Der Wahnsinn

18. März 2017, Kevin Brühlmann
Roman Maeder alias Larry Bang Bang: «Eine Mischung aus Kleinkunst und Rock'n'Roll.» Foto: Peter Pfister

Man nennt Roman Maeder Tausendundeinssassa, Countrypsycho und Latino-Billy. Das mag stimmen und ist doch nicht richtig, wie sein Album «I, Import-Export Mariachi» zeigt. Eine Annäherung in Episoden.

Magenbeschwerden in Tokyo, Anfang 2013, in einem obskuren Keller. Es leidet: Larry Bang Bang, ein Cowboy, Hut, Hemd, Gitarre, der auf der Bühne komplett kirre wird. Es ist sein erster Abend in Japan, neben ihm steht eine Band, Swing-Jazzer. Gewusst hat er davon nichts, und sie vielleicht auch nicht von ihm; sie lächeln sich an, Larry Bang Bang und die Musiker, weil, verstehen tun sie sich sowieso nicht. Aber die Musik hilft. Und Larrys Humor.

«Konnichiwa», singt er. «Kore wa nan desu ka sashimi – oh, ooh!» Das Lied hat er sich vor der Abreise zurechtgelegt, die Wörter entnahm er einem Dictionnaire. Ob dieses Zusammenwürfeln Sinn ergibt, weiss er nicht, übersetzt heisst es irgendwas wie: «Was ist das für ein Sashimi.» Überhaupt hat er nur wenig gewusst, bevor er in Japan angekommen ist, doch die Leute im Keller lachen. Und obschon Larry Bang Bang weiterhin von üblen Magenproblemen geplagt wird – er isst nur noch Burger –, spielt er in den nächsten zehn Tagen sieben Konzerte in sechs Städten.

Vier Jahre nach diesem Höllenritt wird er seine erste Platte veröffentlichen, «I, Import-Export Mariachi». Opener wird jenes Lied namens «Konnichiwa» sein. Aber, man ahnt es, gewusst hat er das damals natürlich noch nicht.

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Barfuss auf dem Dorfe, Neunkirch, im August 1991. Es läuft: Lasse Haakle, 17-jähriger Rebell aus Gächlingen. Auf einem Traktoranhänger spielt und singt er mit seiner Punkband «Lemon Ice» (besonderes Merkmal: drei Gitarren). Das sind Larry Bang Bangs musikalische Wurzeln, und diese «Scheiss drauf, ich mach das jetzt einfach mal»-Attitüde pflegt er bis heute.

«Lasse» Maeder (Mitte) mit seiner ersten Band «Lemon Ice» in Neunkirch (1991). Bild: zVg

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Hoher Sonnenstand am Bahnhof Wiedikon, März 2017. Es spricht: Roman Mae­der, ein Mann von 42 Jahren und leisen Worten. Mit dem wirren Haar erinnert er an den jungen Jack Nicholson. Vor bald 17 Jahren ist er von Schaffhausen nach Zürich ausgewandert, seither überfordert er das Feuilleton regelmässig mit seinen künstlerischen Exkursionen, sei es als Musiker, als Zeichner und Maler (mit dem Grafiklabel «Milk+Wodka») oder als Bohrmaschinen-Tätowierer (ja, Sie lesen richtig) und No-Budget-Filmregisseur («Schizoide Satelliten über St. Pauli» und «Winki und Stinki»). So nennt man ihn «Comic-Musiker» oder «Tausendundeinssassa», «Latino-Billy», «Countrypsycho», «Avantgardist» oder, wenn alle Fantasie aufgebraucht ist, schlicht «ausgefallen». Davon unbeeindruckt, blickt er, die Sonne im Gesicht, auf die letzten sieben Jahre zurück, während der «I, Import-Export Mariachi» seines Alter Egos entstand – der ja zu grossen Teilen auch seine Antithese ist. Roman selbst bezeichnet die Scheibe als «eine Mischung aus Kleinkunst und Rock’n’Roll».

Das ist allerdings eine Untertreibung. Von den 13 Songs klingt keiner wie der andere. So viele Genres, Country, Reggae, Rock, Ennio-Morriconeeskes, Leichtes, Schweres, Falsett und Bariton; so viele Sprachen; und so viele Geschichten, liebevolle, wüste, traurige, von Sinn befreite und von Unsinn befangene.

Darum muss man sagen: Das Album ist kein Album, sondern ein Wahnsinn. Eine endlose Suche nach dem immer Neuen, das hier einen Namen trägt: Larryland.

Der grossmäulige Larry kommt der Wahrheit schon näher als sein Alltags-Ich. Im Klappentext zur Platte schreibt er nämlich von «future Evergreens and contemporary Classicks». Und wenn man heute in den feinen Schreibstuben der Fachmagazine mit gelangweilter Miene behauptet, das Ende der Musik sei erreicht, dann, mit Verlaub, wurde Larry Bang Bangs Scheibe noch nicht gehört.

Larry selbst schreibt auf der Rückseite des Covers: «Falls die Platte Sie dereinst langweilen sollte, kann sie auch als Suppe für Delfine verwendet werden.»

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Sommerkonzert in Castlemaine, nahe Melbourne, Australien, Anfang 2012. Es wird angekündigt: «Larry Bang Bang, Swiss Psychocountry.» In einem Studio in der Nähe nimmt er dann eine «Schwet­ti» Songs auf; viele werden es später aufs Album schaffen. Zum Beispiel die Bogan-Trilogie: «Shirt That Fits», «Marianne» und «Gasoline Man». Bogan? Ein australischer Slang-Ausdruck für biersaufende, Vokuhila- und Zahnlücken-versehrte Hinterwäldler. So besingt Larry in «Marianne», dem eigentlich romantischsten Song des Albums, einen Gemüsehassenden Proleten, der sich über seine Marianne, eine Vegetarierin, lustig macht und nach Chicken Wings lechzt:

«Sometimes you taste like oysters and your skin smells like ham / That’s why it’s still hard to believe you’re vegetarian»

Auf nach Larryland: Das «I, Import-Export Mariachi»-Plattencover.

Die halbe Welt hat Larry fürs Album bereist, die USA, Japan, Indonesien, Aus­tralien, und Dutzende «wunderbare Menschen» kennengelernt. 14 davon sind auch als Gastmusiker auf der Platte zu hören. Und die Lieder, oder Bausteine davon, stammen aus vier verschiedenen Studios in den bereisten Ländern. Oliver Maurmann alias Guz hat dann alles im Schaffhauser Startrack-Studio zusammengebaut, ergänzt oder verkürzt.

«Eine Heidenbüez», sagt Larry heute, und eigentlich ist dieser Larry jetzt wieder Roman, der nachdenkliche, leise Typ.

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Ein altes Haus in der Neustadt, Schaffhausen, Mitte der 90er-Jahre. Es wird besetzt von: Roman Maeder und seinen Freunden – direkt vom Elternhaus «eingezogen». Strom gibt es nicht, und irgendwann dreht die Stadt auch das Wasser ab. Im Keller finden die Jungs allerdings noch einen funktionierenden Wasserhahn, ein Gartenschlauch wird installiert, allein, er reicht nur bis in den ersten Stock. Auch egal. Darum geht es ja nicht, sondern um Freiheit, auch künstlerische: Roman schreibt und schreibt und malt und singt. «Eine wichtige Zeit für mich», sagt er heute, «für uns alle eigentlich.»

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Tiefer Sonnenstand am Bahnhof Wiedikon, März 2017. Es sinniert: Roman Maeder. Es geht um die Frage, was ihn am Leben erhält. Die Kunst natürlich. Und als Konsequenz, ob er, der damals eine Buchhändlerlehre gemacht hat, sich manchmal ein geregeltes, bürgerliches Leben wünsche, ohne dieses Getriebensein nach dem Neuen. «Ja, manchmal denke ich darüber nach, wie es wäre, wenn ich zum Beispiel für ein halbes Jahr keine Kunst machen, nicht immer suchen würde. Vielleicht wäre das einfacher. Aber vermutlich kann ich das gar nicht.»

Sonst endet er vielleicht wie seine Figur Larry Bang Bang im fabulösen Lied «Hollow Tooth». Es ist die vertonte und ins Englische übersetzte Version des ältesten Schaffhauser-Väter-Witzes überhaupt:

«Es isch emol en Maa gsi, dä het en hohle Zaa gha, und i dem Zaa hets es Trückli gha, und i dem Trückli isch e Papierli gsi, und uf dem Papierli isch gschtande: Es isch emol en Maa gsi …»

Will heissen: Man lässt sich gefangen nehmen von der endlosen Absurdität namens Leben. Aber so weit wird es nicht kommen mit Roman Maeder. Dazu steckt zu viel guter Wahnsinn unter seinem zerzausten Haar.

 

Larry Bang Bangs Plattentaufe findet statt am Samstag, 18. März, im Cardinal (SH).