Bis zum 31. März konnten sich Schweizer Museen beim Bund um Fördergelder bewerben. Das Museum zu Allerheiligen hat die Deadline verpasst – und somit die Chance auf über eine Million Franken.
Was Katharina Epprecht am Montag sagte und was sie am Dienstag schrieb, widerspricht sich diametral.
Am Montag spricht die Direktorin des Museums zu Allerheiligen am Telefon von einer «Frist», die sie «verpasst» habe, von einer «verpassten Chance». Sie wirkt angespannt und empfiehlt der «az», von einer Berichterstattung abzusehen.
Am Dienstag erklärt sie sich schriftlich und nennt durchaus nachvollziehbare Gründe für ihr Handeln. Oder eben Nichthandeln.
Aber blicken wir erstmal ein wenig zurück: Der Bund hat beschlossen, seine Museumsförderung anzupassen. Bis anhin entschied er allein, welche Museen er mit «Betriebsbeiträgen» unterstützte und welche nicht. Änderungen gab es praktisch keine. Wer einmal Beiträge erhielt, erhielt sie wieder und wieder. Jahr für Jahr.
Für diese teils etwas willkürlich privilegierten Institutionen kam die Ankündigung des Bundesamtes für Kultur (BAK) einer Zäsur gleich. Andere Museen, die wie das Museum zu Allerheiligen bisher keine Bundesgelder erhalten hatten, witterten eine grosse Chance.
Das BAK kündigte nämlich an, dass sich Museen künftig um Subventionsgelder bewerben müssen. Der Bund stützt sich auf eine neue Verordnung, welche eine Reihe von Voraussetzungen definiert, die die Museen erfüllen müssen, um tatsächlich Betriebsbeiträge zu erhalten. Und die Verordnung nennt eine Deadline, um Gelder für die Periode 2018–2022 zu beantragen: den 31. März 2017.
Es ist diese Frist, die Katharina Epprecht und das Museum zu Allerheiligen offenbar verpasst haben. Doch was bedeutet das nun?
Mindestens 1 Million Franken
Das Bundesamt für Kultur bestätigt auf Anfrage der «az», dass vom Museum zu Allerheiligen kein Gesuch eingereicht worden ist. Und dass es keine Möglichkeit gebe, ein solches nachzureichen. Die Beträge, welche der Bund den einzelnen Museen zuspricht, können sich sehen lassen. Die Förderbeiträge von Kanton und Gemeinde werden aufgedoppelt. Mindestens erhalten die Institutionen aber 250’000 Franken pro Jahr, maximal 30 Prozent ihres Gesamtbudgets. Bei Budgets von mehreren Millionen Franken erhielten Museen in der Grössenordnung des Allerheiligen für die gesamte Periode 2018–2022 im Minimum eine Million Franken vom Bund. Vorausgesetzt, ihr Gesuch wird vom Bund bewilligt.
Die neue Förderpolitik ist kein Blanko-Scheck für die Museumslandschaft – im Gegenteil. Der Fördertopf wird damit gar verkleinert. Fünf Millionen Franken enthält er, und davon wird ein kleiner Teil gar noch für weitere Förderzwecke abgezogen. Gemäss BAK haben sich 35 Museen um Betriebsbeiträge beworben. Die BAK-Chefin, Isabelle Chassot, hat in einem Interview gesagt, sie habe mit rund 50 Bewerbungen gerechnet. Ob das Museum zu Allerheiligen auch dazu gehört, will das BAK auf Anfrage nicht sagen.
Jedenfalls stehen die Museen untereinander in Konkurrenz um die Mittel. Und die Förderkriterien des Bundes haben es in sich.
Die Museen müssen etwa über eine «gesamtschweizerisch bedeutsame Ausstrahlung und Qualität» verfügen. Sie müssen «für das kulturelle Erbe der Schweiz bedeutsam» sein, über eine «einzigartige Sammlung von hohem kulturellen Wert» verfügen und «innovative und vielfältige Vermittlungsarbeit» leisten.

Museumsdirektorin Katharina Epprecht wusste wohl nichts von ihren Möglichkeiten. Foto: Peter Pfister
Ein schlechter Zeitpunkt
Hier setzt Katharina Epprechts Erklärung vom Dienstag an. Sie schreibt, dass ein neues Vermittlungskonzept erarbeitet werden müsse. Erst auf Anfang 2017 sei der Stellenetat in der Kulturvermittlung verdoppelt worden. Ausserdem werde das Museum bis Frühling oder Sommer 2018 eine Museumsstrategie-Vorlage zuhanden des Grossen Stadtrates vorlegen, welche auch ein Betriebskonzept beinhalte. Deshalb sei die Voraussetzung für eine seriöse Antragstellung derzeit nicht gegeben, der Zeitpunkt sei «verfrüht».
Das klingt schlüssig. Allerdings: Das neue Förderkonzept des Bundes liegt nicht erst seit gestern auf den Schreibtischen. Das neue Programm und seine Inhalte wurden über Jahre erarbeitet und im Nationalrat diskutiert. Im Dezember 2016 wurde die Verordnung offiziell verabschiedet.
In Anbetracht des langen Vorlaufs und der Fördersumme von insgesamt mindestens einer Million Franken pro Institution steht die Frage im Raum, ob es schlüssig ist, wegen eines «verfrühten» Zeitpunkts auf eine Bewerbung zu verzichten.
Diese Frage braucht man sich jedoch nur zu stellen, wenn man davon ausgeht, dass Katharina Epprecht das Dafür und Dawider einer Bewerbung tatsächlich sorgfältig abgewogen hat.
Angesichts des Gesprächs vom Montag, als die Direktorin nicht wusste, worüber die «az» mit ihr reden wollte und dann selbst von einer «verpassten Chance», einer «verpassten Frist» sprach, ist wahrscheinlicher, dass das neue Förderkonzept beim Museum zu Allerheiligen schlicht nicht auf dem Schirm war.
Gerade nochmal Glück gehabt
Da das Museum kein Gesuch gestellt hat, wird auch nie eindeutig klar werden, ob das Allerheiligen vom Bund Fördermittel bekommen hätte. Die einen Förderkriterien sind hart und unmissverständlich formuliert, andere sind eher schwammig.
Ein BAK-naher Experte, der das Förderkonzept eingehend studiert und diskutiert hat und das Museum zu Allerheiligen wie auch die Schweizerische Museumslandschaft bestens kennt, wagt eine Einschätzung. Er glaube nicht, dass das Museum zu Allerheiligen grosse Chancen gehabt hätte, Betriebsbeiträge zu bekommen. Er spricht aber – anders als Katharina Epprecht – nicht von einem mangelhaften Vermittlungskonzept. Er sagt, der Fokus des Museums sei wohl unter dem Strich zu wenig national. «Die Hauptausrichtung des Allerheiligen liegt auf der Region.»
Insofern wäre das Museum mit der verpassten Bewerbung gerade nochmal glimpflich davongekommen.
Kulturreferent Raphaël Rohner, der politische Vorgesetzte von Katharina Epprecht, sagt gegenüber der «az», er finde Katharina Epprechts Erklärungen plausibel. Aber die Angelegenheit sei natürlich wichtig. Er werde der Direktorin sagen, dass solche Dossiers künftig über seinen Schreibtisch gehen müssten.
Jetzt sollte man im Museum nur noch wissen, dass solche Dossiers überhaupt existieren.
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Kommentar: Warum hat niemand Bescheid gewusst?

Marlon Rusch über den dünnen Draht nach Bundesbern.
Es scheint, als wären das Museum zu Allerheiligen und seine Direktorin gerade nochmal mit dem Schrecken davongekommen. Nicht auszudenken, welch kalter Wind Katharina Epprecht entgegengeweht wäre, wenn man beweisen könnte, dass dem Museum wegen ihres Versäumnisses eine Million Franken durch die Lappen gegangen wären.
Für Epprecht ist es wohl ein Schuss vor den Bug. Künftig wird sie doppelt und dreifach nachfragen, sich informieren und kaum mehr je eine solche Frist verpassen.
Die Affäre taugt aber auch noch für einen weiteren Lerneffekt. Während der Recherche zu dieser Geschichte sprach die «az» etwa mit SP-Nationalrätin Martina Munz, die in der Kulturkommission einsitzt. Sie sprach mit dem städtischen Kulturbeauftragten Jens Lampater und mit dem Kulturreferenten Raphaël Rohner. Sie alle wussten – wie vermutlich auch Katharina Epprecht – nichts von der neuen Museumsförderung des Bundes und den neuen Möglichkeiten. Dies, obwohl das Museum zu Allerheiligen der Stadt Schaffhausen gehört.
Darf das sein?
Vielleicht zeigt die Affäre sinnbildlich, wie wenig sich die kommunalen Vertreter dafür interessieren, was im fernen Bundesbern ausgehandelt wird. Vielleicht müssten sie öfters über den regionalen Tellerrand schauen, sich aktiv informieren und nicht darauf warten, vom Bund informiert zu werden. Der Experte, mit dem die «az» gesprochen hat, sagt klar: «Das BAK geht von einer Holschuld aus.»
In Bundesbern hat niemand auf Schaffhausen und sein Museum gewartet. Das BAK wirft nicht mit Geld um sich. Man muss es sich verdienen. Dazu gehört es, zu lobbyieren, Interesse anzumelden, präsent zu sein, sich gegenseitig zu informieren und auf Opportunitäten aufmerksam zu machen.
Darf es sein, dass die zuständigen Stellen argumentieren, sie hätten nicht davon gewusst?
Ich finde: Nein.