Chrisi mag kein Theater

8. Mai 2017, Marlon Rusch
Der Rasa-Kopf vor der studioeigenen Mediathek.

Geld hat ihn nie interessiert. Dennoch wurde er Banker. Daneben hat Christoph «Chrisi» Schmid die alternative Schaffhauser Musikszene über Jahrzehnte geprägt wie kaum ein Zweiter. Nun wurde er mit dem Walther-Bringolf-Musikpreis geehrt.

Dienstagmorgen, 10 Uhr, ein schlaksiger Mann im Kapuzenpulli hat sich mit Kaffeetasse auf ein sonnengeküsstes Ledersofa gefläzt und streckt sich ausgiebig durch. Mit seiner Band, dem «Lo Fat Orchestra», hat er am Samstag im Cardinal eine neue Platte begossen. Und am Sonntag im Zürcher Transit gleich nachgelegt. Ganz ohne Spuren geht so was an einem Mittvierziger nicht mehr vorbei. Auch nicht, wenn er Chrisi Schmid heisst und so viele Konzerte gespielt und organisiert hat wie sonst wohl keiner im Städtli.

Am Samstag, zwei Stunden vor der Plattentaufe, hat Schaffhausen für einen kurzen Moment seine Scheinwerfer auf Chrisi gerichtet. Per offizieller Medienmitteilung war zur Preisverleihung im Cardinal geladen worden. Stadtrat Raphaël Rohner betrat die Bühne, sagte ein paar lobende Worte und verlieh Schmid den 5’000 Franken schweren Walther-Bringolf-Musikpreis. Applaus, Applaus. Chrisi lächelte. Die Tageszeitung berichtete. Und als die «az» am Dienstagmorgen für einen Besuch ins Rasa-Studio kommt, fragt Schmid: «Und jetzt meint ihr, ihr müsst auch noch was ­schreiben?»

Kein Unterton in seiner Stimme. Und doch fragt man sich unweigerlich: Hat es wirklich diesen Preis gebraucht, um mal etwas genauer hinzusehen, was der Mann eigentlich tut, was ihn antreibt, dort, wo nur die wenigsten hinsehen?

Für solche Orte, wie sie Chrisi Schmid besetzt, wurde der Begriff «Nische» geschaffen. Heute, nachdem das Bakom die Subventionsgelder für alternative Radiosender erhöht hat, sind sie manchmal zu dritt oder gar zu viert im Rasa-Studio. Früher, erinnert sich Chrisi, war er hier oft tagelang allein. Hat als Musikredaktor und später auch als Geschäftsführer und Betriebsleiter den Laden geschmissen. Viele haben das nicht mitbekommen. Viele rümpfen die Nase, wenn sie beim Sendersuchen mal ein paar Sekunden zu lange auf 107,2 MHz hängenbleiben. Die Songs, die Chrisi Schmid und sein Team über den Äther jagen, kommen meist aus dem Untergrund. Oder sie sind ihrer Zeit voraus.

Gegen den Einheitsbrei

Im Öffentlich-Rechtlichen hüten sie sich, solche Lieder zu spielen. Lieder, die vielleicht nicht drei Minuten dauern, die vielleicht das Hit-Gen vermissen lassen. Die das verwöhnte Ohr beim ersten Hören drangsalieren. Für Chrisi Schmid ist das unverständlich: «Als Radiosender musst du deine Hörer auch erziehen, sie herausfordern», ist er überzeugt. Wenn die Leute immer dasselbe hörten, gefalle ihnen das Neue, das Unbekannte irgendwann nicht mehr. Sie seien irgendwann nicht mehr bereit, über den Tellerrand zu hören.

Musikalische Horizonterweiterung. Was Chrisi Schmid ein Jahrzehnt lang im Radio getan hat, tat er bereits viele Jahre zuvor als Booker. Über 300 Konzerte hat er in 20 Jahren veranstaltet. Angefangen 1995 in der Fassbeiz, wo er über den Service reingerutscht ist: «Das Fass war damals super, Genossenschaftsbeiz, tiefe Preise, die Kantischüler kamen über Mittag Suppe essen. Aber auch die Büezer waren da. Sie alle wollten Musik hören.»

Also hat im er im Fasskeller Konzerte organisiert. Die Kids haben nach Ska gerufen, und man habe ihm nahegelegt, unbedingt Ska auf die Flyer zu schreiben. Der Keller wäre automatisch gefüllt gewesen. Doch Chrisi hat sich mehr für japanischen Grimecore interessiert und holländische Avantgarde-Bands nach Schaffhausen geladen. Die haben oft gerade mal eine Handvoll Leute angelockt. Dafür hat er dann meist auch keine Stunden aufgeschrieben. Lange war ihm egal, dass das Portmonnaie oft schon Mitte Monat leer war. «Aber ’99 war ich richtig pleite.» Also ging der gelernte Kaufmann zur Kantonalbank, um die Wertschriften von Geschäftskunden zu betreuen.

Das sei lange gutgegangen, obwohl man ihm schon zu verstehen gegeben habe, er sei halt doch nicht einer von ihnen, er sei nicht so der Bankertyp. Dafür gab es eine topmoderne Informatik-Infrastruktur, die sich nebenher auch gut fürs Booking-Business nutzen liess.

«Ich war der Einzige, der während sieben Jahren nie eine Lohnerhöhung gekriegt hat», sagt Chrisi. Wirklich gestört habe ihn das eigentlich nicht. Aber als sie ihm gesagt hätten, er solle beim Kontakt mit den Geschäftskunden «mehr Theater» machen, habe er dafür wenig Verständnis gehabt. «Theater machen», sich anbiedern, für sich werben – das ist nicht die Welt von Chrisi Schmid. Bald folgte, Formsache, ein Streit mit dem neuen Chef, der schliesslich eskalierte. «Niemand stand hinter mir.» So endete im Jahr 2006 das Intermezzo in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft – Chrisi ging wieder servieren.

Die Krux mit der Gesellschaft

Die Karriere als Booker ging weiter. Zwischendurch fast jede Woche ein Konzert im neu gegründeten TapTab. Schaffhauser Musiker wie «Min-King»-Sänger Philipp Albrecht, der Chrisi Schmid auch für den Walther-Bringolf-Preis vorgeschlagen hat, erinnern sich, dass sie irgendwann gemerkt hätten, dass fast alle Konzerte, die sie in ihrer Jugend gehört und abgefeiert haben, ohne Chrisi nie stattgefunden hätten.

Dieser erzählt, er habe aufgeatmet, als irgendwann der spätere «Lo Fat»-Mann Roman Stäheli aufgetaucht sei und auch Konzerte veranstaltet habe. So habe er nicht mehr immer in die Hosen steigen müssen. Solche Aussagen könnten verwundern, schliesslich hat ihn ja nie jemand dazu gezwungen. Sie zeigen aber auch: Da erzählt einer nicht von seinem Hobby, sondern von seiner Berufung. Und vielleicht auch ein wenig von seinem ganz persönlichen Kampf.

 

Der städtische Kulturbeauftragte, Jens Lampater (links), und Stadtrat Raphaël Rohner (rechts) beglückwünschen Preisträger Chrisi Schmid. Foto: Peter Pfister

«Papst und Abstinenzler» singen auf ihrer neuen Platte: «Und de Chrisi seit, d Gsellschaft isch tschuld, mir sind nid so gebore.» Sei es in seinen Songs, sei es im Gespräch, Gesellschaftskritik ist bei Chrisi nie weit. «Manchmal bin ich halt hässig», sagt er. «Sauhässig.» Dann müsse er Dampf ablassen. Er sei kein Freund von Europa, da gehe es nur ums Geld, nicht um den Frieden. Man müsse kleiner denken. Klein, lokal, Fass, TapTab, Rasa, das passt ins Schmid’sche Weltbild. Das rege an, eröffne Möglichkeiten. So begann auch Chrisis Karriere als Musiker.

Als er im Fass serviert habe, seien 1996 ein paar Jungs bis spät in die Nacht sitzen geblieben und hätten ihn nach viel Bier gefragt, ob er als Schlagzeuger bei ihnen einsteigen würde. Vorher habe er zwar nie Schlagzeug gespielt, aber so was soll ja kein Hinderungsgrund sein. Die «Surf­angles» gab es bis zum Millennium. Daneben interpretierte Chrisi ab ’98 mit «Dolores» Hank-Williams-Songs neu. Später übernahm er für ein paar Jahre den Bass bei «Quince».

Doch schon vorher, 2005, gründete Chrisi seine eigene Band, das «Lo Fat Orchestra». Dort amtet er als Sänger und Organist, schreibt Songs, komponiert. Das New-Wave-Trio wird in der Szene in halb Europa umjubelt. Der Durchbruch schien wiederholt zum Greifen nah. Aber irgendwie hat’s nicht sollen sein. «Wir haben es nie so richtig bei den Eiern gepackt», sagt Chrisi nachdenklich. Er, der immer wieder zweifelt, der lange überlegt, bevor er spricht, der immer wieder das Dafür und das Dawider abwägt. Der sich auch nach Jahrzehnten im Geschäft immer wieder fragt: «Wer will das überhaupt hören?» Um danach irgendwo in einem Keller in einer deutschen Grossstadt von einer frenetischen, mitsingenden Meute die Antwort zu bekommen.

Doch Durchbruch bedeutet, sich zu vermarkten. «Theater zu machen.» Überall ein bisschen übertreiben. Philipp Albrecht sagt: «Lo Fat kommt rum, ist angesagt, bleibt aber immer bei sich. Die machen lieber gute Musik als grosses Tamtam. Und sie machen es mit ganz viel Liebe.» Und Chrisi selbst sagt: «Es ist gut, wie es ist. Wenn man oben ist, kann man auch wieder tief fallen.»

Und jetzt waren also diese Scheinwerfer auf ihn gerichtet, und aus der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft kam dieser Check. Und Chrisi hadert. Das sei ja schon schön, dass Untergrundkultur gewürdigt werde. Aber Subventionen seien so eine Sache. «Eigentlich wollen wir solche Gelder ja nicht. Die wären besser angelegt, wenn man neue Kulturräume schaffen würde.»

Handkehrum: Vor einem Monat ist Chrisi Vater geworden. Er arbeitet jetzt 80 Prozent im Rasa, muss Geld verdienen. Und eigentlich, so sagt er, sei er auch ein wenig versöhnlicher geworden mit der Welt, «etwas vernünftiger». Er lacht.