Der Widerstand gegen den Kahlschlag bei der Post ist gross. Die Post versucht, die verärgerte Kundschaft durch individualisierte Angebote zu besänftigen. «Do it yourself» ist angesagt, bedeutet aber Job-Abbau.
Frau und Herr Schweizer sind grundsätzlich demokratiebewusst. Dass man aber bei einer Unterschriftensammlung fast überrannt wird, passiert dann doch ziemlich selten. Ausser man steht derzeit vor einer Poststelle. Die Unterschriftenbögen füllen sich wie von selbst. Die Leute rufen aus, schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und wollen, dass etwas geschieht: «Die Politiker sollen endlich was unternehmen», «das geht doch nicht, dass die Post überall schliesst!», «Wo sollen wir dann hin? Bis nach Zürich? Geht’s noch?!» Die Post, ihre Post, soll bleiben, darüber sind sich alle einig. Nur die Post selbst, die hat andere Pläne.
Im März dieses Jahres verkündete sie, in den nächsten Jahren schweizweit rund 600 Filialen schliessen zu wollen. Für den Kanton Schaffhausen heisst das, jede zweite Poststelle verschwindet. Die Standorte Hallau, Ramsen sowie Buchthalen und Breite in der Stadt Schaffhausen stehen vor der Schliessung, die Poststelle in Herblingen soll später folgen. Mit der Umstrukturierung spart die Post eine Menge Geld und reagiert gemäss eigenen Angaben auf Veränderungen im Verhalten der Kundschaft. Es gibt immer weniger Briefe, immer mehr private Anbieter wie DPD und DHL, und der Zahlungsverkehr erfolgt grösstenteils elektronisch.
2001 verfügte das Unternehmen noch über ein Netz von 3’500 Poststellen, vor rund zehn Jahren begann dann der grosse Abbau. Heute gibt es rund 1’400 Filialen, und bis ins Jahr 2020 sollen es nur noch 800 sein.
Alle lieben die Post
Das bewegt die Gemüter. Die SP Stadt hat in kürzester Zeit eine Petition mit mehr als 1’000 Unterschriften gegen die Schliessung der städtischen Filialen gesammelt, der Kantonsrat wird sich mit einem Vorstoss der Grünliberalen befassen, und nun sammelt eine überparteiliche Gruppe Unterschriften für eine kantonale Standesinitiative, die ein fünfjähriges Moratorium für Poststellenschliessungen verlangt. Nach nur drei Tagen haben die Initianten fast drei Viertel der nötigen Unterschriften zusammen.

Die Hallauer Post, wie man sie kennt, wird es bald nicht mehr geben.
Wen man auch immer fragt, niemand befürwortet die Schliessungen und niemand versteht, warum die Post die Umstrukturierung vorantreibt. In Buchthalen, wo die kleine Poststelle von 9 bis 11 und von 14 bis 18 Uhr geöffnet ist, fahren die Autos in Minutentakt vor, die Menschen gehen ein und aus. Ob Pensionär, Vater mit Kind, KMU-Betreiberin oder Ärztin, alle werfen Briefe ein, kaufen Marken, holen Päckchen und zahlen ein. Für sie ist wichtig, dass die Post nah ist.
Der Gang in die Stadt zur Hauptpost ist allen zu mühsam und vor allem Autofahrerinnen und Autofahrern ein Dorn im Auge: «Wo soll ich denn parkieren?», sagt eine junge Frau, die hastig aus dem Auto aussteigt, «ich habe nicht viel Zeit. Ich brauche hier im Quartier zehn Minuten. Wenn ich in die Stadt müsste, dann geht fast eine Stunde drauf. Unmöglich», meint sie bissig. Eine ältere Dame, nicht mehr ganz so gut zu Fuss unterwegs, ist gleicher Meinung: «In der Stadt muss man immer anstehen, das ist für mich zu anstrengend. Und hier kenne ich die Mitarbeiterinnen am Schalter und vertraue ihnen, schliesslich geht es ja um Geld.»
Mitarbeitende müssen schweigen
Fragt man die Mitarbeitenden der Post, was sie vom Abbau halten, winken sie höflich ab. Sie dürfen und wollen nichts sagen und verweisen an die Medienstelle des Unternehmens. Ob sie ihre Stelle behalten können, ist mehr als ungewiss. Die Post geht von einer Reduktion der Personalkosten in der Höhe von 30 Prozent aus. Wie viele Angestellte betroffen sind, will sie nicht beziffern. Gewerkschaften und Personalverbände sprechen von 1’200 Mitarbeitenden.
Ein Post-Mitarbeiter, zuständig für den Immobilienunterhalt, kommt mit einem gelben Lieferwagen angefahren, er hält sich weniger zurück: «Ach, ich sage, was ich will. Das, was jetzt passiert, ist ein Plan aus der Schublade. Die Privatisierung ist ja seit der Aufspaltung der PTT im Gange. Nur, die Leute wundern sich erst jetzt, dass es sie betrifft.» Angst um seinen Arbeitsplatz hat er nicht direkt, sagt er, aber sicher sei nichts mehr: «Mein Vater meinte früher, Post, Bahn und Polizei, da hast du fürs Leben ausgesorgt. Das ist schon lange nicht mehr so.» Aufhalten lasse sich der Prozess nicht, höchstens verzögern.
Auf dem Land wundert sich kaum noch jemand, viele Gemeinden haben ihre Poststellen schon vor Jahren verloren. Der Besuch bei der Post ist in ländlichen Regionen, wie dem Klettgau, fast ein kleiner Ausflug. Poststellen gibt es nur noch in Beringen und Hallau. Wer kein Auto hat und auf S-Bahn und Bus angewiesen ist, muss genau planen. Dass die Post den Standort Hallau schliessen will, bringt die Leute hier in Rage: «Für den Klettgau wäre das eine Katastrophe. Und dass es sich nicht rentiert, ist nicht wahr», meint eine erzürnte Kundin, «in Neunkirch gibt es auch schon keine Post mehr, für die älteren Leute ist das wirklich unzumutbar.» Eine weitere Passantin schüttelt nur noch den Kopf: «Wir sind nichts mehr wert, dünkt mich.»
Die Schliessung der Poststellen wird auf dem Land als Verrat empfunden. Die Bäckerei, der Metzger, der Coiffeursalon, die Schule: Was sich nicht lohnt, kommt weg. So auch die Poststelle. Auf der einen Seite steht die Bevölkerung, mit dem Bedürfnis nach ausgebauten Dienstleistungen, auf der anderen ein Unternehmen. Man will am Konzept des Service Public zwar festhalten, dass jedoch die Post – wie die Bahn und die Telekommunikationsgesellschaft – aufgrund der Liberalisierung und späteren Umwandlung in eine Aktiengesellschaft Gewinne schreiben muss, geht gerne vergessen.
Automatisierung als Lösung
Die Post will durch die Flexibilisierung des Angebots aus diesem Dilemma herauskommen. Sie wirbt mit dem Slogan «Wir sind da» und will durch individuelle Dienstleistungen die nötige Nähe zur Kundschaft schaffen: Online-Dienste werden ausgebaut, Briefmarken können via SMS gekauft werden, Einzahlungen können direkt beim Pöstler getätigt und Pakete und eingeschriebene Briefe am 24-Stunden-Automaten abgeholt werden. Die Postagentur – ein Mini-Postschalter in einem Laden – ersetzt weitgehend die traditionelle Poststelle. So soll es auch in Hallau sein, wie die Post gerade diese Woche bekannt gegeben hat.

Die neue Devise heisst: Selbermachen. In Wilchingen schon länger Realität.
Im Nachbardorf Wilchingen gibt es eine solche Postagentur. Sie befindet sich im Lebensmittelgeschäft Maxi. Die Agentur ist im Grunde genommen eine automatisierte Station, einem Billettautomaten oder einer Selbstbedienungskasse ähnlich, und erheblich günstiger als eine angestellte Person. Da erhalten Kundinnen und Kunden fast alle Post-Dienstleistungen, nur Einzahlungen mit Bargeld sind nicht möglich. Das Backoffice macht die Geschäftsführerin des Ladens, Vreni Häfliger, die für ihre Unterstützung, sollte jemand mit dem Automaten überfordert sein, grosses Lob bekommt: «Dass der Schalter während den Öffnungszeiten des Ladens zugänglich ist, macht vieles einfacher. Und wenn etwas nicht klappt, sind Frau Häfliger und ihre Mitarbeiterinnen sehr hilfsbereit» erzählt eine Kundin, die gerade ein Päckchen abschicken will. Häfliger selbst sagt, die Leute hätten sich an das System gewöhnt, nur, dass kein Bargeld überwiesen werden könne, ärgere die Kundschaft. Dass die Post immer mehr Standorte schliesse, sei bedauerlich, aber viel könne man dagegen nicht machen, findet sie: «Immerhin haben wir die Agentur.»
Der Service Public wird zum Self Service. Selbermachen ist deutlich günstiger, und die meisten gewöhnen sich daran. Nur, andere verlieren dabei ihren Job.