Kampf um die Stadt

23. März 2017, Marlon Rusch
Legt Jens Andersen der Stadt mit seinem Weggang ein Ei?
Legt Jens Andersen der Stadt mit seinem Weggang ein Ei?

Der Abgang von Stadtplaner Jens Andersen hat auf den ersten Blick simple Gründe. Bohrt man tiefer, stösst man auf einen schwelenden Konflikt um die Macht im Baureferat. Sein Ausgang kann das Stadtbild prägen.

Was innerhalb der städtischen Öffentlichkeitsarbeit wie eine Randnotiz erschien, könnte für die Stadt weitreichende Folgen haben – Jens Andersen geht.

Der Leiter der Schaffhauser Stadtplanung wird am 1. Oktober 2017 neuer Stadtbaumeister von Winterthur. Es ist ein beruflicher Aufstieg, der aus seiner Perspektive durchs Band Sinn ergibt. Das zeigen schon die Dimensionen der beiden Städte. Mehr Verantwortung, mehr Einfluss, grössere Strahlkraft.

Nach sieben Jahren in vergleichbarer Position in Schaffhausen bringt Andersen ein geballtes Bündel an Erfahrung mit. Und mit 48 Jahren hat er das perfekte ­Alter, nochmals ein neues Grossprojekt anzufangen, das Gesicht einer Stadt zu prägen. Ausserdem hat der im Zürcher Weinland wohnhafte Architekt und Wirtschaftsingenieur schon lange eine Affinität zur Eulachstadt. So zumindest seine offizielle Rhetorik.

Was die städtische Medienmitteilung verschweigt und was bereits etwas stutzig machen könnte: Auch Jules Selter, seit vier Jahren stellvertretender Stadtplaner, hat seine Kündigung eingereicht. Praktisch zeitgleich mit Jens Andersen. Auch Selter sagt, er suche nach einer neuen Herausforderung und wolle sich beruflich neu orientieren. Das Ziel sei noch unklar, Privatwirtschaft nicht ausgeschlossen.

Eine günstige Opportunität (Andersen) und der Drang nach Luftveränderung (Selter) – sowas kann mal zusammenfallen. Gut möglich aber, dass es noch andere Gründe für die Abgänge gibt, die die beiden Herren öffentlich nicht formulieren wollen.

Man könnte sich etwa fragen, warum ein Mittdreissiger, der als stellvertretender Stadtplaner bereits sicher in den Startlöchern steht, nicht selbst seinen Chef ­beerben möchte.

Analysiert man, wie sich die Stadtplanung in den vier Jahren unter Baureferent Raphaël Rohner gewandelt hat, stösst man auf mögliche Gründe. Der Verdacht liegt nahe, dass man als Stadtplaner in Schaffhausen schon fröhlichere Zeiten verleben durfte.

Schrittweise Entmachtung
Als Jens Andersen 2010 von der Privatwirtschaft zur Stadt Schaffhausen wechselte, übernahm er als Stadtbaumeister die Leitung des Hochbauamts. Dieses umfasste damals auch die Stadtplanung. 2014 organisierte der damalige Baureferent Rohner das Hochbauamt neu. Er löste die Stadtplanung als eigene strategische Behörde aus dem Hochbauamt heraus und machte damit aus einer Behörde zwei. Andersen übernahm die neu geschaffene Stadtplanung, das Hochbauamt bekam eine neue Chefin – Karin Brand. Jens Andersen wurde entmachtet.

Bestes Beispiel: Die Aufwertung des Rheinufers. Derartige Projekte werden klassischerweise bis zum Wettbewerb von der Stadtplanung betreut. Federführend war aber von Anfang an Brands Hochbauamt – mit sichtbaren Folgen. Kritiker bezeichneten das Projekt als reine Strassensanierung.

Über «interne Prozesse» will Rohner auf Anfrage keine Stellung nehmen. Die Gründe für die Stärkung des Hochbauamts liegen aber auf der Hand: Rohners Vorgänger Peter Käppler kam wegen Baukostenüberschreitungen massiv in Kritik und wurde schliesslich abgewählt. Rohner brauchte im Hochbauamt jemanden, der die Finanzen im Griff hat. Jens Andersen ist ein fähiger Architekt und umsichtiger strategischer Planer. Das ist allgemein bekannt. Sein vermeintlicher Makel: Er denkt vom Ergebnis aus. Karin Brand ist sein pures Gegenteil. Die ehemalige Baumanagerin denkt starr vom Budget aus. Die Rechnung ist für Rohner buchstäblich aufgegangen. Er hat zwar keine grossen Würfe gelandet, sich aber weitgehend schadlos nach vier Jahren ins Bildungsreferat retten können. Karin Brands Kostenkontrolle sei Dank.

Konkurrenz statt Schnittstellen
Will man mit Bereichsleitern, deren Stellvertretern und Stadträten über die Schnittstellen zwischen den einzelnen Behörden sprechen, geben die sich zugeknöpft: «Interne Prozesse», dazu könnten sie keine Auskunft geben. Untere Chargen verweisen im Gespräch an die oberen. Das Bild, welches dieser Text zeichnet, setzt sich aus Gesprächen mit einer Handvoll Menschen aus dem Umfeld des städtischen Baus zusammen, deren Aussagen praktisch deckungsgleich sind.

Breiter Konsens: Karin Brand hat sich mit ­ihrem bisherigen Auftreten wenige Freunde gemacht.

Es fallen Worte wie «Rohners Apparatschik», «kompromissunfähig», «machtgeil». Am liebsten, so die einhellige Ansicht, würde sie alleine bauen, ohne Stadtplanung. Die kantonale Denkmalpflege (Flurina Pescatore) würde sie gerne kontrollieren. Und auch mit dem Leiter der städtischen Immobilien, Roger Düring, habe sie sich überworfen. Weder Andersen noch Düring oder Pescatore wollen sich dazu äussern. Verständlich, es würde das Arbeitsklima wohl zusätzlich belasten. Karin Brand verweist bei Anfrage der «az» an die Baureferentin. Schriftliche Nachfragen lässt sie unbeantwortet.

Die neue Baureferentin, Katrin Bernath, möchte die Zwistigkeiten zwischen einzelnen Behördeleitern nicht kommentieren. Es könne mal vorkommen, dass die Emotionen hochgingen, aber das geschehe in jedem Betrieb, in dem engagiert gearbeitet werde. Zumindest was die Denkmalpflege anbelange, könne sie Spekulationen aber vorbeugen: «Die auslaufende Leistungsvereinbarung mit der kantonalen Denkmalpflege werden wir weiterführen», verspricht die Stadträtin.

Bleibt die Frage, wie es im Herbst, nach dem Weggang von Andersen und Selter weitergehen wird. Klar ist: Die Stelle dürfte weniger attraktiv sein als das Amt, für das sich Jens Andersen vor acht Jahren in Schaffhausen beworben hatte. Weniger Prestige, mehr Kämpfe um Kompetenzen. Die Einarbeitungszeit des Nachfolgers dürfte diesen gegenüber dem Hochbauamt von Anfang an in die Defensive zwingen.

Wird das Tau­ziehen um die Deutungshoheit im städtischen Bau nicht bald beendet, wird die Stadtplanung weiter geschwächt.