Geisel wurde … Aber da gibt’s auch uns: Die, welche den heiligen Vernünftigen in diesem Irrenhaus Gesellschaft leisten.
Wir, die Schwiegerväter des Teufels.
Wir, die im Vakuum der Vergessenen Räume erschaffen»
Dann, ehe der Song zu Ende ist, sieht man Capitano Purismo vor sich stehen, wie er den Säbel feierlich zurück in die Scheide steckt. Er schreitet vom Deck, wehende Fahnen im Hintergrund. Und dann begreift man: So läuft die Welt. Alles Narren ausser uns. Aber kapitulieren? Niemals. ¿Entendido?