Aus aktuellem Anlass: Alles zum Biber

21. Juni 2017, Mattias Greuter

Ein Biber beisst am Lindli in Schaffhausen arglose Schwimmerinnen und Schwimmer und füllt die Sommerlöcher der Medien von Zürich (20 Minuten) bis London (The Sun).
Aus aktuellem Anlass publiziert die «az» deshalb ihre Reportage über den Biber am Hochrhein vom 20. April. Wem das zu wissenschaftlich und zu wenig blutig ist, sei dieser Film empfohlen.

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Er baut, staut und erstaunt: Wie der Biber den Naturschutz unterstützt

Bei einem Spaziergang am Ufer oder einer Weidlingsfahrt auf dem Rhein ist es kaum mehr zu übersehen: Der Biber ist zurück. Angenagte und gefällte Bäume säumen die Ufer und zeugen untrüglich vom Schaffen eines der fleissigsten Architekten und Ingenieure der Tierwelt.
In vergangenen Jahrhunderten wurde der Biber gnadenlos gejagt. Man schätzte sein dichtes Fell, sein für Parfüm und Medikamente verwendetes Duftsekret, Bibergeil genannt, und nicht zuletzt sein Fleisch. Die katholische Kirche beschloss, der Biber oder zumindest sein Schwanz habe wegen der Schuppen als Fisch zu gelten und dürfe deshalb auch während der Fastenzeit gegessen werden. Vor zweihundert Jahren war das grösste Nagetier Europas in der Schweiz ausgerottet.

Ab den Fünfzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts wurde der Biber wieder angesiedelt und hat sich seither einen Teil seines Lebensraumes zurückerobert. Laut einer aktuellen Schätzung leben heute 2800 Exemplare entlang der Flüsse und Seen des Mittellandes. Am Rhein zwischen Untersee und Rheinfall entstanden vor rund zehn Jahren die ersten Biberbaue. «Seither wächst der Bestand», sagt Peter Hunziker, einer der «Rheinmacher», die im Auftrag des Kraftwerkes Uferrenaturierungen durchführen. Direkt neben seiner aktuellen Baustelle im Schaaren liegen zwei mächtige Weidenstämme, die unverkennbar ein Biber gefällt hat. Hunziker hat versprochen, der «az» das Zuhause des Nagers zu zeigen, und führt uns überraschenderweise vom Ufer weg, mehrere hundert Meter in den Wald hinein.

Noch vor wenigen Monaten hätte man hier nur ein kleines Bächlein gesehen. Doch dann kam ein findiger Wasserbauingenieur vorbei, und zwar einer mit scharfen Zähnen. Zuerst verstopfte er ein Rohr, das den Bach unter einem Kiesweg hindurchführte. Das Wasser begann zu steigen. Danach nutzte er sein scharfes Gehör, um alle Stellen zu identifizieren, an denen das Wasser noch abfliessen konnte. Er fällte zahlreiche Bäume, frass die Rinde und sammelte die Äste für seine Bautätigkeit. Das Ergebnis ist ein kleiner See mitten im Wald, mit stabilen und dichten Dämmen an mehreren Uferstellen. Im Zentrum wächst die Wohnung in die Höhe, eine Biberburg. Sie ist ein dicht verflochtener Haufen aus Ästen, ein unsichtbarer Eingang unter der Wasseroberfläche führt vermutlich zu mehreren Kammern auf verschiedenen Stockwerken. Im Mai wird man vom Ufer aus wohl das Fiepen der Neugeborenen hören.

Vielseitiges Werkzeug
Die Evolution hat den Biber mit einer ganzen Reihe von Anpassungen versehen, die seinen Lebensstil ermöglichen. Als semiaquatisches Lebewesen muss er sich vor Kälte schützen und hat dafür eines der dichtesten Felle im Tierreich entwickelt: Die Unterwolle besteht aus bis zu 23’000 Haaren pro Quadratzentimeter, hundertmal mehr als auf Menschenköpfen wachsen. Über der Unterwolle liegt das längere und dickere Deckhaar, eine Luftschicht dazwischen isoliert zusätzlich. Biber kämmen sich mit den Zähnen gegenseitig den Pelz und haben ein kleines Haarpflegeset immer dabei: eine Fettdrüse unter dem Schwanz zum Ölen und eine zweigeteilte Kralle an der Hinterpfote zum Kämmen.


Biberspuren im Scharen

Eine Spezialität des Bibers sind seine ­lebenslang wachsenden Nagezähne. Die orange Färbung an der Vorderseite ist auf Eisenablagerungen zurückzuführen. Dadurch ist der Zahn vorne härter als hinten, so dass er durch die ungleiche Abnutzung immer scharf bleibt. Das vielseitigste Werkzeug in Bibers Arsenal ist aber der flache, schuppige Schwanz. Im Winter ist er Fettspeicher und isolierendes Sitzkissen, im Wasser sorgt er für Auftrieb und dient als Steuerruder, am Ufer hilft er als Stütze beim Aufrechtstehen. Wer noch nie einen Biber gesehen hat, hat ihn vielleicht schon gehört: Droht Gefahr, klatscht der Biber mit dieser «Kelle» laut auf die Wasseroberfläche, um Artgenossen zu warnen. Ausgewachsene Tiere, sie werden 10 bis 15 Jahre alt, können über einen Meter lang werden (ohne Schwanz) und bis zu 30 Kilogramm schwer.

«Rheinmacher» Peter Hunziker zeigt Schädel und Fell eines Bibers

Die Biber am Rhein haben sich jedoch an den Menschen gewöhnt, sie scheinen zu wissen, dass sie von ihm nichts zu befürchten haben. Bei der URh-Werft schwimmt eine Biberfamilie aus einem nahe gelegenen Bau manchmal unter dem geschlossenen Tor hindurch, um in der Halle zu fressen, und zeigt dabei keine Schüchternheit. Einmal schichteten die frechen Besucher etwa zwei Kubikmeter Holz auf die Geleise der Werft, die nur mit Hilfe von Peter Hunzikers schwimmendem Bagger wieder befreit werden konnten. Während der Arbeit sieht Hunziker ab und zu einen Biber seelenruhig vorbeischwimmen, trotz Maschinenlärm und obwohl Biber laut Lehrbuch erst in der Dämmerung aktiv werden.


Eine der ersten Biberburgen am Rhein, 2003

Überhaupt kümmert sich Meister Bockert, wie der Biber in der Fabel heisst, wenig um die Weisheiten der Lehrbücher. Der Neuhauser Biologe Jakob Walter erzählt, junge Biber seien in seinen Garten eingedrungen und hätten zwei Bäume gefällt. «Ich habe sie mit dem Besen verscheucht und ihnen erklärt, so ganz ohne Erlaubnis gehe das natürlich nicht», sagt Walter lachend. «Und welche Bäume hat er umgetan? Ausgerechnet die einzigen Tannen im Garten, obwohl Biber laut Lehrmeinung kein Nadelholz mögen!»

Im Schaarenwald stellt Peter Hunziker fest, dass es keine Baumart gibt, vor der der Biber Halt macht. Am liebsten hat er Weiden, doch wenn er keine mehr findet, bringt er auch Föhren, Buchen und sogar Eichen trotz ihres besonders harten Holzes zu Fall. Und wie der Besitzer eines Weidlings in Büsingen kürzlich erfahren musste, knabbert der Nager auch mal intensiv an einer Bootswand. Die Hauptnahrung des Bibers sind die Rinde der gefällten Bäume sowie Knospen und junge Triebe. Wenn es Süsseres gibt, lässt sich der Biber jedoch nicht zweimal bitten: Er frisst auch Fallobst und die Früchte gefällter Obstbäume, oder er stiehlt, wie hier am Ufer der Biber (dänk!) Zuckerrüben von den Feldern.

«Absolutes Multitalent»
Der Biber ist neben dem Menschen das einzige Tier, das Gewässer staut, und kaum ein Lebewesen verändert seinen Lebensraum so umfassend wie der pelzige Baumeister. Wenn er einen Damm baut, entsteht am Fluss ein stilles Gewässer, das ihm dazu dient, sein Baumaterial auf dem Wasserweg leichter transportieren zu können. Ganz nebenbei entsteht im Flachwasser und auf feuchtem, mit neuen Nährstoffen versehenen Boden Lebensraum für eine Fülle anderer Lebewesen. «Wasserpflanzen und kleine Tiere profitieren vom Biber», sagt Peter Hunziker, «und wegen der gefällten Bäume kommt mehr Licht auf den Waldboden.» Der Forst- und Uferingenieur beobachtet die Rückkehr des Bibers mit Freude und Faszination – kein Wunder, handelt es sich doch gewissermassen um einen Berufsgenossen. Mit schwerem Gerät und in Tausenden von Arbeitsstunden renaturieren Hunziker und sein Team die Lebensräume am Ufer des Rheins. «Der Biber macht das gratis – und besser», sagt Bettina Sättele, die Biberbeauftragte für den Regierungsbezirk Freiburg (Baden-Württemberg).

Für Sättele ist die Bedeutung des Bibers als Verbündeter im Naturschutz kaum zu überschätzen. Er könne den Grundwasserspiegel erhöhen, die Heftigkeit von Hochwassern vermindern, die Vernetzung von Gewässersystemen fördern und die Auenlandschaften, die aus Mitteleuropa fast verschwunden sind, wiederherstellen. Davon würden Tausende von Pflanzenarten, Vögel und Kleintiere profitieren. Für diese schaffe der Biber sehr schnell neue Biotope, langfristig könne die vom Biber vorangetriebene Vernetzung von Lebensräumen auch die Rückkehr von Wildkatze, Luchs und Wolf unterstützen. «Der Biber ist ein absolutes Multitalent», sagt Bettina Sättele.

Das Wachstum der Biberpopulationen finde aber langsamer statt, als man angesichts der weit verbreiteten Spuren vielleicht meinen könnte. «Biber bringen nur einmal im Jahr zwei bis drei Junge zur Welt», erklärt sie. Bereits gebe es Anzeichen dafür, dass mancherorts eine natürliche Grösse des Bestandes erreicht sei. Biber sind sehr territoriale Tiere: Der Nachwuchs teilt sich mit den Eltern zwei Jahre lang den Bau und hilft bei der Aufzucht der nächsten Generation. Dann aber müssen sich die Halbstarken ein eigenes Revier suchen, was erklären könnte, warum ein Biber mitten im Schaarenwald statt am Rheinufer wohnhaft wurde. Bevölkerungsdruck kann zu heftigen Kämpfen führen: Sättele hat schon mehrere Biber gefunden, die von Konkurrenten zu Tode gebissen wurden, und auch der Umstand, dass vermehrt Biber von Autos überfahren werden, deute darauf hin, dass der Revierdruck gross sei. «Die Selbstregulierung des Bestandes ist beim Biber sehr stark», erklärt Sättele. Jagd mache deshalb wenig Sinn.

Wenn Biber wählen könnten …
Bettina Sättele weiss, warum sie das betont. In Baden-Württemberg schwelt ein Zwist innerhalb der grün-schwarzen Regierung. Das CDU-geführte Agrarministerium warnt vor den Schäden, die der Landwirtschaft entstehen können, und liebäugelt damit, den Biber zur Jagd freizugeben. Das grün dominierte Umweltministerium will hingegen weiterhin auf Bibermanagement setzen, die Kernaufgabe von Bettina Sättele. Ein CDU-Landtagsabgeordneter sorgte für einen medienwirksamen Höhepunkt der Diskussion, indem er ein Biber-Kochbuch veröffentlichte – es sei nur ein Faschingsscherz gewesen, wiegelte er später ab. Schliesslich entspricht der Biber, der lebenslange, monogame Beziehungen eingeht und in einem Dreigenerationenhaushalt lebt, ziemlich genau dem Profil eines CDU-Wählers.