Manche sagen, FCS-Stürmer Shkelqim «Mimi» Demhasaj sei zu jung, zu gross, zu dünn. Und doch trifft der 20-jährige Neuhauser wie ein alter Hase. Dabei wollte er vor einem Jahr noch aufhören mit dem Fussball.
Man erkennt ihn am flatternden Trikot mit der Nummer 9. Nirgends will es so recht passen, oben nicht, unten nicht, in der Breite sowieso nicht. Die eine Grösse ist zu kurz, die andere zu breit, was will er tun, sieht das Ganze eben etwas zugig aus. Die Tore macht Shkelqim Demhasaj ja so oder so.
Wie ein alter Hase trifft er, mit links, mit rechts, mit dem Kopf, obschon erst 20 Jahre alt. Und versenken tut er den Ball so, wie er sein Trikot trägt: ohne schöngeistige Verrenkungen. Wenn du die Kugel über die Linie wurstest, fragt niemand nach dem Wie und Warum.
In der Hinrunde traf Demhasaj diese Saison achtmal; hinzu kommt ein Tor gegen den FC Sion im Cup. Nur Jean-Pierre Nsamé von Servette hat öfter getroffen (10 Tore). Nun steht die Rückrunde an. Und der Stürmer soll den FC Schaffhausen vor dem Abstieg retten, damit der Klub nächste Saison nicht mit neuem Stadion in der 1. Liga tschutten muss. Es würde den FCS an den Rand des Ruins treiben.
Wie Shkelqim Demhasaj so durch die Schaffhauser Vorstadt geht, sieht er nicht unbedingt wie ein Fussballer aus. Man kann sich nicht vorstellen, wie die Stulpen an seinen dürren Waden haften bleiben sollen. Sein Gang jedoch verrät ihn. Es ist der schlurfende Tritt des Profis, von dünnen O-Beinen getragen, weil du nach dem Training am Morgen einerseits müde bist, andererseits Zeit totschlagen musst bis zum nächsten Training, und diese Verbindung aus Bleischwere und Orientierungslosigkeit schlägt sich halt in der Gangart nieder, Widerstand zwecklos.
«Shkelqim, freut mich», lächelt er, 1,91 Meter türmen sich bei nur 75 Kilos auf den Pflastersteinen auf. «Aber nennt mich Mimi. Das ist einfacher. Alle nennen mich Mimi.» Mimi geht locker durchs Leben, unverbraucht und unbeschwert. Aber dass es nicht immer rundläuft, weiss Mimi ja selbst, das hat er, trotz seiner 20 Jahre und seines Lausbuben-Lachens, schon lange verinnerlicht. Das liegt in der Familie.
Schichtarbeit für die Kinder
1988 kam Ahmet Demhasaj zum ersten Mal in die Schweiz. Mit 16 hatte er bereits in der ersten Liga Kosovos debütiert, der Traum vom Profi war gross, aber das Schicksal wollte es anders mit ihm. Seine Familie brauchte Geld, seinem Land ging es schlecht. Bald schon fand er Arbeit bei einer Sägerei in Schleitheim, seine Frau reiste nach. Eine Tochter und zwei Söhne folgten bald darauf.
«Schwer arbeiten und Profi sein, das ging natürlich nicht», meint Vater Demhasaj. Also kickte er während 15 Jahren beim FC Beringen, Regionalfussball, Sport in der Anonymität der Agglo-Gemeinden: Binningen, Seuzach, Regensdorf. Später zogen die Demhasajs nach Neuhausen, und der Vater fand eine neue Stelle bei Georg Fischer, Vierschichtbetrieb in der Produktion.
Nun lebt sein Traum in seinen Söhnen weiter. Auch Shkelqims jüngerer Bruder Asllan spielt für den FCS, allerdings in der zweiten Mannschaft.
Von allen Dingen hatte Shkelqim Demhasaj immer das Fussballspielen am meisten geliebt. In der Schule hielt er sich jeweils knapp über dem Gefrierpunkt, immerhin, eine Klasse wiederholen musste er nie. Später begann er eine Lehre als Logistiker in Beringen, und da taute er auf, erhielt plötzlich anständige Noten, schrieb eine gute Abschlussprüfung. Kurzum: Das Machen lag ihm besser.
Einfach war es allerdings nicht, die Lehre und der Fussball. Aber notwendig, fanden die Eltern. Erst einen Beruf richtig erlernen, dann versuchen, sich im Karussell des Fussballs einen Platz zu ergattern.
Noch während der Lehre wurde Shkelqim im Sommer 2013, er war 17, ins Fanionteam aufgenommen. Abends trainierte er, tagsüber hielt er das Lager in Schuss. Einmal wöchentlich konnte er mit den Profis mittun. Gleich in seinem ersten Einsatz in der Challenge League erzielte er ein Tor.
Nach der Lehre rückte er dann ganz ins erste Team auf. Man bot ihm einen Nachwuchsprofi-Vertrag an, branchenüblich sind Löhne von 500 bis 1’500 Franken pro Monat. Leben konnte er davon nicht, er blieb im Elternhaus. Aber träumen liess es sich damit ganz gut. Profifussballer.
Keine Youth Academy
Mimi ist eine treue Seele. Bislang hat er für keinen anderen Klub als für den FCS gespielt, abgesehen vom FC Beringen in der Jugend. Während heutzutage alle schon möglichst früh, zum Teil noch mit den Windeln im Gepäck, in eine Nachwuchsakademie, Verzeihung: Youth Academy, wechseln, nach Zürich, Basel, wo es nach Kunstrasen, Perskindol und Beton riecht, wo stromlinienförmige Talente geschmiedet werden, glatt und diszipliniert, da zog es Mimi vor, auf der Breite zu bleiben, hier, bei Naturrasen und bei Schimmel in der Kabine. Und bei seiner Familie. Die braucht er. «Ich kann mir nicht vorstellen, von zu Hause auszuziehen», grinst er.
Seine bequeme Art stand ihm immer mal wieder im Weg. Besonders in der letzten Saison, als er sich mit Trainer Maurizio Jacobacci verkrachte. Der wollte ihn nämlich nach Tuggen ausleihen, doch der Stürmer blockte ab. «Demhasaj verhält sich nicht wie ein Profi», sagte Jacobacci damals im Gespräch mit der «az». «Ich sehe keine Entwicklung. Da muss mehr kommen, mehr Einsatz, mehr Eigeninitiative.» Und so fand er sich fortan auf der Tribüne wieder. Nach den Heimspielen sah man ihn jeweils, wie er, die Schultern schlaff, allein von der Breite Richtung Bushaltestelle schlurfte.
Diese Zeit hat Demhasaj mitgenommen; er geriet ins Grübeln, nichts ging mehr. FCS-Kapitän Gianluca Frontino erinnert sich: «Natürlich war das schwierig für Mimi. Aber meine Güte, er ist erst 20, damals sogar noch jünger. Ausserdem waren seine Trainingsleistungen auch nicht immer besonders gut, das muss man schon sehen.» Demhasaj wollte seine Kickstiefel an den Nagel hängen.
Der Sohn hat weitergemacht
Jetzt, alte Fussballerweisheit: Ein Spiel dauert 90 Minuten, und der Ball ist rund. Aber nach diesem Spiel kommt eben schon das nächste. Und dann das übernächste. Und so weiter. Kurz: Aufgeben ist nicht. So hat das Vater Demhasaj seinem Sohn erklärt, und der Sohn hat genickt und weitergemacht. Gut, etwas Starthilfe hat er dann doch noch benötigt. Das ging folgendermassen: Im März 2016 wurde Jacobacci gefeuert. Axel Thoma trat seine Nachfolge an. Und Shkelqim kniete sich so richtig rein bei den Trainings. Aber auch unter Thoma sass er nur auf der Bank. Also rief Vater Demhasaj den Coach an. «Was ist los, Herr Thoma? Warum spielt mein Sohn nicht?» Was man dazu noch wissen muss: Demhasaj Senior kann sehr überzeugend sein.
Am folgenden Wochenende, der FCS war im letzten Spiel der Saison zu Gast beim FC Aarau, stand Mimi in der Startelf. Es lief die 20. Minute, als er in die Tiefe geschickt wurde, zwei Gegner aussteigen liess und den Torhüter zwischen den Beinen erwischte. 0:1. 45 Sekunden später luchste er einem Verteidiger den Ball ab, spazierte Richtung Tor, täuschte an, schoss nicht, schoss doch. 0:2. Es sah so einfach aus. Aber genau das ist ja der Clou an Demhasajs Spiel: das Toreschiessen durch Stellungsspiel und Cleverness ganz natürlich aussehen lassen.
In jenem Match gegen Aarau ist sein Motor richtig warmgelaufen. Seither traf er im Schnitt in jedem zweiten Spiel.
Druck der Degen-Zwillinge
Im vergangenen Herbst erhielt er sein erstes Aufgebot für eine Schweizer Juniorenauswahl, die U-20 Nationalmannschaft. Kurz zuvor hatte er seinen ersten Profivertrag unterzeichnet. Er läuft bis Mitte 2019. Bis dann wird er den FCS vermutlich schon verlassen haben. Im Winter hatten bereits der FC Luzern, GC, der FC Zürich und Sion angeklopft. Ginge es nach seinen Beratern, den Degen-Zwillingen, wäre er längst dort. Tagelang hatten sie ihn angerufen und zu einem Wechsel zu überzeugen versucht. Die Demhasajs jedoch, Junior und Senior, blieben hart.
«Ich will nichts mehr davon hören», sagt Demhasaj, er klingt leicht verärgert. Gerne würde er irgendwann in der Super League spielen, aber darum kümmere er sich nicht. Jetzt will er einfach spielen und den FCS vom letzten Platz wegschiessen. Und überhaupt: «Geld ist nicht alles.»
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Degendarstellung vom 16. Februar
Es ist falsch, dass die Degen-Zwillinge Shkelqim Demhasaj tagelang angerufen und versucht hätten, ihn zu einem Wechsel zu überzeugen. Die Degen-Zwillinge haben nie Druck auf Demhasaj ausgeübt.
Philipp Degen, Basel
Stellungnahme der Redaktion:
Die Redaktion hält an ihrer Darstellung fest.