Weisst du, die Asylanten

2. Mai 2017, Kevin Brühlmann
Debattieren kann frustrierend sein, ist aber Pflicht. Denn das Internet stellt kaum Fragen. Foto: Peter Pfister

Nach vielen Jahren trifft unser Autor zufällig auf Marco, einen Jugendfreund. Marco findet es gut, dass sich Albaner gegenseitig abknallen. Und hasst es, wenn Asylanten Bier saufen. Was also tun? Ärmel hochkrempeln, zusammen an einen Tisch sitzen und nüchtern Fragen stellen.

Do händ sich die Richtige verschosse, sagt Marco, ein Hauch von Bier umgibt ihn. Er lächelt, hellblaue Unschuld liegt in seinen Augen.
Marco ist Mitte zwanzig, sieht aber jünger aus, wie ein Lausbube, dessen Körper ohne Zustimmung des Verstands gewachsen ist.
Ich sage dir, wiederholt Marco, do händ sich die Richtige verschosse.

Warten vor der Schaffhauser Bahnhofshalle. Es ist Samstagabend im März, der FC Schaffhausen hat nur 2:2 gegen Le Mont Lausanne gespielt, verdammte Rus­sen!, lacht Marco. Er holt sich eine Packung Dosenbier, Quöllfrisch. Es geht in den Ausgang.
Serbokroatische Wortfetzen vor der Treppe, die zur Bahnhofshalle führt, Marlboro und Billigbier in der Luft, Jugendliche grüssen sich lässig. Hajde bra!

Trainerhosen.
Marco rümpft die Nase.

Solange sie uns in Ruhe lassen, sollen sie doch. Ich sage, da in Basel hat es die Rechten getroffen, ist mir auch scheissegal, solange sie uns Schweizer in Frieden lassen.
Er nimmt einen Schluck Bier und läuft über die Bahnhofstrasse.

Einen Tag zuvor titelt der «Blick»: «Doppelmord in Basler Bar: Die Opfer sind Albaner!» Auch der Täter soll Albaner sein, schreibt das Blatt, der Barbesitzer stamme aus Mazedonien, und «die Rollläden des Lokals, das sonst bereits um 5.30 Uhr die Tür öffnet, sind unten».

Marco sagt, gut, dass es Albaner waren, ich bin eben ziemlich rechts, weisst du, so sehe ich das Ganze, und du schaust das anders an, aber so bin ich aufgewachsen.
Ich bin halt kein Gschtudierter.
Hellblaue Unschuld.

In der Pfadi hat er Leopard geheissen, elegant, schlau, mutig, voller Tatendrang. In der Schule verhielt es sich andersrum, da fehlte, egal, ob in der Primarstufe oder später in der Realschule, der Elan. Seine Interessen waren einseitig verteilt.

Ich bin halt ein dummer Mensch.

Zwei Hände braucht der Mann, pflegte Marcos Vater zu sagen, zwei aufmerksame Söhne zuhause am Küchentisch im Dorf,  250-Seelen-Gemeinde im Hinterland des Kantons. Landwirtschaft, Forstmaschinen und Sägerei. Vater: Jeder ist seines Glücks Schmied.

 

Marco sagt, gut, dass es Albaner waren, ich bin eben ziemlich rechts, weisst du, so sehe ich das Ganze, aber so bin ich aufgewachsen. Ich bin halt kein Gschtudierter.

 

Weisst du, die Asylanten, ich sehe es bei uns im Dorf, wir haben ja auch welche.
Marco sitzt an einem Glastisch in der Altstadt, Rechaudkerzen, kalte Wärme. Er stützt die Ellbogen auf die Knie, das Kinn auf die Hände.

Was mich an Ausländern stört? Ich habe nichts gegen Ausländer.

Die Asylanten erhalten alles geschenkt, sagt Marco, Essen, Kleider, Velos, und tun dafür nichts, und ich, und wir, meine ich, wir Schweizer schaffen den ganzen Tag lang, und dann sehe ich die Asylanten auf dem Veloweg auf meinem Heimweg, wie sie Bier trinken, und die Leute haben noch nicht mal Feierabend.
Probleme haben wir keine mit den Asylanten, sagt Marco. Sie sind easy bei uns, aber sie schaffen nicht, sind faul. – Sie dürfen ja nicht schaffen, du hast recht, dafür können sie nichts. Aber sie sollten etwas tun, was, weiss ich auch nicht, auf dem Bau vielleicht.

Marco blickt auf.

Aber das wollen die Neger ja nicht, Entschuldigung, Neger soll man ja nicht mehr sagen.

Also gut, nehmen wir an, sie wollen, wie du es sagst, dann muss man dafür schauen, dass sie sofort eine Büez finden, und sonst? Klar, auch unsere Sprache sollen sie lernen. Aber das muss organisiert werden, stimmt.
Und was ist mit der Kriminalität, fragt Marco, ich meine, wenn sie uns angreifen, den Sprenggürtel um und so, es kommen so viele Verbrecher zu uns.
In Ordnung, sie müssen Arbeit finden. Aber sonst sollen sie wieder gehen.

Ich sehe es bei meinem Vater.
Was ich sehe, fragst du, naja, dass es meist Ausländer sind, die Sachen klauen. Mein Vater arbeitet bei einem Supermarkt.
Sie haben oft miese Jobs oder auch keine, vielleicht liegst du richtig, aber man sollte nicht stehlen.

Auf dem Pausenplatz, beim Betonmäuerchen hinten neben der 100-Meter-Bahn, Löwenzahn im Grauen, hier stand Marco jeweils mit seinen Freunden aus der Realschule. Komm schon, probier mal einen Schluck, hat er gesagt, den Wodka hab ich von meinem Vater stibitzt.

Marco hat sich nie geprügelt.
Marco war immer hilfsbereit.
Mit Marco konnte man viel lachen.
Alle mochten Marco.

Marco läuft durch die Schaffhauser Altstadt, sein Atem kondensiert in der Kälte, weisse Nebelschwaden über den Pflastersteinen. Ob du’s glaubst oder nicht, sagt er, ich arbeite selber mit solchen zusammen, ich bin Lebensmitteltechnologe.
Mit Ausländern, meine ich, in der Küche.
Ich habe nichts gegen meine Arbeitskollegen, es geht mir mehr ums Allgemeine.

Marco kehrt in einer Chnelle ein, dröhnende Musik drangsaliert das Trommelfell, die Aschenbecher im Raucherbereich werden alle fünf Minuten säuberlich geleert.

Fachprüfung in der Lebensmitteltechnologie, die habe ich gemacht, sagt Marco, du musst aufpassen, gerade mit den Ausländern, sonst gehst du plötzlich stempeln.
Wir sollten zuerst auf uns schauen.
Marco bestellt einen Whiskey-Cola.
Wir haben selber schon genug Arbeitslose und Asoziale. Das sind arme Teufel.

Marco sagt, ich schaue immer, dass ich die Region unterstütze, ich gehe am Wochenmarkt einkaufen, Gemüse, Fleisch, Käse von hier, was will ich mit Poulet aus Ungarn?
Wer weiss, was da alles ins Futter gemischt wird, und für die Umwelt ist das ja auch nicht gut.

Marco hält inne. Die Unschuld verhärtet sich.
Macht da Züüg überhaupt Sinn, woni do verzell?, fragt Marco. Interessiert dich überhaupt, was ich denke? Ich weiss nicht so viel wie du, ich bin halt kein Schurni. Ich koche nur, was ich sage, ist nicht so wichtig, es kommt darauf nicht an.
Die machen eh, was sie wollen, ich werde nie gefragt.
Die Politik, weisst du, die gescheiten Leute wissen es immer besser, die Gschtudierten.

Okay, du hast auch nur eine Stimme.

Natürlich gehe ich immer abstimmen, brieflich, persönlich, ich will keine Busse.
Siehst du, sagt Marco, ich wähle nicht immer SVP, es kommt darauf an. Manchmal werfe ich das Couvert leer ein, wenn ich keine Ahnung habe, ich will keine Busse.
Nur einmal musste ich drei Franken bezahlen, ich war in den Ferien damals, vier Wochen USA.

Alkohol drückt durch die Luft, Marco schwankt, weisst du, sagt er leicht lallend, so sehe ich das Ganze, und du schaust das anders an, und ich finde es gut, dass wir reden, genau so, wie ich finde, dass sich die Richtige verschosse händ.

Die hellblaue Unschuld wirkt glasig.

Name geändert