Tue Gutes – und filme dich dabei

8. April 2017, Kevin Brühlmann
«Love your Neighbour»: David Togni posiert mit Baby. Foto: Peter Pfister

Als Diener Gottes will David Togni mit seinem Kleiderlabel einen Lifestyle der Nächstenliebe einführen. Damit avanciert er zum Star fundamentalistischer Freikirchen – was dem Erfolg offenbar nicht schadet.

Manche Dinge im Leben sind fast unmöglich. Zum Beispiel, David Togni nicht sympathisch zu finden.

Der 29-Jährige, gross, Dreitagebart, charmantes Lachen, blinzelt in die Frühlingssonne. Wir sitzen in Winterthur, wo der Schaffhauser seit einiger Zeit lebt. Togni erzählt von seinen Träumen, verleiht den Worten Nachdruck mit sanften Gesten seiner tätowierten Arme. Man hört ihm gerne zu. Und man erkennt: Der charismatische Togni könnte vermutlich alles verkaufen, Fernseher an Blinde und Autos an Minderjährige. Aber damit hat er abgeschlossen. Heute sieht er sich als «Servant», als Diener Gottes.

Im Mai 2013 gründete er das «Social fashion label» Love Your Neighbour (LYN). Damit will er die Nächstenliebe zu einem «Lifestyle» erheben. Zudem fliessen zwölf Prozent des Gewinns in die LYN-Foundation, die «bedürftige Menschen in unserer Nachbarschaft unterstützen soll». David Togni ist daher ein gefragter Mann für «Speeches», Reden, in denen er über seine Vision der Nächstenliebe erzählt. Besonders in freikirchlichen Kreisen wie der International Christian Fellowship (ICF) ist der junge Mann populär. Also dort, wo erzkonservative Werte in poppige Gewänder gekleidet werden.

Und da stellt sich die Frage: Macht David Togni bei diesem Verkleidungsspiel im wahrsten Sinne des Wortes mit? Blenden wir dazu ein paar Jahre zurück.

Wackelndes Auto – ein Zeichen

Es ist halb zwei Uhr morgens. David Togni macht sich nach einer Party auf den Heimweg. Alles an ihm glänzt vor Geld: sein schwarzer Porsche mit den hellbraunen Ledersitzen, seine Armbanduhr, seine Schuhe. Als Versicherungsverkäufer verdient er sich eine goldene Nase. Nun will er losfahren, doch irgendetwas blockiert ihn.

«Mir wird auf einen Schlag klar, was mir tief drinnen fehlt: Ich habe keine echte Freude im Leben! Dann beginne ich, mit Gott zu reden. Immer noch habe ich meine Zweifel an ihm, als ich zu ihm sage: ‹Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann zeig dich mir!› Da beginnt das Auto plötzlich stark zu wackeln … wie in einer göttlichen Gegenwart … Im selben Moment habe ich den starken Eindruck, ich solle in eine bestimmte Gasse in Schaffhausen fahren, dort sei eine Person mit Knieschmerzen. … Tatsächlich treffe ich eine Frau und frage sie, ob sie Knieschmerzen hat. Sie ist ganz überrascht … und erwidert dann: ‹Ja, mein linkes Knie tut ganz schrecklich weh!› ‹Kann ich für Ihr Knie beten?›, frage ich sie. … Zögerlich stimmt sie zu.

Noch voll von der Gegenwart Gottes im Auto … bitte ich Gott um Heilung für ihr Knie. Als ich Amen sage, blickt sie mich ungläubig an … Über das ganze Gesicht strahlend keucht sie: ‹Unglaublich, die Schmerzen sind weg! Ich habe keine Schmerzen mehr im Knie!›

In diesem Moment legt Gott einen Schalter in mir um.»

So steht es in Tognis Biografie «Love Your Neighbour: Es geht nicht um mich, aber es ist meine Geschichte». Im Herbst 2016 erschienen, ist die zweite Auflage bald ausverkauft. Eine dritte werde vermutlich noch dieses Jahr veröffentlicht, lässt der christliche Brunnen Verlag ausrichten. Auch diskutiere man mit «einer Reihe» ausländischer Verlage über Übersetzungen.

Im Buch berichtet Togni, wie er nach dem Unfalltod seiner damals 16-jährigen Schwester auf die schiefe Bahn geriet: ein Leben ohne Jesus, dafür mit umso mehr Geld, Luxus, Partys. Er erzählt, wie er eines Morgens mit gelähmten Beinen aufwachte, von einer unbekannten Krankheit attackiert. Erst nach vielen Rückenoperationen konnte er wieder gehen, wenn auch heute noch mit täglichen Schmerzen. Als roter Faden dient Gott, zu dem er trotz oder gerade wegen der Schicksalsschläge fand – und der sein Leben «radikal verändert hat». Schliesslich, erzählt er, gründete er deswegen auch das Modelabel Love Your Neighbour.

Aus welcher Gemeinde seid ihr?

LYN sei seine Vision, sagt Togni. Er spricht es englisch aus: Wischn. So, wie das in der ICF-Community üblich ist. Wir stehen in seinem Büro am Rand der Neuhauser Industriezone. Rundherum freundliche Menschen, meist junge. Ohnehin scheint es bei LYN nur überglückliche Menschen zu geben; überall wird gelacht. Auf Tischen liegen Kleider und Accessoires – die neue Frühlingskollektion wird vorgestellt. Es gibt Kaffee und Kuchen. «Food and Beverages» steht auf einem Schild an der Wand geschrieben.

Begehrte Ware: Tognis Biografie an der Präsentation der Frühlingskollektion, März 2017. Foto: Peter Pfister

«Aus welcher Gemeinde kommt ihr?», werden wir, «az»-Redaktor und -Fotograf, gefragt. «Mit Jesus haben wir wenig am Hut.» Irritierte Blicke, die mit einem wohlwollenden Lächeln kompensiert werden.

Zwei Schülerinnen halten alles mit einer Kamera fest. Sie wollen ihre Abschlussarbeit über das Projekt machen. Und im Eingangsbereich posiert Togni für Selfies mit begeisterten Teenies. «Er isch mega cool!», sagt eine Vierzehnjährige zu ihrer Mutter, und die Mama nickt.

Kameras begleiten David Togni auf Schritt und Tritt. In der Community gilt er als Star. 32’800 Follower sehen ihn auf Facebook, wie er sich mit Kool Savas oder Jogi Löw ablichten lässt. Manchmal filmt er sich gleich selbst, wie er und sein Team Kleider und Essen an Obdachlose verteilen. Getreu nach dem Motto: Tue Gutes und sprich darüber – oder mach am besten gleich ein Video davon. Mit «megagenialen» Folgen, so Togni: Das Geschäft floriert. Und es melden sich immer mehr Menschen, die ihm ehrenamtlich helfen wollen. Kürzlich musste gar ein neuer Büro- und Lagerraum dazugemietet werden.

«Zwölf Prozent des Gewinns gehen an Bedürftige», sagt Togni. «Ich zahle mir selber keinen Lohn aus.» Er finanziere sein Leben mit Erspartem und «Vermittlungen», für die er eine Provision erhalte. «Wenn man gibt, muss man dafür nicht in Sandalen herumlaufen», sagt er. «Ich gönne mir durchaus schöne Dinge wie ein schickes Auto.»

Dämonenaustreibung

An der Präsentation der neuen Kollektion kann auch Tognis Buch gekauft werden. Das Querlesen bietet wundersame Anekdoten. Er berichtet von einem Taxifahrer mit starken Zahnschmerzen, den er mit den Worten «Heilung im Namen von Jesus Christus!» geheilt habe. Oder von einer geglückten Dämonenaustreibung. Und einem Zungengebet:

«Mit geschlossenen Augen begann ich, in einer fremden Sprache zu reden, die mir der Heilige Geist gegeben hatte. Ich merkte, wie ich Autorität bekam und ein sehr kraftvolles Gebet sprach, das etwas Gros­ses in Bewegung setzte.»

Diese Geschichten passen in die sogenannte charismatische Glaubensströmung. Vorreiter ist die kalifornische Bethel Church. Der Gedanke dahinter ist simpel: Jesus sei als Mensch auf die Erde gekommen, ohne göttliches Gewand, und habe allein mit der Kraft des Heiligen Geistes «Wundertaten, Wunder und Zeichen» vollbracht. Sprich: Nachdem man heute den Heiligen Geist empfangen hat, kann man dieselben Werke tun wie Jesus – und gar noch grössere. Also eilt man von Erweckung zu Erweckung und von Visions zu göttlichen Zeichen.

Die Lehren der Bethel Church sind zum Teil bizarr. Unter anderem wird das «Soaking» praktiziert. Dabei legt man sich auf die Gräber berühmter Christen – Schriftsteller C. S. Lewis ist besonders beliebt – und versucht dadurch, etwas von der Salbung dieser Diener Gottes «aufzusaugen». Weitere Spezialitäten sind: Teufelsaustreibungen, Weissagungen, vollständige körperliche und seelische Heilungen durch Gebet und Handauflegen.

Nicht wenige Mitglieder der ICF, auch Schaffhauser wie David Togni, pflegen enge Kontakte zur Bethel Church. Man kann die Evangelisten durchaus als Vorbilder der ICF bezeichnen. Bethel-«Prophet» Ben Fitzgerald etwa hat das Vorwort der «LYN»-Biographie verfasst; Togni selbst bezeichnet ihn als «guten Freund».

Togni mit dem «big leader» Joachim Löw. Bild: Facebook / David Togni

Togni: Super-Christ der ICF?

Ein anderer «Bekannter» ist Leo Bigger, «Senior Pastor» und damit Kopf der ICF. Seine fundamentalistischen Ansichten sind bekannt. Sex vor der Ehe, Homosexualität, Sucht: alles Zeichen «einer verkrümmten Identität», der Sünde, des Teufels. Denn der Teufel, so Bigger, «rennt wie ein brüllender Löwe um euch herum». Radikale Dualität, nur Gut oder Böse, das ist die Basis von Biggers Welt. Einer Welt, der offenbar auch David Togni angehört. Die Rückseite seiner Biografie ziert ein lobendes Zitat Biggers; auch im Vorwort schreibt dieser einige Zeilen.

Ist David Togni der Super-Christ, der die ICF richtig einkleidet und sie dadurch populär macht?

Vermutlich, dafür spannt man ihn ein. Die Frage ist nur: Tut er das bewusst? Wie oft, wenn es etwas heikel wird, beginnt er mit: «Das ist eine gute Frage.» Aber nein, sagt er dann, freundlich wie immer, nein, er fände «im Allgemeinen nicht alles gut, was in der Kirchenwelt abläuft». Mitglied einer Kirche sei er nicht, obschon er oft Gottesdienste und «Celebrations» besuche und viele Freunde in den «Churches» habe. Aber, sagt er, seine Kunden besässen ganz verschiedene Hintergründe, nicht nur christliche. «Es gibt immer mehr Menschen, welche die Botschaft der Nächstenliebe unterstützen.»

Was heisst das jetzt? Gilt die propagierte Nächstenliebe für alle – oder gibt es da Grenzen, wie sie die ICF und Bigger predigen?

Natürlich gelte dies für alle, meint Togni und holt zu einem langen Monolog aus, in dem er die grenzenlose Liebe verteidigt. Er kenne viele Leute, sagt er, auch Schwule. Der Fotograf, der einige Fotos für seine Biografie geschossen hat, sei sogar schwul. Ihn habe er auch an seine Hochzeit diesen Sommer eingeladen, was natürlich nicht alle gern gesehen hätten, und am liebsten wäre es ihm, wenn er, der schwule Freund, in der ersten Reihe sässe.

Togni klingt glaubwürdig, tut er eigentlich immer. Er hat ja auch nur Gutes im Sinn: die Welt zu verbessern.

Allein, am Ende verheddert er sich in einer verwirrenden Relativierung: «Ich glaube an die Bibel. Daran, dass alles, was Leben gibt, super ist. Man muss nicht immer alles gutheissen, was andere Menschen tun, überhaupt nicht. Aber ich habe alle Menschen genau gleich lieb.»