«Nachgeplapperte Binsen-Falschheiten»

18. Mai 2017, Romina Loliva
«Die KMUs leiden unter dem starken Franken, nicht unter der Dividendenbesteuerung.» Foto: Peter Pfister
«Die KMUs leiden unter dem starken Franken, nicht unter der Dividendenbesteuerung.» Foto: Peter Pfister

Im Abstimmungskampf um die Dividendenbesteuerung blickt die Zürcherin Jacqueline Badran über die Kantonsgrenze nach Schaffhausen und entlarvt die Steuermythen der Rechtsbürgerlichen.

Die Zürcher SP-Nationalrätin Jacqueline Badran nimmt kein Blatt vor den Mund: «So etwas habe ich selten gesehen. Die Abstimmungsbroschüre strotzt nur so vor Unwahrheiten, sie ist absolut irreführend.» Die Expertin für Steuerpolitik hat das Abstimmungsbüchlein zur Vorlage vom 21. Mai zur SP-Initiative «Keine Steuergeschenke an Grossaktionäre» unter die Lupe genommen und macht mit der «az» den Faktencheck. Ihr Fazit: Regierung, Kantonsrat und der rechtsbürgerliche Block argumentieren an den Tatsachen vorbei.

az Jacqueline Badran, die Gegner der SP-Initiative führen unterschiedliche Argumente ins Feld und behaupten, die Abschaffung der reduzierten Besteuerung von Dividenden sei äusserst schädlich. Was meinen Sie dazu?
Jacqueline Badran Das ist doch Blödsinn. Die Fakten zeigen ein ganz anderes Bild. Nur, die rechten Parteien und die Regierung verwirren die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Behauptungen. Immer wenn es um die Steuern geht, werden gern Märchen erzählt und Mythen verbreitet. Das ist bei der Dividendenbesteuerung in Schaffhausen auch der Fall. Steuern sind für KMUs zum grössten Teil irrelevant und machen nur einen minimen Teil der Kosten aus. Aber die Gegner wollen uns glaubhaft machen, dass die Steuern eine Bedrohung für Firmen seien. Das ist ideologisch motiviert.

Prüfen wir die Argumentation aus dem Abstimmungsmagazin. Leiden die KMUs unter einer hohen Steuerlast?
«Die Initiative trifft nicht speziell die Grosskapitalisten, sondern belastet insbesondere die Inhaber von in Form von GmbH oder AG geführten Familienbetrieben, also Handwerkerbetriebe wie Baugeschäfte oder Schreinereien und Dienstleister wie Bäckereien, Drogerien, Coiffeure usw. …» (Abstimmungsmagazin S. 8)

In der Schweiz machen KMUs mehr als 99 Prozent aller 570’000 privaten Betriebe aus. Ein Drittel davon sind keine Kapitalgesellschaften, also weder AGs, GmbHs noch Genossenschaften, und fallen schon mal weg. Von den restlichen zwei Dritteln weisen rund 185’000 Gesellschaften keinen Gewinn aus und zahlen daher keine Steuern. Ohne Gewinn kann keine Dividende ausgeschüttet werden, was wiederum heisst, dass für diese Unternehmen die Dividendenbesteuerung schlicht irrelevant ist. Weitere 117’000 haben einen Steuerbetrag von weniger als 10’000 Franken im Jahr und würden ebenfalls nicht unter einer Vollbesteuerung der Dividenden leiden. Was bleibt, sind rund 25’000 Unternehmen, also fünf Prozent, die schweizweit davon betroffen wären.

In Schaffhausen rechnet die SP selbst mit maximal 500 Betroffenen …
… und der Quartierbeck und die Drogerie um die Ecke sind sicherlich nicht betroffen. Es sei denn, es handle sich um eine Kette. Die KMUs haben also absolut nichts zu befürchten. Sie profitieren nicht vom reduzierten Steuersatz und würden auch keinen Schaden nehmen, sollte dieser erhöht werden.

Es heisst auch, die Investitionen würden verhindert.
«Die zurückbehaltenen Gewinne werden betriebswirtschaftlich nicht ideal eingesetzt, Investitionen werden verhindert.» (S. 4)

Das Gegenteil ist der Fall. Investiert wird, wenn das Geld in der Firma bleibt und nicht ausgeschüttet wird. Das ist ja wohl logisch. Ausgeschüttete Dividenden sind für die Firma verloren. Bleibt der Gewinn im Betrieb, wird er für Erneuerungen, zur Reserve oder für eine neue Infrastruktur eingesetzt. Wie man das Gegenteil behaupten kann, ist mir ein Rätsel. Und zu glauben, dass Geldanlagen an der Börse Investitionen seien, ist nur naiv.

Wie steht es um die Innovation? Die Gegner behaupten, die Erhöhung der Steuer sei Start-up-feindlich.
«Die Reduktion der Steuerlast auf Dividenden hat das Risikokapital entlastet und Investitionen angekurbelt, was insbesondere den Jungunternehmen dient.» (S. 5)

Ja, die Start-ups. Es wird immer wieder behauptet, dass diese dann ausgebremst würden. Das ist widersinnig. Ein Start-up schüttet keine Dividenden aus, es verbrennt Geld, um überhaupt funktionieren zu können. Bei einem Start-up geht es um den Wert der Firma, nicht darum, wie viel Gewinn es schreibt. Die Besteuerung der Dividenden hat gar nichts mit Start-ups oder mit Innovation zu tun.

Die sogenannte Doppelbelastung der Dividenden, ist sie nicht ungerecht?
«Weil die Gewinne erst beim Unternehmen selbst besteuert werden und dann noch einmal bei der Gewinnausschüttung, entsteht eine Doppelbelastung.» (S. 2)

Erstens ist die Doppelbelastung aufgrund der tiefen Gewinnsteuern fast verschwunden. Zweitens – und ich wiederhole mich gerne – nur fünf Prozent aller Unternehmen in der Schweiz schreiben überhaupt Gewinne, so dass sie Dividenden ausschütten können. Es ist der Lohnfranken, der nicht nur doppelt, sondern mehrfach besteuert wird.

Warum?
Vom Bruttolohn zahlt man zuerst Sozialabgaben und dann Einkommenssteuern. Wird der Lohnfranken ausgegeben, fallen Mehrwertsteuer, Zölle und sonstige Abgaben wie Mineralöl- oder Tabaksteuern an. Wird er gespart, zahlt man Vermögenssteuern. Zudem: Das Kapital wurde laufend entlastet und der Lohnfranken, also das, wovon die allermeisten leben, immer mehr belastet. Die Leute wissen das nicht mal. Wir zahlen Mineralölsteuern in der Höhe von fünf Milliarden Franken jährlich! So viel wie alle privilegierten Unternehmen an Steuern überhaupt. Das Missverhältnis ist massiv.

Die Gegner prognostizieren für Schaffhausen schlechte Zeiten. Der Kanton würde sich ins Abseits manöv­rieren.
«Bei einer Annahme der Initiative würde der Wirtschaftsstandort Schaffhausen zu einer Unternehmerhölle.» (S. 3)

Ach herrje. Im Gegenteil, Schaffhausen würde einen Schneeballeffekt auslösen. Wir brauchen ja eine Gegenfinanzierung, weil wir die Steuerprivilegien aufgeben müssen. Die Geschenke, die man den Unternehmen in den letzten zwanzig Jahren gemacht hat, müssen abgeschafft werden, weil es unsäglich ist, Lohn x-fach zu besteuern und das Kapital weiter zu entlasten. Aber die Gegner tun so, als hätte es die Abstimmung über die USR III nicht gegeben. National ist die Erhöhung der Dividendenbesteuerung auf mindestens 80 Prozent quasi unter Dach und Fach. Wenn die Initiative in Schaffhausen angenommen würde, dann würden viele Kantone nachziehen.

Zuletzt wird befürchtet, dass die Firmen abwandern könnten.
«Inhaber würden zur Steueroptimierung in den Nachbarkantonen Wohnsitz nehmen.» (S. 3)

Jaja, bei kantonalen Steuererhöhungen würden die Unternehmer den Kanton wechseln, bei nationalen würden sie ins Ausland abwandern. Klar, der Quartierbeck packt seine Sachen und zieht in den Kanton Zürich. Hoffentlich merkt er vorher, dass er das gar nicht muss, weil er ja gar keine Aktiengesellschaft ist und es damit irrelevant ist, wo er wohnt. Es ist doch nur Angstmacherei. Die KMUs haben andere Probleme. Sie müssen ihre Lohnsummen finanzieren und leiden unter dem starken Franken, nicht unter der Dividendenbesteuerung. So einfach ist das.

Was ist Ihr Fazit?
In unserem pseudoökonomischen Denken haben sich nachgeplapperte Binsen-Falschheiten breit gemacht. Das, was im Abstimmungsbüchlein steht, ist nicht nur ein bisschen falsch, es ist total falsch, verkehrt und unwahr. Eigentlich wäre es eine gute Grundlage für eine Stimmrechtsbeschwerde. Aber grundsätzlich müssen die Menschen verstehen, dass man ihnen etwas vormacht und dass für jeden Franken weniger Steuern für die Grossaktionäre die Bürgerinnen und Bürger das x-Fache daraufzahlen.