Sein sechster Sinn ist die Gerechtigkeit: Walter Bächtold aus Schleitheim kämpft verbissen gegen «Murks im System». Und wenn es ihn in den Ruin treibt. Diesmal geriet ihm der Regierungsrat in die Quere.
Man könnte sagen, Walter Bächtold habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Man könnte aber auch sagen: Dieser Mann ist ein Muni, so schlau und so stur und so imposant, wie ihn das Schleitheimer Wappen zeigt, gewaschen mit allen Wassern dieser Welt. Mit anderen Worten: Fiat iustitia et pereat mundus – Es geschehe Gerechtigkeit, und wenn auch die Welt daran zugrunde geht.
Dieses Mal waren es das Schaffhauser Landwirtschaftsamt und der Regierungsrat, die dem 61-jährigen Schleitheimer Bauern in die Quere kamen. Weil Bächtold in den Jahren 2013 und 2014 eine neu gepachtete Rebparzelle nicht ordnungsgemäss gemeldet habe, so das Amt, und er zudem das Grundstück nicht selbst kultiviert habe, sei sein Hof zu klein, um Direktzahlungen des Bundes zu erhalten. Subventionen in der Höhe von 32’000 Franken hätte er zurückzahlen müssen. Das liess er freilich nicht auf sich sitzen und legte Rekurs ein – der Anfang seines Kampfs «gegen die Paragraphenreiter vom Amt». Hier der kleine Bauer, dort der mächtige Kanton.
Naturgewaltige Erscheinung
«Ja», gesteht Walter Bächtold, «manchmal habe ich einen Stierengrind.» Wie immer, wenn er über seine Mauer aus Ernsthaftigkeit und Pflichtgefühl steigt, wenn er sich kurz erhebt und milde auf sich selbst herabblickt, blitzen seine Augen für eine Sekunde auf. Allein, es sind seltene Momente. Die Gerechtigkeit ruft: Sehr wohl habe er dem Amt alles gemeldet, und zwar genau so, wie er das immer tat, seit er das elterliche Bauerngut, den Silstighof, vor 23 Jahren übernommen habe.
Bächtold sitzt an einem Holztisch, einen schwarzen Aktenkoffer neben sich auf dem Stuhl. Selbst hockend ist er eine naturgewaltige Erscheinung: gross, massiger Körperbau, dazu eine laute, aber nicht unangenehme Stimme, und eben jene wachen Augen, die ihn mit den weichen Gesichtszügen viel jünger wirken lassen als 61.
Bei den Silstighof-Bächtolds hat man sich immer geweigert, auf den Mund zu hocken und die Faust im Sack zu machen. Schon der Grossvater sass im Kantonsrat für die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, Vorläuferin der SVP); der Vater amtete als «Presi» der Klettgauer BGB-Sektion. Walter Bächtold selbst war von 1993 bis 1998 im Schleitheimer Gemeinderat. Eigens für dieses Amt war er aus der SVP ausgetreten. Man könne doch nicht zig Interessen gleichzeitig vertreten, meint er, das gehe nicht in seinen Grind. Zweimal wurde er gewählt, ohne ein einziges Inserat zu platzieren.
Doch, sagt eine Frau von der Gemeindekanzlei, den Bächtold vom Silstighof kenne man natürlich im Dorf. «Wir haben öppe mit ihm zu tun, auch Streit gab es schon.» Man komme aber gut mit ihm aus, finde immer Lösungen. «Wenn Späne fliegen, dann eher, wenn er sich mit dem Kanton anlegt.»
Feinde hat er sich gleichwohl einige gemacht, besonders während seiner Zeit als Gemeinderat. Man grüsst sich zwar noch, wenn man sich im Dorf sieht; viele jedoch sehen in ihm einen «eher unangenehmen Zeitgenossen». Und klar ist: Die Zusammenarbeit mit ihm ist schwierig, manchmal sogar unmöglich.
Einmal an einer Gemeindeversammlung, es ging um die Rechnung, stand Bächtold auf. Die anderen Gemeinderäte zogen ihre Augenbrauen hoch. Was tut jetzt der Bächtold schon wieder? Sie konnten ihren Ohren nicht trauen: In einer Brandrede röstete er seine Kollegen regelrecht; lauthals kritisierte er den «Murks», auf den man sich zuvor im Rat geeinigt hatte. Willi Fischer, der damalige Gemeindepräsident, will heute nichts mehr dazu sagen. Aus seinem eisernen Schweigen wird aber deutlich, dass es vermutlich unzählige ähnliche Anekdoten über Walter Bächtold zu erzählen gibt.
Nicht selten kam es vor, dass Leute aufgestanden und gegangen sind, wenn Bächtold eine Beiz betrat. Gekümmert hat ihn das kaum. «Wenn man so einen Kurs fährt, wie ich das tat, dann muss man mit sowas rechnen», lächelt Bächtold. Wieder blitzen seine Augen auf.
«Dem Amt fehlt das Rückgrat»
Zurück beim Aktenkoffer. Bächtolds massiger Zeigefinger schwenkt über Dutzende Blätter und Ordner auf dem Tisch, unterstreichend und dramatisierend, stets dem Kommando seiner mächtigen Hand gehorchend. Man braucht nicht zweimal zu schauen, um zu erkennen, dass Bächtolds Hände geschnitzt sind von jahrzehntelanger Arbeit. Das sind die Hände eines Chlutteris, würde man im Dorf sagen. In der Tat: Gelernt hat Bächtold eigentlich Metzger; nebst der Arbeit als Bauer führt er noch heute ein kleines Unternehmen, das von ihm entwickelte Maschinen zum Wursten verkauft.
«Der Fehler liegt beim Amt», räsoniert er schliesslich, «sie haben die gemeldeten Daten nicht wie vorgeschrieben jährlich abgeglichen. Und nun fehlt ihnen das Rückgrat, den Fehler einzugestehen.»
Die Behörden sehen das anders. Als die nächsthöhere Instanz lehnt der Regierungsrat Bächtolds Rekurs Ende 2015 ab. Doch keine Frage, Bächtold zieht die Sache vors Obergericht. Davon, dass er «im Recht ist», ist er nicht nur überzeugt, er weiss es. Sein Gerechtigkeitssinn sei zwar nicht unfehlbar, sagt er, liege aber meist richtig. Abermals: seine Augen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ihn sein sechster Sinn in die Bredouille bringt. Viermal schon ist er deswegen vor Gericht gelandet. Denn wehe, wenn er eine Ungereimtheit wittert, vor allem wenn sich Bächtold an den Zahnrädern der Behörden reibt, dann gilt es, «ghaue oder gstoche», «diesen Murks im System» zu beseitigen. Und wenn die Welt, seine Welt daran zugrunde geht.
Sein längster Rechtsstreit dauerte sechs Jahre, von 1995 bis 2001, und brachte ihn bis vors Bundesverwaltungsgericht. Schon damals hatte er sich mit dem Schaffhauser Landwirtschaftsamt angelegt; es ging ebenfalls um Direktzahlungen. Diese erhält man nur, wenn man – sofern die Grösse des Hofs gegeben ist – mindestens die Hälfte aller Arbeiten selber erledigt, das «Risiko selber trägt». Während das hiesige Amt dies anzweifelte, befand das Gericht, dass Bächtold seine Nutzflächen zu 63 Prozent selber bewirtschafte – und daher Anspruch auf Subventionen habe.
Im Falle einer Niederlage hätte er Kosten von 125’000 Franken tragen müssen. So glimpflich ist er nicht immer davongekommen. Zweimal unterlag er vor Gericht. Das eine Mal musste er 35’000 (Streit um ein Stück Land mit dem Nachbarn), das andere Mal 50’000 Franken Strafe (für einen nicht nach Plan gebauten Prototyp) zahlen. Abgestottert habe er das Geld in Raten. «Dann habe ich eben einige Jahre lang für nichts gewirtschaftet, vergelt’s Gott», sagt Bächtold. Und was hat er daraus gelernt? «Einen Anwalt werde ich mir künftig keinen mehr nehmen, sondern alles selber vorbereiten.»
Bis vor Bundesgericht
Zur Verhandlung am Obergericht am 3. November 2016 erscheint Walter Bächtold allein, ohne Anwalt, dafür mit seinem Aktenkoffer und einer Flasche Wein. «Euer Ehren», sagt er, «ich bin überzeugt, im Recht zu sein. Falls nötig, werde ich bis vors Bundesgericht gehen.»
«Wollen Sie uns bestechen?», fragt Richter Arnold Marti und deutet auf den Wein.
«Im Gegenteil, der Wein dient allein dazu, dass Sie sich ein eigenes Bild von der Rebsorte machen können. Sie ist nämlich nicht handelbar.»
Walter Bächtolds Beschwerde wird darauf, gut zwei Wochen ist es her, vollumfänglich gutgeheissen. Die Begründung des Gerichts: Bächtold habe im Oktober 2014 einen rückwirkend ab dem 1. Januar 2013 laufenden Pachtvertrag beim Amt eingereicht, und zwar fristgerecht. Zudem würden Quittungen – dem Aktenkoffer sei Dank – belegen, dass sich Bächtold in den Jahren 2013 und 2014 um die Reben gekümmert habe. Dass er die Trauben nicht verkauft habe, sei tatsächlich mit der alten Rebsorte zu begründen, die heute nicht mehr gefragt ist. Demnach darf Bächtold die bereits erhaltenen Direktzahlungen behalten.
Walter Bächtold schliesst seinen Aktenkoffer; er ist zufrieden mit sich. Iustitia ist auf seiner Seite, und seine Welt ging nicht zugrunde. Ob er nun zu einem Foto zur Verfügung stehe? «Auf keinen Fall. Ich geschäfte mit so vielen Leuten, da profitiere ich davon, wenn man mich nicht kennt.» Seine Augen leuchten. Diese verdammten Augen.