«Linien sind klar mein Ding»

25. April 2017, Andrina Wanner
Das Skizzenbuch und den Stift immer griffbereit: Lea Wäckerlin, hier backstage im TapTab, zeichnet, was sie sieht und was andere Leute oft übersehen. Foto: Peter Pfister

Vom behüteten Nest in den Raubtierkäfig: Die Illustratorin Lea Wäckerlin alias Kooni lebt seit drei Jahren in Hamburg. Von Schaffhausen kommt sie trotzdem nicht los. Das will sie auch gar nicht.

Jeder mag Kooni. Auch Endo Anaconda himself ist ein Fan, seit Kooni die Kammgarn anlässlich eines Konzerts von «Stiller Has» mit einem Rudel Kartonhasen dekoriert hat. Das mit den Hasen ist ohnehin so eine Sache: «Ein Maskottchen ist ja immer Fluch und Segen zugleich», sagt Kooni. Im gestalterischen Vorkurs hatte man ihr die Hasen noch auszutreiben versucht. Natürlich sind sie geblieben. Und wahrscheinlich hat sie jeder hier in Schaffhausen schon einmal gesehen, bewusst oder unbewusst, Koonis Hasen. Sie vermehrten sich einst rasant in der Stadt, an Hauswänden und auf Abfalleimern, wie es eben der Hasen Art ist.

Möchte sie die Tierchen manchmal loswerden? Das nun nicht gerade, sagt die Illustratorin: «Es ist einfach, immer mal wieder auf das Hasenmotiv zurückzugreifen. Aber es ist nicht so, dass ich ständig versuchte, irgendwo noch einen Hasen unterzubringen. Ich zeichne natürlich auch anderes.» An ihrem Geburtstagsfest am letzten Samstag durften sie trotzdem nicht fehlen, weil Ostern war und weil Kooni ihre Freunde eingeladen hatte, mit ihr zu feiern. Nicht etwa zwecks Selbstbeweihräucherung, sondern um sie alle einmal wiederzusehen.

Sie sei nämlich nicht von Schaffhausen weggezogen, weil es ihr hier nicht gefallen hätte, sagt die nun 30-Jährige, im Gegenteil. Was andere am kleinen Schaffhausen immer bemängelten, schätze sie sehr: «Man trifft die ganze Zeit Leute, die man kennt. Ich sah das immer positiv, es hat mir zugespielt, weil ich so ein Netzwerk aufbauen konnte, ein eingeschworenes Team, in dem jeder weiss, was der andere kann und wen man fragen muss, wenn man etwas braucht.» Und obwohl ihr Hamburg von Anfang an eine zweite Heimat gewesen sei, werde sie wohl nie ganz von Schaffhausen loskommen. «Ich bin ein extrem heimatverbundener Mensch.»

Es war eine Handvoll guter Freunde, denen Kooni nach ihrem Studium nach Hamburg gefolgt war. Vom behüteten Fleck in den Raubtierkäfig? Ein bisschen: «Der Vorteil an Schaffhausen bestand darin, dass ich durch meine regelmässige Arbeit in der Stadt irgendwann gemachte Nester vorfand», sagt Kooni. Jeder habe gewusst, wer sie war und was sie machte. «Ich kam also zum Beispiel für einen Auftrag in die Kammgarn, wo Karton und Farbe schön geordnet für mich bereitlagen. Das war natürlich toll, ich wusste aber gleichzeitig, dass ich noch was anderes ausprobieren wollte.» Spricht man über Koonis Arbeit, kommt man um das Thema Karton nicht herum. Ein Material, das sie oft benutzt und wie die Hasen schon fast ein Markenzeichen ist: «Karton ist billig, gut verwertbar, stabil, ein super Material. Aber das haben auch andere längst erkannt.»

Alles in Ordnung

Und in Hamburg? «In einer Grossstadt wird dir nichts geschenkt. Du bist anonym und auf dich allein gestellt. Aber dieser Wechsel tut mir gut.» In der Hansestadt arbeitet Kooni zwei Tage die Woche im Café «Kaffeeklappe» und zeichnet den Rest der Zeit an Auftragsarbeiten und ihrer eigenen Kunst. Deutschland habe den Vorteil, dass man mit relativ wenig Geld überleben könne. Und das geniesse sie. «Ich kann auch einfach mal ein Buch lesen, etwas basteln oder mir eine Tattoomaschine kaufen, um zu sehen, ob mir das gefallen würde – ich muss niemandem gegenüber Verantwortung zeigen.» (Die Tattoomaschine hat ihr gefallen. Einmal auf einer Orange geübt, machte sie danach direkt auf der Haut ihrer Mitbewohner weiter …)

Ist sie diese Art von Künstlerin, die auszog, die Welt zu erobern? Nein, überhaupt nicht, sagt Kooni. Es interessiere sie mittlerweile gar nicht mehr, in irgendeiner Art gross rauszukommen. «Ich möchte in Ruhe meine Arbeit machen und einigermassen davon leben können, dann ist für mich alles in Ordnung.» Und doch sind es ihre Arbeiten selbst, die Werbung für sie machen. Obwohl sie das scheinbar gar nicht will. Aber ein bisschen muss sie es wollen, denn ohne Aufträge geht es nicht.

Ihre Wimmelbilder, die sie für die Plakatkampagne der Schaffhauser AL gezeichnet hat, kamen so gut an, dass sich daraus weitere Aufträge dieser Art ergaben. Die meisten Kunden sehen ihre Arbeiten auf Facebook, denn dort ist Kooni ziemlich aktiv: Wenn sie «spielen will», wie sie sagt, lässt sie ihre Facebook-Freunde Motive wünschen, die sie dann zeichnet. Das Ergebnis dieser Wunschkonzerte sind detailverliebte Wimmelbilder mit chimärischen Gestalten, kotzenden WC-Brillen und Bikern im Spitzentutu.

Die Anfragen kommen im Moment ziemlich regelmässig. Kooni kann es sich sogar leisten, Aufträge abzulehnen, die sie nicht umsetzen möchte. Luxus. Und das weiss sie auch: «Ich bin mir absolut im Klaren darüber, dass ich mich in einer sehr bequemen Situation befinde.»

Trotzdem: Der Beruf der Illustratorin ist ein hartes Pflaster, das viel Herzblut erfordert. Nur gerade vierzehn Studierende schaffen es pro Jahr in die Illustration-Fiction-Klasse an der Luzerner Kunsthochschule. Die Dozenten erwarten kreative Persönlichkeiten mit eigener Handschrift, eigenem Stil, individuellem Ausdruck. Kooni, die wenige Monate später den Contempo-Preis erhalten würde, bewarb sich sur dossier, also mit Portfolio und ohne Matur (sie ist gelernte Mediamatikerin). Und stellte drei Jahre später ihre Bachelorarbeit unter anderem in der Kammgarn aus.

An Koonis Geburtstagsparty gab es alles, was sie und ihre Freunde mögen: Eine Comicjam, eine kleine Galerie, Tattoos für schmerzfreie Menschen, und natürlich hoppelten die Hasen. Foto: Peter Pfister

 

Ein Leguan – oder so ähnlich

Koonis Arbeiten sind entwaffnend einfach. Es sind Alltagssituationen, humorvolle Spielereien: «Die Leute erkennen sich in den Motiven wieder», sagt die Illustratorin. «Eines meiner absoluten Lieblingswerke zeigt ein Tier, das nach Hause schleicht – einen merkwürdigen Leguan oder so ähnlich, ich weiss selber nicht genau, was es sein soll –, der also nach Hause schleicht und sagt: Ich mue hei zu de Frau. Man kann sich so richtig vorstellen, wie die Gattin gerade angerufen und ihm eine Szene gemacht hat.»

Ihr Zeichenstil fällt gleich ins Auge, scheint seit Jahren unverändert. Sie würde aber nicht sagen, dass sie von Anfang an immer dem gleichen Stil folgte, sagt Kooni, sie habe viel ausprobiert. Vor allem aber habe sie schon immer in Linien gedacht: «Licht und Schatten bereiten mir eher Mühe. Wenn ich male, ist das ein Umdenken.» Das Lineare aber sei ganz klar ihr Ding. Und das Detailreiche, Verspielte. Feiner Strich auf kleinem Format. Deshalb gibt es Koonis Kunst auch pro Quadratzentimeter zu kaufen: «Ich nenne das Projekt ‹Chröömle›, weil es sich jeder vom eigenen Taschengeld leisten kann.» Und die kleinen Bildchen sind beliebt, wie zuletzt an der «SHKunst16» oder an der «Tempogarage 2»: Auf einzelne Kartonbildchen gezeichnete Stechmücken hingen im Schwarm an der Wand. Und neben den meisten klebte bereits ein roter Punkt: verkauft.

Wunschmotiv auf Knopfdruck

Ihre Ideen findet Kooni unterwegs, im Alltag, an Stellen, die andere übersehen. Sie trägt ihr Skizzenbuch immer mit sich. Es ist Labor, Sammlung und Tummelplatz von fiktiven Geschichten, realen Beobachtungen und klassischen Skizzen von dem, was um sie herum passiert. Hier: Szenen aus den Strassen Belgrads. Und da: «Den Mops fand ich lustig, mit der komischen Schnauze und all den Falten. Also habe ich ihn zeichnerisch erforscht, bis die Seite voll war.» Dazwischen wagt Kooni auch mal ein wenig Farbe, aber das sei wirklich sehr selten. «Meistens zeichne ich mit dem gleichen Stift auf das gleiche Papier, das passt einfach.»

Es sei eigentlich recht platt, was sie mache. Und doch überzeugend. Die besten Motive schaffen es aus dem Skizzenbuch heraus auf kleine Bilder, die dann verkauft werden. Meistens in der Schweiz. Aber im Hamburger Café, in dem sie arbeitet, steht der «Illumat», der zu speziellen Anlässen angeworfen wird. Die Leute schreiben ihr Wunsch-Postkartenmotiv (zum Beispiel «Lustige Tiere mit Zahnspangen» oder «Ein Regentag im Grossstadt-Dschungel») auf einen Zettel, den sie in den Automaten werfen. Heraus kommt das gewünschte Motiv in einer koonischen Interpretation.

Und wie geht es weiter? «Ein Meilenstein war meine Geburtstagsparty, ich habe ehrlich gesagt nicht viel darüber hinausgeplant», gesteht Kooni. Aber sie finde immer wieder neue Themen, die sie interessierten und die sie verfolge. «Hauptsache, es macht mir Spass.»